Sein Thema: Griechenland und kein Ende? Seine Thesen: Der Grexit, also ein Ausstieg der Hellenen aus der Euro-Währung, würde das Land weiter in den Abgrund reißen; die mächtigen europäischen Staatschefs drücken sich vor ihrer Verantwortung; an der Fiskalunion führt kein Weg vorbei, wenn Europa auf Dauer stabil bleiben soll.
Kühl hat sich rar gemacht seit seinem Rücktritt im November 2014. Damals hatte Dreyer ihn entlassen, um sich von der Last des Nürburgring-Skandals zu befreien. Mit Kühl traf es auch den damaligen SPD-Fraktionschef Hendrik Hering und einige andere. Kühls Vortrag in Mainz dürfte zu seinen ersten öffentlichen Auftritten seit seiner Demission gehören, zumindest im Dunstkreis seiner alten Wirkungsstätte.
Der SPD-Ortsverein Mainz-Neustadt hatte ihn eingeladen. Ein Heimspiel. Denn diesen führte Kühl einst selbst. Sieben Jahre lebte er in der Neustadt, einer Hochburg von Grünen und Linken.
Kühl wirkt unverändert: unprätentiös, uneitel, analytisch. Er trägt noch immer nichts als Schwarz: Hemd, Jeans und Turnschuhe statt polierten Schuhwerks. Er hat Tabellen dabei. Die Stichworte für seinen Impulsvortrag entnimmt er seinem iPad. Inzwischen arbeitet er als Berater für ein Unternehmen im Rhein-Main-Gebiet und gibt Lehrveranstaltungen an der Verwaltungshochschule in Speyer. Das lässt ihn am Ball bleiben, ist aber sicher nur eine Zwischenstation.
Kühl wirkt entspannter als zu der Zeit, als er noch einen milliardenschweren Haushalt zu verantworten hatte. Den Verlust der Macht scheint er gut verkraftet zu haben. Kühl wirkte ohnehin nie wie jemand, der seine Identität an die Privilegien eines Ministeramtes kettete. Nur juckt es ihn ab und zu, sich politisch einzumischen. Jemand, der mit so viel Freude Finanzpolitik gemacht hat, wird nicht auf einmal gleichgültiger Privatier.
Im kleinen Saal der spanischsprachigen katholischen Gemeinde seziert er die Griechenland-Krise. Seines Erachtens muss die Politik neue Wege versuchen, „wenn die Nebenwirkungen der verabreichten Medizin einen Patienten umzubringen drohen“. Der Volkswirt plädiert für ein Investitionsprogramm, das diesen Namen verdient. Und er kritisiert offen SPD-Bundeschef Sigmar Gabriel, der jüngst in der „Bild“ erklärte: „Wir werden nicht die überzogenen Wahlversprechen einer zum Teil kommunistischen Regierung durch die deutschen Arbeitnehmer und ihre Familien bezahlen lassen.“ Kühl hält dies für populistisch. Bei den Genossen in der Neustadt widerspricht ihm keiner. Dietmar Brück