Rheinland-Pfalz/Koblenz
Am Freitag fällt der Startschuss für den Medizincampus: Studium in Koblenz startet im Wintersemester 2024
Sie absolvieren ihr Praktisches Jahr im Bundeswehrzentralkrankenhaus in Koblenz, ab Ende 2024 sollen auch Medizinstudierende ab dem 5. Semester am BwZK sowie an weiteren Kliniken am Medizincampus Koblenz klinisch ausgebildet werden: Leutnant Laura Blume (rechts) und Inka Krieger üben an einem Simulator für minimalinvasive Operationen.
Sascha Ditscher

Der Medizincampus Koblenz, die klinische Ausbildung von Medizinstudierenden ab dem fünften Semester, gilt als wichtiger Baustein im Kampf gegen den immer drängender werdenden Ärztemangel im nördlichen Rheinland-Pfalz. Seit Monaten wird über die Idee des Bundeswehrzentralkrankenhauses und mehrerer Kliniken in der Region Koblenz diskutiert und verhandelt. Jetzt gibt es einen Durchbruch.

Sie absolvieren ihr Praktisches Jahr im Bundeswehrzentralkrankenhaus in Koblenz, ab Ende 2024 sollen auch Medizinstudierende ab dem 5. Semester am BwZK sowie an weiteren Kliniken am Medizincampus Koblenz klinisch ausgebildet werden: Leutnant Laura Blume (rechts) und Inka Krieger üben an einem Simulator für minimalinvasive Operationen.
Sascha Ditscher

Es ist vollbracht: Nach monatelangen Verhandlungen und einem zähen Tauziehen zwischen Land, Bund, Unimedizin Mainz und Krankenhausträgern fällt am Freitag der Startschuss für den Medizincampus Koblenz. Während einer gemeinsamen Pressekonferenz stellen Gesundheitsminister Clemens Hoch, Ulrich Förstermann, wissenschaftlicher Vorstand und Dekan der Unimedizin Mainz, zusammen mit Vertretern des Kommandos Sanitätsdienst der Bundeswehr und des Landeskrankenhauses in Andernach das Konzept für die klinische Ausbildung von Medizinstudierenden am Standort Koblenz vor. Neben Trier wird dies der zweite Medizincampus im Land sein.

Mainz, Trier oder Koblenz

Aus Regierungskreisen erfuhr unsere Zeitung, dass am Medizincampus Koblenz ab dem Wintersemester 2024/2025 pro Semester bis zu 25 Studierende der Unimedizin Mainz klinisch ausgebildet werden sollen. Da sich die angehenden Mediziner für ein Studium in Mainz beworben haben, soll das Angebot, den im fünften Semester beginnenden klinischen Teil in Koblenz zu absolvieren, zunächst freiwillig sein.

Die Projektpartner, zu denen neben dem Bundeswehrzentralkrankenhaus (BwZK) das Gemeinschaftsklinikum Mittelrhein (GKM), das Katholische Klinikum Koblenz-Montabaur (KKM), die Marienhaus GmbH sowie das Landeskrankenhaus in Andernach gehören, hoffen aber nach Informationen unserer Zeitung darauf, dass sich künftig jährlich tatsächlich 50 Studierende aus Mainz für die klinische Ausbildung in Koblenz entscheiden. Und perspektivisch sollen sich die Medizinstudierenden demnach entscheiden müssen, ob sie ihre klinische Phase in Mainz, Trier oder Koblenz durchlaufen wollen.

Sie üben im Praktischen Jahr unter Anleitung von Stabsarzt Phillipp Beck an einem Simulator für minimalinvsive Operationen: Leutnant Laura Blume (links) und Inka Krieger. In einem Jahr können hier auch Fünftsemester der Unimedizin Mainz an einem Medizincampus Koblenz ausgebildet werden.
Sascha Ditscher

Sollten diese Studierenden bis zum zehnten Semester im Norden von Rheinland-Pfalz bleiben, dann dürften schon nach drei Jahren mindestens 150 angehende Mediziner am Campus Koblenz zeitgleich ausgebildet werden. Die ursprünglichen Pläne in Koblenz waren jedoch deutlich ambitionierter: In ihrem unter der Federführung des BwZK entstandenen und im April vorgelegten Konzept für einen „Campus Koblenz der Universitätsmedizin Mainz“ hatten die Projektpartner mit einer Startkapazität von 36 klinischen Medizinstudierenden pro Semester geplant. Diese sollte mittelfristig auf 48 bis 60 Studierende ausgebaut werden.

BwZK-Kommandeur Jens Diehm hatte zu Beginn des Jahres im Gespräch mit unserer Zeitung sogar in Aussicht gestellt, dass der Medizincampus schon im Sommersemester 2024 mit der Ausbildung von 48 klinischen Medizinstudierenden starten könne.

