Es liest sich wie die Beschreibung eines schlechten Films über ein Elite-Internat: Studierende der WHU – Otto Beisheim School of Management in Vallendar (Kreis Mayen-Koblenz) sollen rituelle Saufgelage, inklusive reflexhaftem Kotzen, durchgeführt, Mitstudenten genötigt und gedemütigt haben – und das sogar teils auf dem Hochschulgelände. So beschreibt es der „Spiegel“. Der Titel des Artikels spricht Bände: „Ich habe an der WHU das Kotzen gelernt“, zitiert das Nachrichtenmagazin einen anonymen Studenten, der – neben weiteren ehemaligen und aktuellen Studierenden sowie einem Vater – die Missstände an der Privathochschule endlich ans Licht bringen möchte. Und da gebe es einiges.
Ein Blick zurück: Bereits im Herbst 2020 – ein halbes Jahr nach Ausbruch der Corona-Pandemie, in einer Zeit höchster Anspannung mit wochenlangen Lockdowns, Schulschließungen und scharfen Quarantäneregelungen – waren die damaligen Erstis mit teils als zügellos beschriebenem Partyverhalten negativ aufgefallen. Studenten seien eben junge Menschen, und die wollen Party machen, erst recht, wenn es darum geht, eine neue Stadt, ein neues Leben, ein neues Selbst auszuprobieren, hieß es von Seiten mancher. Nur reichte das Verständnis der alteingesessenen Vallendarer in der damaligen Situation nicht weit. Die Stimmung in Vallendar drohte zu kippen, eine Onlinezusammenkunft zwischen WHU-Vertretern, Studierenden und Bevölkerung sollte vermitteln.
Studiengebühren im vierstelligen Bereich
Es wurde wieder ruhiger in der Stadt mit rund 16.000 Einwohnern, von denen etwa 1500 Studierende an dem dortigen WHU-Standort sind. Die sich – bei allen Negativschlagzeilen – auch positiv hervortun: Als First-Responder-Team fahren sie Noteinsätze, als Organisatoren stellen sie Veranstaltungen auf die Beine, die teils hochrangige Politiker und Wirtschaftsakteure in die Stadt am Rhein ziehen, mittels Charitykonzerten sammeln sie Geld für wohltätige Zwecke im In- und Ausland. Auch das Studium an der WHU ist angesehen, die Hochschule, bei der fürs Bachelorstudium Gebühren von 8500 Euro pro Semester anfallen, gilt als Kaderschmiede für Führungskräfte und Startrampe für erfolgreiche Start-up-Ideen.
Doch dann sind es wieder die Partys, die für Gesprächsstoff sorgen: Ende des vergangenen Jahres berichtet das Landgericht Koblenz in einer Pressemitteilung von einem Studenten der WHU, dessen Studienvertrag gekündigt wurde, da er Erstsemesterstudierende in seiner offiziellen Funktion als sogenannter Pate zu massivem Alkoholkonsum gedrängt haben soll. Der damalige Drittsemester nötigt die Erstsemester in seiner Privatwohnung so lange, bis einer von ihnen völlig betrunken im Badezimmer liegt und einer im Krankenhaus behandelt werden muss, so schilderte es das Landgericht.
Verstoß gegen den „Code of Conduct“
Damit verstößt er gegen eine vorher ausgesprochene Warnung der WHU – aufgrund von in der Vergangenheit stattgefundenen Trinkgelagen anlässlich des Semesterstarts seien diese unerwünscht. Per Mail wurde mit „entsprechenden Konsequenzen bis zur Kündigung des Studienvertrags“ gedroht, soweit die Pressemitteilung des Gerichts. Zudem verpflichten sich alle Studenten einem sogenannten “Code of Conduct„, dieser soll das gute Miteinander und ein vorbildliches Verhalten der Studenten vertraglich absichern. Der Student geht in Berufung – und verliert. Drei weitere Studenten müssen die WHU ebenfalls verlassen. Das Landgericht gibt der Hochschulleitung recht. Über beide Fälle berichtete unsere Zeitung.
