Biologe Wolfgang Büchs mahnt Rückkehr zu Natur- und Artenschutz an - Bei Hochwasservorsorge pocht er auf Bewusstsein jedes Einzelnen
„Die zweite Zerstörung des Ahrtals“: Biologe Wolfgang Büchs mahnt Rückkehr zu Natur- und Artenschutz an
Bagger im Ahrtal: Behörden schauen jetzt genauer hin, was dort passiert. Denn es waren nicht nur Sicherungsmaßnahmen wie diese hier.
Hauck

Droht dem Ahrtal nach der verheerenden Flutkatastrophe ein weiterer Tiefschlag? Experten wie der Hildesheimer Professor und Biologe Wolfgang Büchs befürchten jedenfalls, dass im Zuge von unkontrollierten Bagger- und Aufräumarbeiten weiter jede Menge Natur- und Landschaftsschutzgebiet verloren geht.

Experte Wolfgang Büchs fordert die Wiederherstellung der durch Bagger zerstörten Biotope.

Auch nötige Rückhalteflächen für künftige Hochwasser würden weiter planiert und zugeschüttet, obwohl klar sei, dass die Ahr künftig mehr Raum brauche. Die zuständige Aufsichtsbehörde SGD Nord habe zwar zugesagt, jetzt genauer hinzuschauen, welche Maßnahmen die zahlreichen Bagger im Auftrag von Kommunen und Privatleuten vornehmen, doch Ahr-Kenner Büchs kritisiert ein weiterhin zu zaghaftes Vorgehen der Behörde.

Der zuständige Abteilungsleiter bei der SGD Nord, Joachim Gerke, hatte jüngst im Interview mit unserer Zeitung durchaus eingeräumt, dass nicht alle Arbeiten „sinnvoll“ gewesen seien, die von Großgeräten im Ahrtal ausgeführt worden sind. Dass die SGD Nord in den ersten Wochen nach der Flutkatastrophe kaum eingegriffen habe, bestätigte Gerke ebenfalls. Zu Beginn habe es sich aber auch um notwendige Aufräumarbeiten gehandelt. Außerdem habe der Aktivismus in Form der Baggerarbeiten mittelbar auch zur Aufarbeitung der Katastrophe beigetragen. Nun aber werde verstärkt kontrolliert.

Auch bei einem Gespräch Anfang Dezember zwischen Büchs und Vertretern der SGD Nord, das nach einem Interview mit dem Hildesheimer Professor in unserer Zeitung zustande kam, hieß es noch einmal, man wolle in Zukunft genauer hinsehen und dafür sorgen, dass die Arbeiten koordinierter stattfinden. Das allerdings sieht Fachmann Büchs mit Skepsis. „Im Ahrtal werden im Augenblick in Wildwestmanier Fakten geschaffen“, warnt der Biologe und greift zu drastischen Worten: Das Zubaggern der Ahr und ihrer Zuflüsse wie insbesondere dem Sahrbach oder die im Rahmen des „Aufräumens“ erfolgte Naturzerstörung wie bei Pützfeld und anderswo seien im Prinzip wie eine „zweite Zerstörung des Ahrtals“. Dies widerspreche zudem auch den Bestimmungen des Bundesnaturschutzgesetzes zum Schutz von Gewässern und Uferzonen.

An der Ahr und den Zuflüssen werde „in katastrophaler Art und Weise“ mit den durch die Flut neu entstandenen Uferzonen umgegangen, kritisierte Büchs erneut. Vorgehensweisen wie etwa in Pützfeld könne man so nicht durchgehen lassen, sagte der Biologe und forderte eine Wiederherstellung von zerstörten Biotopen – „möglichst an gleicher Stelle, auch wenn es 20 Jahre dauert“. Nach seiner Beobachtung müsste die Aufsichtsbehörde wesentlicher deutlicher vorgehen und den Ortsbürgermeistern deutlich machen, dass Eingriffe in die Landschaft künftig nur unter Beachtung der üblichen gesetzlichen und planungsrechtlichen Vorgaben erfolgen dürften – etwa mit Bürgerbeteiligung und Umweltbericht.

In einem konkreten Beispiel hatte sich der Umweltbeirat des Kreises Ahrweiler jüngst offenbar durchgesetzt. Im Naturschutzgebiet der Ahrmündung hatten mehrere Einsätze mit schwerem Gerät erhebliche Folgen für Artenvielfalt und Naturschutz. Die weiteren notwendigen Arbeiten werden jetzt auf Anweisung der Kreisverwaltung schonender ausgeführt. So hilft die Bundespolizei im Rahmen einer Übung, gefährliches Treibgut der Juliflut mit Hubschraubern zu beseitigen.

