Gesellschaftliche Teilhabe
Cloud bis Podcast: Digital-Botschafter zeigen neue Wege
Oftmals bekommen Seniorinnen und Senioren das ausgemusterte Smartphone ihrer Kinder oder Enkel, hat Ingrid Braband von den Digital-Botschaftern Bendorf beobachtet. Allerdings seien diese für weitere Fragen nicht immer direkt greifbar.
Jens Kalaene/dpa

Wie bekomme ich Bilder von meinem Smartphone auf den PC? Ist das eine betrügerische E-Mail in meinem Posteingang? Für ältere Menschen, die nicht mit ihr aufgewachsen sind, kann die digitalisierte Welt Fragen aufwerfen. So helfen Digital-Botschafter.

Ingrid Braband hat American Cheesecake zum Kaffeenachmittag mitgebracht. Einmal im Monat lädt die Arbeiterwohlfahrt (AWO) Engers Senioren dazu ins evangelische Gemeindehaus ein. Doch gefragt ist dort nicht nur das Kuchenbüfett – sondern auch der Rat von Braband und ihren Kollegen in digitalen Angelegenheiten. Die 71-Jährige ist eine von sechs Digital-Botschafterinnen und Digital-Botschaftern aus Bendorf (Kreis Mayen-Koblenz), die digitale und damit auch gesellschaftliche Teilhabe ermöglichen.

Das Projekt der Digital-Botschafter gibt es seit 2018 in Rheinland-Pfalz. Inzwischen engagieren sich mehr als 700 ehrenamtliche Digital-Botschafter im Land, um älteren Menschen den Zugang zu digitalen Angeboten zu erleichtern, ihnen beim Umgang mit Endgeräten wie dem Smartphone zu helfen. Ausgebildet werden die Botschafter über die Medienanstalt Rheinland-Pfalz, wo das Projekt beheimatet ist. Das rheinland-pfälzische Sozialministerium fördert das Projekt in diesem Jahr mit 160.000 Euro, wie die Medienanstalt mitteilt. Sie selbst beteilige sich mit einem Eigenanteil von knapp 90.000 Euro sowie rund 25.000 Euro Gemeinkosten.

Sprechstunden, Schulungen und Hausbesuche

Ingrid Braband und ihre Mitstreiter bieten regelmäßig Sprechstunden in Bendorf an: beim Repair-Café und dem Generationen-Frühstück der katholischen Familienbildungsstätte, im Seniorenzentrum der AWO und der Seniorenresidenz Obere Rheinaue sowie über die VHS im Rathaus. Im evangelischen Gemeindehaus im Neuwieder Stadtteil Engers sind die Botschafter Dauergäste beim AWO-Kaffeenachmittag und halten zudem jeden ersten Montag im Monat eine Schulung zu verschiedenen Digitalthemen ab.

„Das ist immer in etwa eine Dreiviertelstunde Vortrag, danach kann man Fragen stellen“, erklärt Braband den Aufbau der Schulungen. Anfang April wird das Thema Online-Banking behandelt, ein Referent der VR Bank ist zu Gast. Die Themen sind vielfältig: Passwörter, Sicherheitseinstellungen bei WhatsApp, das Nutzen von Podcasts oder Mediatheken auf dem Smartphone, Cloud-Dienste, Videokonferenzen oder digitaler Nachlass.

Wichtige Nachricht oder Phishing-Attacke?

Geplant ist zudem ein Seminar unter dem Titel „Nepper, Schlepper, Bauernfänger“. „Darin klären wir zum Beispiel über Spam-E-Mails auf“, sagt Braband. Es gehe darum, wie man die Nachrichten erkennt und wie man sich richtig verhält – etwa, dass nicht auf enthaltene Links geklickt werden sollte. Oft wüssten ältere Menschen nicht, ob die Nachrichten, die sie bekommen, wichtig seien, ob es sich um Vernachlässigbares, Werbung oder gar eine Phishing-Attacke handele. „Diese Einschätzung ist ungeheuer schwierig für Ältere“, weiß Braband.

