Rheinland-Pfalz
Apotheken-Schwund und Wut auf Lauterbach: Drohen bald Apotheker-Streiks im Land?
Medikamentenversorgung
Bisher dürfen Apotheken nur von Apothekern geleitet werden. Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) indes möchte, dass künftig auch erfahrene PTAs in Filialapotheken eingesetzt werden können.
Monika Skolimowska/dpa

Die Zahl der Apotheken in Rheinland-Pfalz ist auf einen neuen Tiefstand gesunken. Und immer mehr Stimmen erheben sich gegen eine aktuell von Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) geplante Apotheken-Reform. Ist in Rheinland-Pfalz also bald auch mit einem Streik der Apotheker zu rechnen? Wir haben bei Experten nachgefragt.

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Gehen rheinland-pfälzische Apotheker bald auf die Barrikaden – und wird es zu Streiks kommen? Weil die Zahl der Apotheken im Land im ersten Halbjahr dieses Jahres auf einen neuen Tiefstand gesunken ist? Und der Apotheker-Schuh inzwischen an zu vielen Stellen drückt? Fragen wie diese hat unsere Zeitung der Landesapothekerkammer Rheinland-Pfalz und einem Apotheker aus Sinzig gestellt. Vorab sei schon verraten: In deren Analysen kommt Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) ganz und gar nicht gut weg.

832 Apotheken gibt es in ganz Rheinland-Pfalz noch

In Rheinland-Pfalz gibt es laut aktuellen Angaben des Apothekerverbandes Rheinland-Pfalz noch 832 öffentliche Apotheken. Das sind exakt 20 weniger als noch sechs Monate zuvor. Und der Rückgang liegt mit 2,3 Prozent sogar über dem bundesweiten Schnitt (minus 1,6 Prozent).

Wie ist der Tiefstand zu erklären?

Peter Stahl von der Landesapothekerkammer Rheinland-Pfalz sagt, dass man den drastischen Rückgang der Apothekenzahlen in Rheinland-Pfalz seit Jahren mit großer Sorge beobachte: „Die originäre Aufgabe der Apotheken vor Ort, die ordnungsgemäße Versorgung der Bevölkerung mit Arzneimitteln, wird damit immer schwieriger, gerade im Nacht- und Notdienst, für den die Kammer zuständig ist“.

Doch was sind die Gründe für den Rückgang? Stahl geht ins Detail: „Diese liegen zu einem großen Teil darin, dass die Apotheken seit über zehn Jahren von der wirtschaftlichen Entwicklung im Bereich der verschreibungspflichtigen Arzneimittel abgekoppelt sind.“ Diese machten aber einen Großteil des Umsatzes einer Apotheke aus, häufig bis zu 80 Prozent.

Stahl: „Das sogenannte Fixum, mit dem unsere pharmazeutische Beratungsleistung unabhängig vom Arzneimittelpreis vergütet werden soll, ist seit 2004 einmal geringfügig angehoben worden, nämlich 2013. Gleichzeitig sind aber die Kosten für Personal, Dokumentationsaufgaben und Inflation, um nur einige Faktoren zu nennen, deutlich gestiegen. Auf dieses Missverhältnis hat der Berufsstand immer wieder hingewiesen, leider stellt sich der Bundesgesundheitsminister taub und ignoriert die Zahlen.“

„Optimistisch stimmende Zukunftsperspektiven sehen anders aus!“

Stattdessen habe Gesundheitsminister Lauterbach den Kassenabschlag, das heißt den „Rabatt“, den die Apotheken den gesetzlichen Krankenkassen gewähren müssen, von 1,77 Euro auf 2 Euro erhöht. „Eine weitere zusätzliche Belastung der Apotheken“, kritisiert Stahl.

