Bei einer Kundgebung des Deutschen Hotel- und Gaststättenverbands schießen sich die Teilnehmer auf Gesundheitsminister Clemens Hoch ein
Dehoga-Kundgebung: Teilnehmer kritisieren den rheinland-pfälzischen Gesundheitsminister Clemens Hoch scharf
Einen Scherbenhaufen hat die Corona-Politik in Rheinland-Pfalz nach Ansicht des Hotel- und Gaststättenverbandes Dehoga in der Branche angerichtet – das verdeutlichen Teilnehmer einer Kundgebung in Mainz mit viel zerbrochenem Geschirr. Der Branchenverband hatte zu der Demo aufgerufen, um gegen die für das Gastgewerbe geltende 2G-plus-Regelung zu protestieren. Fotos: Bastian Hauck

Rheinland-Pfalz. Es ist kurz nach 13 Uhr, als die rheinland-pfälzische Wirtschaftsministerin Daniela Schmitt den Kopf schüttelt, zu Gesundheitsminister Clemens Hoch (SPD) rüberschaut und mit dem Kopf in Richtung Justizkomplex deutet.

Einen Scherbenhaufen hat die Corona-Politik in Rheinland-Pfalz nach Ansicht des Hotel- und Gaststättenverbandes Dehoga in der Branche angerichtet – das verdeutlichen Teilnehmer einer Kundgebung in Mainz mit viel zerbrochenem Geschirr. Der Branchenverband hatte zu der Demo aufgerufen, um gegen die für das Gastgewerbe geltende 2G-plus-Regelung zu protestieren. Fotos: Bastian Hauck

Das klare Zeichen der FDP-Politikerin an ihren Ministerkollegen: Das hier hat keinen Sinn mehr, es ist höchste Zeit für uns zu gehen. Auf negative Bilder hat schließlich kein Politiker Lust. Doch die sind längst im Kasten. Die drei Regierungsvertreter, auch Familienministerin Katharina Binz (Grüne) ist dabei, machen sich auf den Weg. Wirklich weit kommen sie nicht.

Der Deutsche Hotel- und Gaststättenverband (Dehoga) in Rheinland-Pfalz hatte zu einer Kundgebung auf den Ernst-Ludwig-Platz in Mainz eingeladen. Die zentrale Dehoga-Forderung: „Das Plus bei der 2G-plus-Regelung muss weg.“ Hierzulande müssen sich bis auf die geboosterten Bürger alle, auch die Genesenen und Geimpften, für den Café- oder Restaurantbesuch zusätzlich testen lassen. Die Regel stößt auf scharfe Kritik.

Rüdiger Konzen, Hotelier aus Ellenz-Poltersdorf, kämpft mit deftigen Umsatzeinbußen – aufgeben kommt aber nicht infrage.
Hauck

Nach ein paar Metern wird der rheinland-pfälzische Gesundheitsminister erneut angesprochen, erst von Einzelnen, dann steht er mitten in einer größeren Menschenmenge. „Haben Sie Existenzängste?“, „Sie sind weltfremd, Sie kriegen nichts mehr mit“, „Worauf verzichten Sie in der Pandemie?“, donnert es auf den SPD-Politiker ein, der seit Mai Gesundheitsminister ist. Es hat sich etwas angestaut bei den laut Polizei rund 100 Teilnehmern. Unverständnis, Verzweiflung, Wut.

Die Emotionen bekommt vor allem Clemens Hoch ab. Während der Minister sich den Fragen stellen muss, beißt der Fraktionschef der oppositionellen CDU, Christian Baldauf, in Ruhe in seine Grillwurst. Die verteilt der Dehoga an die Demoteilnehmer.

Hans-Joachim Mehlhorn, Hotelier aus Koblenz, gibt sich in der Krise zuversichtlich – auch wenn ihm dies mitunter wirklich schwerfällt.
Bastian Hauck

Trotz des Gegenwindes: Der Gesundheitsminister sagt klar, „es ist nicht die Zeit, das Plus wegzunehmen“. Es gebe ein dynamisches Infektionsgeschehen. Man stehe in einer kritischen Pandemiephase. Auf den Intensivstationen kämpften Menschen um ihr Leben, das Pflegepersonal sei an der Belastungsgrenze. Und auch wenn Gereon Haumann, Präsident des rheinland-pfälzischen Dehoga, es noch mal probiert und Hoch versichert, dass man an seiner Seite stehe, gemeinsam die Pandemie bewältigen wolle und beteuert, „dass es kein einziges Infektionsgeschehen in den Betrieben des Gastgewerbes gibt“ – der Minister bleibt bei seiner Meinung. Das Plus – also der Test für Geimpfte und Genesene – biete Sicherheit.

Die klare Ansage: Wenn die Infektionszahlen im Januar sinken, wolle man sich die 2G-plus-Regel ansehen. Vorher nicht. Darauf schmettern dem SPD-Politiker laute Buhrufe entgegen. Einige Meter weiter und einige Diskussionen später verlassen der Minister und die zwei Ministerinnen um 13.25 Uhr den Ernst-Ludwig-Platz. Diesmal endgültig.