Bei den Anliegen, die die Senioren in den Sprechstunden vorbringen, gehe es oft um die grundlegende Bedienung von Geräten oder Anwendungen. „Es passiert häufig, dass die Senioren abgelegte Handys von ihren Kindern oder Enkelkindern bekommen“, berichtet Braband. Doch nach einer kurzen Einweisung seien diese in vielen Fällen nicht mehr direkt für Nachfragen greifbar. „Und dann weiß man nicht mehr, wo war das noch mal mit der Lautstärke“, sagt Braband. Menschen im Einsatz von Medien zu schulen, ist ihr Metier. Vor ihrem Ruhestand, so Braband, hat sie Sprachlehrer am Bundessprachenamt zum Einsatz von PC und Internet im Unterricht geschult.

Beim jüngsten AWO-Kaffeenachmittag im evangelischen Gemeindehaus Engers standen fünf der sechs Bendorfer Digital-Botschafter für ihre Sprechstunde bereit (hinten von links): Michael Stieling, Josef Dammers, Hans-Peter Mejda sowie (vorne) Ingrid Braband (links) und Heike Knaack.
Cordula Sailer-Röttgers

Auch Fragen zu WhatsApp gebe es in den Sprechstunden der Digital-Botschafter immer wieder. Denn der Messenger-Dienst wird gern genutzt, um zu Kindern und Enkeln Kontakt zu halten. Aber auch für Kontoeröffnungen, zum Beispiel bei Amazon, ist die Hilfe der Digital-Botschafter gefragt. Angeboten werden zudem Hausbesuche – etwa bei Router-Problemen, die sich nur vor Ort lösen lassen, oder wenn die Senioren nicht mehr mobil sind. Braband erinnert sich an einen 90-jährigen Herrn, der die Heckscheibenwischer fürs Auto gern online bestellen wollte, „weil sie dort günstiger sind als in der Werkstatt“. Allein traute er sich das aber nicht.

Auch wenn es in manchen Fällen um Basiswissen geht, reicht eine kurze Erklärung der Enkel oft nicht aus, weiß Heike Knaack, ebenfalls Digital-Botschafterin in Bendorf. Schließlich seien Senioren eben nicht mit der Digitalisierung aufgewachsen. Schon die Wischbewegungen auf einem Touchscreen könne für viele Ältere schwierig sein. „Die drücken drauf“, erklärt Knaack. „Ich sage dann: Nein, das bringt nichts, wenn ich da draufdrücke. Da muss man kurz drüberwischen.“ Wer das Wischen nicht beherrscht, für den kann schon allein das Annehmen von Anrufen auf dem Smartphone zur Herausforderung werden.

„Da kann man jede Frage stellen, egal, ob sie dumm ist oder nicht – man bekommt Hilfe.“
Uta Leymann hat sich schon Hilfe bei den Digital-Botschaftern geholt

Heike Knaack war im Gesundheitsbereich tätig, ist nun im Ruhestand. Sie hat erlebt, wie QR-Codes zum Abrufen von Röntgenbildern ältere Patienten überfordert haben. Nun hilft sie Älteren ehrenamtlich, sich im Digital-Dickicht besser zurechtzufinden. „Wir schauen, wie wir helfen können“, sagt Heike Knaack. Könne sie selbst ein Problem nicht lösen, gebe es noch fünf weitere Digital-Botschafter im Team, die teils größeres oder anderes Wissen haben. Sie leiste vor allem Hilfestellung bei der allgemeinen Kommunikation über Smartphone und Tablet. Andere seien fitter, wenn es um das Aufspielen von Windows-Updates oder Einstellungen am PC gehe.