Hinzu komme die Nachwuchsproblematik: Die jüngere Generation, so Stahl weiter, habe oftmals eine andere Herangehensweise an das Berufsleben allgemein, insbesondere erscheine ihnen die Selbstständigkeit als wenig attraktiv: „Eine wirtschaftlich ausgesprochen unsichere Entwicklung erhöht natürlich die Bereitschaft nicht, eine öffentliche Apotheke zu übernehmen oder neu zu eröffnen.“ Zahlen aus 2023 zeigen laut Stahl, dass 10 Prozent der Apotheken-Betriebe im Bundesgebiet kein positives Betriebsergebnis erzielen konnten, 14 Prozent eines von maximal 50.000 Euro und weitere 10 Prozent eines von maximal 70.000 Euro. „Optimistisch stimmende Zukunftsperspektiven sehen anders aus!“, zieht Stahl ein erstes Zwischenfazit.

Lauterbachs Reformpläne stoppen?

An den Reformplänen von Gesundheitsminister Lauterbach, nach welchen der Markt liberalisiert werden soll, indem Filialapotheken künftig auch von erfahrenen Pharmazeutisch-technischen Assistenten (PTA) geführt werden können, lässt Stahl kein gutes Haar. Lauterbach wolle „unter dem Deckmantel angeblicher Liberalisierung den Betrieb von Apotheken ohne Apothekerin oder Apotheker ermöglichen, wenn diese bei Bedarf digital zugeschaltet werden können“.

Das höre sich modern an, so Stahl, aber: „Damit legt er die Axt an den Stamm der Arzneimittelversorgung, die wir seit Jahrzehnten kennen. Damit wird ihre Struktur in kurzer Zeit zerstört sein. Dies mag man politisch so wollen. Dann soll man das aber auch den Menschen in unserem Land offen sagen.“

Wird es also zu Streiks kommen müssen? Stahl wird bei dieser Frage noch nicht konkret, erklärt aber: „Die Form und Ausprägung möglicher Protestaktionen werden Verband und Kammer in Rheinland-Pfalz in enger Absprache untereinander und mit unserer Bundesebene je nach Verlauf des parlamentarischen Verfahrens zu gegebener Zeit entscheiden.“

Von der Politik erhoffe man sich nun Gesprächsbereitschaft. Stahl: „Im Fall des Bundesministers habe ich persönlich die Hoffnung auf diese Bereitschaft aufgegeben. Aber wir versuchen mit möglichst vielen Abgeordneten und Entscheidern auf Bundes- wie auf Landesebene Gespräche zu führen und sie davon zu überzeugen, dass es jetzt um die Arzneimittelversorgung der Bevölkerung und deren Qualität geht. Und darum, dieses Gesetzesvorhaben zu stoppen.“

Könnte Geschlechterstruktur ein Grund sein?

Auch der Sinziger Apotheker Julius Arnold blickt mit großer Sorge auf die Entwicklungen. Er führt als weiteren möglichen Grund für die sinkende Apotheken-Zahl im Land die „Geschlechterstruktur des pharmazeutischen Personals“ ins Feld. Über 71 Prozent der approbierten Fachkräfte seien weiblich, diese machten indes „nur“ 49,3 Prozent der Inhaberinnen öffentlicher Apotheken aus.

Arnold ordnet ein: „Das liegt bis zu einem gewissen Grad auch an der Sicherheit, die eine Anstellung, in welchem Bereich auch immer, mit sich bringt. Aber auch daran, dass viele Frauen den überwiegenden Teil der Zeit der Kinderbetreuung übernehmen, sodass häufig eine Beschäftigung in Teilzeit eine attraktive Variante darstellt.“

Lauterbachs Pläne – unrealistisch?

Lauterbachs Reform will es künftig auch erfahrenen Pharmazeutisch-technischen Assistenten (PTA) ermöglichen, Filialapotheken zu führen; approbierte Apotheker sollen ihrerseits nur noch acht Stunden pro Woche in der Apotheke anwesend sein müssen.

