Auftakt Garry Walker stellt sich beim ersten Anrechtskonzert der Saison in Koblenz als neuer Chefdirigent der Rheinischen Philharmonie vor
Eine Willkommensumarmung voll Sturm und Drang
Mit Beifall von Publikum und Orchester empfangen: Garry Walker Foto: Tom Frey
Thomas Frey

Koblenz. Bravos und Applaus für den neuen Chefdirigenten der Rheinischen Philharmonie - und zwar aus dem Publikum, aber auch aus den Musikerreihen: Mit einer leidenschaftlichen wechselseitigen Sympathiebekundung des Schotten Garry Walker und seinem Orchester begann die neue Saison der Anrechtskonzerte des Musik-Institut-Koblenz.

Von unserem Kulturchef Claus Ambrosius

Der erste Eindruck hat keine zweite Chance: Wenige Millisekunden gestehen wir einem uns unbekannten Menschen zu, bevor wir ein Urteil über ihn fällen. Ähnliches gilt für Kollektive: Sekunden entscheiden darüber, ob für ein Orchester und einen neuen Dirigenten eine freudvolle Zusammenarbeit beginnt oder nicht. Genau diese Augenblicke zwischen dem Staatsorchester Rheinische Philharmonie und dem Schotten Garry Walker fielen 2015 offenbar beglückend aus: Mit überwältigendem Votum erkor sich das in Koblenz residierende Orchester Walker zum Nachfolger Daniel Raiskins als Chefdirigent.Beim ersten Anrechtskonzert des Musik-Instituts Koblenz ist das Publikum nun – nach einer Interimssaison mit wechselnden Dirigentenhandschriften – Zeuge einer beherzten Willkommensumarmung. Man spürt, sieht, hört: Was auf der Bühne passiert, will den Namen „Partnerschaft“ führen. Wie auch vor zwölf Jahren, beim gleichen Anlass, muss der alten Weisheit gedacht werden: „Neue Besen kehren gut.“ Was aber, wenn der Besen gar kein solcher sein will?

Denn nach Reinigen, Ausputzen oder gar nach Aufräumenmüssen klingt dieses erste einer langen Reihe von Konzerten mit Garry Walker inner- und außerhalb von Koblenz überhaupt nicht, eher schallt dem Publikum ein ostentatives Wirgefühl entgegen. Die Rheinische hat ihren Beziehungsstatus offenbar auf „verliebt“ geändert, und das hört man.

Nun ist frische Verliebtheit die eine Sache, Vertrautheit die andere. Zusammen tauchen sie eher selten auf, so auch an diesem Abend. Dabei gibt der Programmablauf zu einem potenziell prächtigen Finale hin den Verlauf praktischerweise vor – und das Ausschöpfen dieser Möglichkeit gelingt mit Gustav Mahlers erster Sinfonie auch plangemäß. Nicht nur für die damaligen Zeitgenossen der Uraufführung 1889 sprengte der (offizielle) sinfonische Erstling Mahlers alle Erwartungshaltungen, auch heutige Aufführungen des Fünfzigminüters stellen Anforderungen an Ausführende und Zuhörende, die in der Frage nach einem Spannungsbogen eine Schnittmenge teilen. Diesen Bogen vonseiten der Interpreten aufrechtzuerhalten, ist die wohl größte Kunst – gelingt sie, hat auch das Publikum die Chance gleichzuziehen.

Und diese Punktlandung gelang unter voll gesetzten Segeln und mit Sturm und Drang: Unter Walkers Leitung findet die Rheinische Philharmonie zu beeindruckendem Klangreichtum. Keineswegs nur im finalen Schlussjubel, auch in den vielen sphärischen Streichergeweben zu Beginn, dem gut präparierten Augenzwinkern der Bläser in den parodistischen Passagen und der Energieversammlung in vielen potenziellen Hakelstellen der Sinfonie erzielt diese Leistung zwischen berückend und beglückend und mit nur einer kleinen Durststrecke im Finalsatz hohe Ausschläge auf der Emotionsskala.

Bei Mahler gelingt auch die interpretatorische Profilierung, die zu Beginn hinter dem allbestimmenden Gefühl begeisterter Leichtigkeit zurückzutreten bereit schien: Jacques Iberts „Hommage à Mozart“, ein fluffig-quirliges Auftaktstück, atmet (zu)viel Adrenalin und hakelt noch ein wenig – was nur der Aufregung des Beginns geschuldet sein kann, denn das hohe Maß an Präzision, das Garry Walker in seinem spielerischen, hier fast tänzerisch-gelenkigen Dirigat vorgibt, ist auch für die Zuschauer nachvollziehbar.

Auch der erste Schwerpunkt des Konzertes, Mozarts „Jupiter“-Sinfonie, ließe Nachfragen zu, geben sich Walker und das Orchester doch recht unbeeindruckt von dem, was die Mozart-Interpretation in den vergangenen Jahrzehnten in diese Sinfonie hineingelegt und herausgeholt hat.

Die hineindringende Moll-Welt des tieftragischen Mozart nicht ganz so offenbar zu betonen, eher gepflegt und mit feinen Unterschieden als mit dem historisch informierten Holzhammer zu phrasieren und auf Proportionen dieser Sinfonie gemessen hinzuweisen – gerade in Vorbereitung auf den formenlösenden Mahler: Auch das könnte natürlich durchaus eine, wenngleich ziemlich zurückhaltende Interpretationsabsicht sein. Und immerhin gelingt schon im Mozart-Schlusssatz ein Zusammentreffen der Fugato-Stimmen zu einem mehrdimensionalen, nicht auf Glanz und Nachdruck versessenen Klangrelief, das Lust macht auf die vielen nächsten Kapitel dieser jungen Beziehung von Dirigent und Orchester, die sich hoffentlich einen Teil des leidenschaftlichen Enthusiasmus des Beginns erhalten kann.

Informationen zu den Anrechtskonzerten online unter www.musik-institut-koblenz.de