Zu den Gästen beim AWO-Kaffeenachmittag gehört diesmal Uta Leymann. Sie kennt die Digital-Botschafter seit einem dreiviertel Jahr. „Wir waren schon längst pensioniert, als das mit dem Smartphone losging“, sagt die 83-Jährige. Sie schätzt die Angebote der Botschafter. „Da kann man jede Frage stellen, egal, ob sie dumm ist oder nicht – man bekommt Hilfe.“

Uta Leymann (rechts) lässt sich von der Digitalisierung nicht schrecken und lernt gern Neues dazu. Sie schätzt die Angebote der Digital-Botschafter Bendorf, zu denen Ingrid Braband (links) gehört.
Cordula Sailer-Röttgers

Sie selbst habe sich etwa helfen lassen, als manche Bilddateien beim Übertragen auf ihren Laptop doppelt auf dem Rechner gelandet sind. Von der Digitalisierung schrecken lässt sie sich nicht. „Man ist neugierig“, sagt Leymann. „Dann denkt man sich: Wieso, das kann man doch mitmachen.“

Ein Kaffee-Gast ihr gegenüber fühlt sich jedoch manchmal ausgeschlossen durch die zunehmende Digitalisierung. „Muss das sein, dass man die Einkaufsrabatte nur über die App anbietet?“, fragt der 80-Jährige mit Blick auf Rabattaktionen von Supermarktketten, die nur digital laufen.

Evangelische Kirchengemeinde sieht Angebot positiv

Geärgert habe er sich anfangs auch, dass bei Anrufen beim Arzt immer gleich der Anrufbeantworter anspringt – und dass Arzttermine praktisch nur noch online vereinbart werden könnten. Mittlerweile habe er aber keine Schwierigkeiten mehr damit. Von den Digital-Botschaftern hat er sich schon mehrfach helfen lassen – etwa, um via Zoom an einer Veranstaltung der Rhein-Zeitung teilnehmen zu können.

Auf dem Weg zum Konfirmanden-Unterricht schauen auch Pfarrerin Natalie Wilcke und Diakonin Muni Hammann beim Kaffeenachmittag der AWO vorbei. Das Angebot der Digital-Botschafter werde gut angenommen. „Die sind super aufgestellt“, sagt die Diakonin mit Blick auf das Know-how in der Gruppe. Die Anfragen der Senioren würden gut beantwortet. Und auch die Kirche, so Natalie Wilcke, wird digitaler. Wer beispielsweise den „Gemeindegruß“ an den Ausgabestellen nicht mehr auf Papier vorfindet oder ihn lieber auf dem Smartphone liest, kann ihn via QR-Code abrufen.

Elektronische Patientenakte als nächstes großes Thema

Als um 17 Uhr der AWO-Kaffeenachmittag im evangelischen Gemeindehaus endet, geht so mancher Teilnehmer mit mehr Wissen über seine Social-Media-App oder sein Smartphone nach Hause. Helfen konnten die Digital-Botschafter etwa beim Löschen von Nachrichtenentwürfen auf WhatsApp oder bei Privatsphäre-Einstellungen auf Facebook.

In der digitalen Welt gibt es immer wieder Neues zu entdecken – auch für die Digital-Botschafter selbst. Die Medienanstalt Rheinland-Pfalz bietet nach eigenen Angaben regelmäßig Fortbildungen für die Botschafter an – zu digitalen Themen, aber auch zu Themen wie Didaktik oder Öffentlichkeitsarbeit. Ingrid Braband und ihre Mitstreiter sind schon am nächsten großen Thema dran: Sie werden zur Elektronischen Patientenakte geschult.

Nähere Informationen zu den Digital-Botschaftern, ein Bewerbungsformular für potenzielle Botschafter sowie eine Landkarte, auf der Ansprechpartner vor Ort zu finden sind, gibt es online unter www.digital-botschafter.silver-tipps.de

Wer die Digital-Botschafter Bendorf erreichen will, kann dies per Mail an di-bo-team.bendorf@magenta.de

Rhein-Zeitung unterstützt Digital-Botschafter

Die Rhein-Zeitung unterstützt das Engagement der Digital-Botschafterinnen und Digital-Botschafter. Sie gehören selbst zu den Botschafterinnen und Botschaftern, bieten Sprechstunden an oder planen eine Veranstaltung, die Sie gern in unserer Zeitung ankündigen möchten? Dann wenden Sie sich gern an Carlos Alexandre aus unserer Marketingabteilung, per E-Mail an carlos.alexandre@rhein-zeitung.netred

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