All dies hält auch Arnold für realitätsfern – und falsch: „Mit dem neuen Tarifvertrag wird nochmal deutlich, dass keine PTA der Welt für 2837 Euro für das sechste bis achte Berufsjahr an vier von fünf Tagen in der Woche die Apotheke öffnet und dort die Verantwortung übernimmt, ohne adäquat zu verdienen – mit gutem Recht!“

Voller Unverständnis führt der Sinziger Apotheker weiter aus: „Und welcher Inhaber wird sich begeistert dafür aussprechen, die Haftung für jedes Handeln in der Apotheke zu übernehmen, wenn er maximal acht Stunden die Woche vor Ort ist – und sonst keine Approbierten dort arbeiten?!“

Wenn man sich darüber hinaus die Anzahl an Approbierten in den Apotheken anschaue sowie die Anzahl an PTAs, „die de facto für den Betrieb mindestens genauso wichtig sind wie die Approbierten“, habe man es bei genauerer Betrachtung nicht mit einem Apothekermangel, sondern einem Mangel an gut ausgebildeten, qualifizierten und fair bezahlten Fachkräften (PTAs) zu tun.

Viel zu lange Fahrtwege zur Notdienst-Apotheke?

Arnold ist in Korrespondenz mit unserer Zeitung – mit Blick auf Minister Lauterbach – auch nicht um fast dystopisch anmutende Prognosen zum Gesundheitssektor allgemein verlegen: „Der nächste logische Schritt nach einer derartigen Reform ist dann die Abschaffung der Ärzte in den Praxen, damit Medizinische Fachangestellte oder anderes medizinisches Fachpersonal dann eine ,Filiale‘ auf dem Land eröffnen können und entsprechend im Zweifelsfall per Telemedizin jemanden zuschalten. Rein rechtlich ist das auf dem gleichen Niveau wie die Abschaffung der Approbierten in den Apotheken.“

Doch zurück zu den Apotheken. „Bereits jetzt haben wir in Deutschland teilweise 20 Kilometer weite Wege bis zur nächsten notdiensthabenden Apotheke“, berichtet Arnold weiter. „Wenn nun also das Apothekensterben so weiter geht, haben wir spätestens Anfang 2025 weniger als 800 Apotheken in Rheinland-Pfalz, die für die Versorgung von 4.150.000 Menschen zuständig sind.“

Auch die „nicht enden wollenden Arzneimittelengpässe“ rügt der Apotheker aus Sinzig. Mit einem Verweis auf ein anschauliches Beispiel: „Gestern Nacht hatte ich einen jungen Mann, der dringend ein Antibiotikum brauchte – und es erst bei uns, in der vierten Apotheke, die er angefahren hat, gefunden hat. Wenn wir all das zusammennehmen, dann führt das dazu, dass die Beteiligten in einer solchen Ausnahmesituation absolut hilflos und unverschuldet zusätzlich gestresst werden, weil das Gesundheitssystem jahrelang vernachlässigt wurde.“

„Geschlossenheit in der Apothekerschaft“ zeigen?

Braucht es – mit Blick auf all diese Kritikpunkte – also zwingend einen Apothekerstreik im Land? Arnold sagt – ja: „Wenn eine Woche lang 80 Millionen Menschen selbst für ihre Standardarznei in die Notapotheke fahren müssen und sich dort ewig lange Schlangen bilden, dann kommt eine solche Information auch endlich bei der Politik an – und in der breiten Bevölkerung.“

Hessen habe es vorgemacht – nach zweitägigen Streiks sei man dort mit der Politik ins Gespräch gekommen. Arnold resümiert: Es gehe jetzt darum, der Politik zu zeigen, dass sie nicht machen könne, was sie wolle. Und darum “Geschlossenheit in der Apothekerschaft zu zeigen und endlich mal Lobbyarbeit zu betreiben, wie es die Krankenkassen seit Jahren schon machen!"

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