Doris Gawel vom Bellevue-Rheinhotel in Boppard über die Auslastung ihres Hauses in der Pandemie
Hauck

Dort sind eine Dreiviertelstunde zuvor die ersten Teller zu Bruch gegangen. Susanne Geib, Geschäftsführerin des Hotels Rosenhof in Ramstein-Miesenbach, ist die Erste, die das weiße Geschirr auf den Mainzer Boden knallt. Ein Gedeck stehe für 1000 Mitarbeiter, die das Gastgewerbe bereits verlassen haben oder es womöglich verlassen könnten, berichtet Haumann: „Gesundheitsminister Hoch hat für die Mitarbeiter einen Scherbenhaufen hinterlassen.“

Nun sollen er und die Landesregierung einen Scherbenhaufen präsentiert bekommen. Bis 12.15 Uhr spricht ein Dutzend Betroffener. Jeder Einzelne hat mindestens einen Teller in der Hand. Ist seine kurze Rede zu Ende, schleudert der Redner das Geschirr einfach auf den Grund. Eine Mainzer Wirtin ist besonders erzürnt. Immer wieder stockt ihr die Stimme, immer wieder ist die Frau kurz davor, in Tränen auszubrechen. Sie sagt: „Es ist unmöglich, was die Politik mit uns macht. Die Politiker wissen doch gar nicht mehr, was sie tun.“ Volle Fußballstadien bei der Europameisterschaft im Sommer, volle Karnevalseröffnungen am 11. November – „das ist der Hammer. Es reicht“, platzt es aus ihr heraus.

Unterstützung erhalten die Demonstrationsteilnehmer nicht nur von der CDU, sondern auch von den Freien Wählern. CDU-Fraktionschef Christian Baldauf schließt sich der Forderung des Gastgewerbes an. Auch er verlangt in seiner kurzen Rede immer wieder: „Das Plus muss weg.“ Hotels und Gaststätten hätten schon im vergangenen Jahr Hygienekonzepte entwickelt, die funktionierten.

Der Fraktionsvorsitzende der Freien Wähler, Joachim Streit, kommt zur gleichen Einschätzung wie der Dehoga-Chef. „Sie sind nicht der Pandemietreiber“, sagt er. Aus den Reihen der Demonstranten hallt ein „Wir sind die Bauernopfer der Regierung“. Mit 2G-plus wolle man die Bürger zum Impfen bewegen, ist Streit überzeugt. Und sagt weiter: „Die Landesregierung kann das machen. Sie darf das aber nicht auf den Rücken von anderen austragen.“ Streit und Baldauf bekommen Applaus – im Gegensatz zu den Vertretern der Ampelkoalition.

Auch Rüdiger Konzen aus Ellenz-Poltersdorf ist nach Mainz gereist. 80 bis 90 Prozent Umsatzeinbußen, verglichen mit dem Jahr 2019, hätten er und sein Team im Hotel Vergissmeinnicht aktuell zu verzeichnen. Weihnachtsfeiern seien mittlerweile fast komplett storniert worden.

Ihn störe die Ungleichbehandlung und die unterschiedlichen Regeln in den Bundesländern. Das Hotel zumachen will Konzen trotz allem nicht: „Wir sind Gastgeber, wir wollen für unsere Gäste da sein.“ Lohnen würde sich der Betrieb zurzeit aber nicht. Aufgeben will der Hotelinhaber dennoch nicht: „Das Haus befindet sich in fünfter Generation. Meine Vorgänger haben zu gut gearbeitet, dass ich jetzt hinwerfe.“

Davon ist auch Hans-Joachim Mehlhorn, Geschäftsführer des Hotels Diehl in Koblenz-Ehrenbreitstein, weit entfernt. Er sagt: „Als Unternehmer ist man immer Optimist.“ Dennoch verliere man als Geschäftsinhaber in diesen Krisenzeiten irgendwann die Lust. Mehlhorn fühlt sich von 2G-plus auch persönlich benachteiligt. Seine Impfung sei dreieinhalb Monate her, er könne sich erst in ein paar Wochen den Auffrischungspiks geben lassen. „Solange muss ich mich dem Zwangstesten unterziehen“, sagt er. Das Testen sei aber gerade auf dem „platten Land“ schwierig, weswegen viele Gäste auf den Café- oder Restaurantbesuch verzichteten.

Doris Gawel, Seniorchefin des Bellevue-Rheinhotels in Boppard, versteht nicht, warum sie im Hotel einem Gast beim Selbsttest zuschauen dürfe – und der Besucher mit dem Testergebnis anschließend nicht in die nächste Gaststätte oder auf ein Rheinschiff dürfe. Auch bei ihr habe es vor vier Wochen, als die Zahl der Neuinfektionen rasant stiegen, Stornierungen gehagelt. „Normalerweise sind wir zu dieser Zeit an Spitzentagen zu 100 Prozent ausgebucht. Im Moment liegen wir bei rund 50 Prozent“, berichtet Gawel. 135 Jahre alt sei ihr Betrieb. Doris Gawel sagt zum Schluss: „Wir haben zwei Weltkriege überlebt. Das hier werden wir auch noch schaffen.“

Von unserem landespolitischen Korrespondenten Bastian Hauck

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