Weil er Erstsemester zum Alkoholtrinken gedrängt hat, muss ein
Drittsemester die Hochschule in Vallendar verlassen – Landgericht sieht Kündigung des Studienvertrags als berechtigt an.Wegen „Trinkgelage“ von WHU geflogen: Landgericht weist Klage des Vallendarer Studenten ab
Und nun das: Schon das Vokabular, das von den Studierenden benutzt und im “Spiegel„ erklärt wird, ist deftig und gleichzeitig merkwürdig elitär – es erinnert an Burschenschaftler-Slang. “Rohrbruch„ bezeichnet demnach das Hinunterstürzen großer Mengen Bier, bis der Körper nicht anders kann, als die Flüssigkeit wieder zu erbrechen. Allerdings bricht derjenige nicht, sondern “papstet„, heißt es. Der “Papst„ selbst ist ein Gefäß, in dem das Erbrochene gesammelt wird – “ein Mülleimer, eine Wanne, eine Regentonne„ könnten dafür herhalten, dies hätten verschiedene Studenten dem “Spiegel„ berichtet. Pikanterweise soll der “Papst„ auch schon mal auf dem Unigelände stehen.
Das “Partyministerium„ organisiert Feten
Ein “Partyministerium„, bestehend aus älteren Studierenden, organisiere durch das Semester hinweg Feiern. Der Kreislauf aus Saufen und Demütigen fuße darauf, dass die jungen Menschen den Gruppenzwang spüren, nicht ausgeschlossen werden wollen – zum einen aus dem Unileben und zum anderen aus dem “exklusiven Netzwerk„, von dem alle später auch karrieretechnisch profitieren wollen. So weit die Beschreibung im “Spiegel„, dessen Bericht auch andere deutsche Medien aufgegriffen haben.
Bereits durch das Gerichtsverfahren wurden die Details des Abends bekannt, heißt es nun von Seiten der WHU: “Darüber hinaus waren uns derartige Exzesse nicht bekannt – sonst hätten wir Konsequenzen ergriffen„, schreibt Rektor Christian Andres auf Anfrage unserer Redaktion. Man wolle sich klar von derartigem Verhalten distanzieren: “Die WHU – Otto Beisheim School of Management ist eine weltoffene und international ausgerichtete Business School. Wir erwarten von allen stets angemessenes Verhalten, sowohl untereinander als auch gegenüber Dritten.„ Verstoße jemand gegen den Code of Conduct (Verhaltenskodex), handele man konsequent, betont Andres in seiner Mail mehrfach: “Wir sehen es auch als unsere Aufgabe, unsere Werte klar darzustellen, zu vermitteln und diese im Rahmen ihrer Möglichkeiten durchzusetzen.„ Dennoch: als Hochschule habe man nur sehr wenig Einflussmöglichkeiten auf die Freizeit der Studenten, “geschweige denn eine direkte Kontrolle darüber„.
Meldestelle für “Whistleblower„
Seit Dezember gibt es nun eine “Whistleblower„-Meldestelle, an die sich Studenten anonym wenden können, um Missstände aufzuzeigen – “Whistleblower„ ist ein im Englischen gängiger Begriff für Hinweisgeber. Bislang gab es eine Meldung, sagt Christian Andres, die aber keinen Bezug zu Alkohol oder erzwungenem Verhalten hatte. Zudem könnten Studierende ein Counselling nutzen, sich an Vertrauenspersonen in den Jahrgängen wenden: “Wir sind stolz darauf, eine moderne, diverse und internationale Institution zu sein, die für eine vielfältige und integrative Kultur steht, in der niemand bedroht, genötigt oder gezwungen wird, etwas gegen seinen Willen zu tun„, schreibt der Rektor. Man setze sich mit aller Kraft dafür ein, diese Werte zu verwirklichen: “Wer diese Einstellung nicht teilt, ist bei uns fehl am Platz.„
Sie heißen Enpal, Flink oder Gropyus und sind als Start-ups in ihren Branchen enorm erfolgreich. Während Deutschland jüngsten Schätzungen zufolge gerade so um eine Rezession der Wirtschaft herumgekommen ist, befinden sich Gründungen von Alumni der WHU weiterhin auf kräftigem Wachstumskurs, teilt ...Zwei Milliarden Dollar an Investitionen: Start-ups von WHU-Absolventen auf Erfolgskurs
Vom Patensystem wolle man nicht abrücken – im Gegenteil, man wolle Studenten ermutigen, sich zu engagieren und aktiv zu sein: “Viele Veranstaltungen und Initiativen, die bei uns stattfinden, gehen zurück auf die Initiative von Studierenden.„ Seit mehr als 20 Jahren organisiert sich auch das System der Paten weitestgehend selbst. Nach dem Vorfall im Jahr 2023 prüfe man das System nun in seiner Gestaltung, damit das eigentliche Ziel erreicht werde: Erstis den Einstieg ins Studium erleichtern. “Wir nehmen den Vorfall in unserem Bachelor-Jahrgang sehr ernst und wollen mit aller Kraft verhindern, dass sich derartige Exzesse wiederholen."