Bagger im Ahrtal: Behörden schauen jetzt genauer hin, was dort passiert. Denn es waren nicht nur Sicherungsmaßnahmen wie diese hier.
Hauck

Mit wachsender Sorge sieht Ahr-Experte Büchs allerdings auch, wie sich die SGD Nord beim künftigen Hochwasserschutz im Ahrtal positioniert. Büchs hatte in einem Interview mit unserer Zeitung ein ganzes Bündel von Maßnahmen empfohlen, um möglichen neuen Hochwasserwellen im Ahrtal die Spitze zu nehmen. An vielen kleinen Stellschrauben müsse man drehen, empfahl er. Das umfasst für ihn nicht nur die Forderung nach dem Erhalt von möglichst viel Raum, den sich der Fluss mit der Flut zurückgeholt hat. Es geht ebenfalls um stark verdichtete landwirtschaftliche Nutzflächen, auch in höheren Lagen des Ahrtals, die kaum noch Regenwasser aufnehmen, insbesondere um erosionsanfälligen Maisanbau, um drohende Kahlschläge in absterbende Fichtenbestände mit verdichteten Rückegassen, um Weinberge, deren Weinstöcke in Falllinie angeordnet sind und das Wasser nach unten schießen lassen, oder um Entsiegelungsprämien auch für Gewerbeareale, sprich: Es geht Büchs darum, dass bei jedem Bewohner und jeder Bewohnerin im Wassereinzugsgebiet der Ahr das Bewusstsein entsteht, dass der Schutz vor künftigen Hochwassern eine Aufgabe jedes Einzelnen ist.

Es geht aber auch um größere Maßnahmen, die von der Hochwassergemeinschaft der betroffenen Orte mitgetragen werden müssten. Büchs glaubt, dass man ohne Anlage von Reservoiren zur Hochwasserrückhaltung und von sogenannten Flutmulden an den Zuflüssen der Ahr nicht auskommen wird. Adenau habe zum Beispiel durch das Vorhandensein zweier Hochwasserrückhalteeinrichtungen die Flut vom 14./15 Juli fast unbeschadet überstanden, auch der Beitrag des Adenauer Baches zum Hochwasser der Ahr sei dadurch geringer gewesen.

Doch da verspürt er bei der SGD Nord durchaus auch Skepsis. Dort folgt mancher eher der Meinung von anderen Experten, dass sich eine Sturzflut wie am 14. und 15. Juli bei solchen Starkregenmengen ohnehin kaum verhindern ließe. Deshalb seien Regenrückhaltebecken und Flutmulden zu teuer und unwirtschaftlich. Wichtig sei, die Warnsysteme so auszustatten, dass die Menschen sich rechtzeitig in Sicherheit bringen können.

Experte Büchs hält diese Position für gefährlich. „Das mag zwar grundsätzlich richtig sein. Wenn man aber daraus schlussfolgert, umfassendere Maßnahme der Hochwasservorsorge sind infolgedessen nicht wirtschaftlich, dann hat man meines Erachtens den Kern der Sache nicht erkannt“, sagt er. In allen, auch den ahrfernen Orten im Wassereinzugsgebiet der Ahr und in allen Bereichen müsse umgedacht werden, fordert er – von der Landwirtschaft über Forstwirtschaft, Weinbau, Straßen- und Wegebau, Siedlungspolitik, bis hin zu Dach- und Fassadenbegrünung. So hält Büchs es auch für falsch, dass Feuchtgrünland direkt an der Ahr zum Erhalt des „Ackerstatus“ innerhalb von fünf Jahren umgebrochen und als Ackerland genutzt werden kann – und sogar Mais angebaut wird. Dabei seien die ahrnahen Flussauen wichtige Lebensräume, versickerungsfördernd und erosionshemmend.

Es gehe zudem nicht ausschließlich um Starkregenereignisse wie im Juli 2021, sagt Büchs. Es gehe auch darum, sich gegen Fluten wie im Juni 2016 zu wappnen. Es habe in geringerem zeitlichen Abstand bisher immer auch weitere durch Starkregen verursachte Fluten mit teils erheblichen Schäden gegeben. wie es 2016 der Fall war – und deren Auswirkungen weitgehend vermieden werden könnten. „Es zählt jedes Flutopfer, das sich vermeiden lässt, jeder Euro Schaden, der weniger anfällt“, sagt der Experte.

Büchs fürchtet zudem, dass ohne ein solches Paket an Maßnahmen zum Hochwasserschutz auch das erhoffte Sicherheitsgefühl nicht ins Ahrtal zurückkehren wird – mit spürbaren Folgen. Menschen könnten wegziehen und Betriebe abwandern, wenn sie den Eindruck hätten, dass kein effektiver Schutz vor den Ahrfluten betrieben werde.

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