So reagiert die Kommunalpolitik auf die Vorwürfe
Die Vorgänge ziehen Kreise und beschäftigen auch die Vallendarer Kommunalpolitik. In einem Gespräch mit unserer Zeitung äußert sich Adolf T. Schneider (parteilos), Bürgermeister der Verbandsgemeinde (VG) Vallendar, in einem gemeinsamen Statement mit Stadtbürgermeister Wolfgang Heitmann (SPD) nun zu dem erschienenen Artikel: Man müsse hier unterscheiden zwischen Studenten und Institution, betont er. Was gerade in den Medien dargestellt werde, betreffe die Studentenschaft, junge Menschen, die nicht mit Alkohol umgehen können, eine privatrechtliche Angelegenheit. Zum Teil lese es sich im Artikel wie Nötigung, dabei müsse man beachten, dass die jungen Leute freiwillig an der WHU sind, notfalls müsse eben Anzeige durch die Betroffenen erstattet werden. Man könne wenige anonyme Hinweisgeber und einen ebenfalls anonymen Vater, wie in dem „Spiegel“-Artikel dargestellt, nicht als Grundlage für die Annahme nehmen, es sei an der WHU komplett so, wie geschildert.
„Der Umgang mit Alkohol in jungen Jahren ist kein spezifisches WHU-Thema, auch in anderen, eher männlich dominierten Umfeld wie Studentenverbindungen, Eliteschulen oder auch zum Beispiel im militärischen Bereich gibt es leider ähnliche Initiationsrituale, die sich auch durch übermäßigen Alkoholkonsum auszeichnen“, schildert Schneider. In Bevölkerung und Verwaltung habe es Reibungen mit einzelnen Studenten gegeben, aber in der Vergangenheit eher wegen Ruhestörungen, „das ist ein ganz anderes Themenfeld“.
Das habe in einer kleinen Stadt wie Vallendar natürlich andere Auswirkungen als in Köln, Berlin oder auch Koblenz. „Wenn hier jemand bis 4 Uhr morgens Lärm macht, ist das nicht gut fürs Zusammenleben.”
Das andere sei die Institution WHU, die man nicht in einem Topf werfen dürfe. Wer auf die WHU schimpfe, meine oft einzelne Studenten, die sich daneben benehmen. Man müsse sehen: Die WHU genieße regionales und internationales Ansehen, sei der zweitgrößte Arbeitgeber in Vallendar, die WHU-Mitarbeiter- und Studentenschaft stünden für einen Gewinn an Kaufkraft in der Kommune und jüngere, internationale Bevölkerungsanteile für eine Stadt mit hohem Durchschnittsalter. Zudem sei das Verhältnis zwischen Hochschule, Stadt und Verbandsgemeindeverwaltung immer konstruktiv gut, fasst Schneider zusammen. „Wir wissen aus der Zusammenarbeit und runden Tischen, dass das Thema unangemessenes Verhalten von Studenten und Studentinnen bei den WHU-Gremien äußerst unangenehm und hochsensibel ankommt. Die WHU unternimmt nach meiner langjährigen Wahrnehmung alles rechtlich Mögliche, um sich dagegenzustellen.“
Für Schneider sind hier die jungen Leute diejenigen, die am Hebel sitzen – und die Verantwortung tragen: „Junge Menschen, die zum ersten Mal von zu Hause weg sind – das kann sich hocheskalieren.“ Aber ob sich ein strukturelles Thema ergebe, wie in den aktuellen Artikeln dargestellt, ist für ihn fraglich. Für ihn sei der Sachverhalt auch rechtsfähig, und als Betroffener könnte man auch mittels Anzeige dagegen vorgehen: „Die Studenten könnten sich zum Beispiel auch an die WHU-Leitung wenden, das sind doch erwachsene Menschen.“