Beobachter halten Startzeitpunkt des Medizincampus Ende 2024 für vernünftiger

Jetzt soll der Medizincampus also später und mit deutlich heruntergeschraubten Studierendenzahlen starten. Allerdings halten Beobachter dies für eine zum Auftakt eher zu stemmende Größe und für einen vernünftigeren, realistischeren Startzeitpunkt. Denn zwar sind alle beteiligten Kliniken bereits Lehrkrankenhäuser der Unimedizin Mainz, auch gibt es in den sieben beteiligten Krankenhäusern im Raum Koblenz und Umgebung laut den Projektpartnern insgesamt mehr als 30 Hochschullehrer für unterschiedliche klinische Fächer. Doch der Aufbau der Infrastruktur und des Verwaltungspersonals sowie die Entwicklung des mit der Unimedizin Mainz abgestimmten Ausbildungsplans dürften Zeit und Geld brauchen.

Wissenschaftsminister Clemens Hoch
Der rheinland-pfälzische Gesundheitsminister Clemens Hoch
Arne Dedert. Arne Dedert/picture alliance/dpa

Zum Hintergrund: Die klinische Phase des Medizinstudiums ist der eigentliche begrenzende Faktor, quasi der Flaschenhals des Medizinstudiums. Der rheinland-pfälzische Gesundheitsminister Clemens Hoch (SPD) hat es zu Jahresbeginn so ausgedrückt: „Das Patientenbett – nicht der Hörsaal – ist der Kapazitätsengpass. Die Studienplatzkapazität hängt an der Größe und der Bettenkapazität einer Hochschule, vor allem im klinischen Bereich.“

Derzeit gibt es an der Uni Mainz pro Jahr 450 Medizinstudienplätze, aber nur für den vorklinischen Teil des Studiums, der mit dem Physikum nach dem vierten Semester endet. Nach erfolgreicher Zwischenprüfung wechseln die angehenden Mediziner vom fünften bis zum zehnten Semester in den klinischen Teil. 2022 gab es laut Unimedizin Mainz 432 Studierende im ersten klinischen Semester, für die es in Mainz aber nur 277 Studienplätze gab. Es fehlten also faktisch 155 klinische Studienplätze.

Vorbild für das Koblenzer Projekt ist der Medizincampus in Trier

Etwas Entlastung gibt es seit 2020 durch den in Trier etablierten Medizincampus. Dort findet die klinische Ausbildung auf dem Gelände der Vereinigten Hospitien an der Mosel bislang aber nur für das neunte und zehnte Semester statt. Im aktuellen Wintersemester sind 33 angehende Mediziner in die beiden letzten Semester vor dem Praktischen Jahr in den zwei Krankenhäusern an der Mosel gestartet – die bislang höchste Zahl Studierender am Medizincampus Trier. Allerdings wurde die theoretisch mögliche Zahl von 60 Plätzen im neunten und zehnten Semester dort bislang nie erreicht. Denn auch der Medizincampus Trier basiert auf einer freiwilligen Teilnahme der Mainzer Studierenden.

Dennoch wollen die Uniklinik Mainz und die beiden Trierer Krankenhäuser das klinische Studium an der Mosel künftig auch auf das siebte und achte Semester ausweiten. Außerdem will die Mainzer Unimedizin die Zahl der Studierenden mit einem Losverfahren steigern, um den Campus voll auszulasten. Denn allein in diesem Jahr steckt die Landesregierung 7,2 Millionen Euro in den Campus – damit werden unter anderem sieben Mitarbeitende in Trier und zwei in Mainz finanziert.

Finanzierung des Medizincampus war bis zuletzt ein zentraler Knackpunkt

Die Finanzierung des Medizincampus Koblenz war nach Informationen unserer Zeitung bis zuletzt ein zentraler Knackpunkt auf dem Weg zum jetzigen Startschuss. Zwar hatten Gesundheitsminister Hoch und die Unimedizin Mainz nach anfänglich großer Zurückhaltung Ende April keine grundsätzlichen Bedenken mehr gegen das Projekt. Doch in den Monaten danach wurde nicht nur an dem Konzept gefeilt, vor allem ging es nach Recherchen unserer Zeitung um die finanzielle Absicherung des Medizincampus.

Es ist zu erwarten, dass sich der Bund in erheblichem Maße bei der Weiterentwicklung von Forschung und Lehre am Bundeswehrzentralkrankenhaus engagieren wird. Davon würde auch die Etablierung eines Medizincampus Koblenz profitieren. Wir rechnen dabei mit Erstinvestitionen im niedrigen zweistelligen Millionenbereich sowie mit laufenden jährlichen Kosten im niedrigen einstelligen Millionenbereich.

Das sagte BwZK-Kommandeur Jens Diehm unserer Zeitung zu Beginn des Jahres

BwZK-Kommandeur Diehm hatte im Gespräch mit unserer Zeitung im Januar gesagt: „Es ist zu erwarten, dass sich der Bund in erheblichem Maße bei der Weiterentwicklung von Forschung und Lehre am Bundeswehrzentralkrankenhaus engagieren wird. Davon würde auch die Etablierung eines Medizincampus Koblenz profitieren. Wir rechnen dabei mit Erstinvestitionen im niedrigen zweistelligen Millionenbereich sowie mit laufenden jährlichen Kosten im niedrigen einstelligen Millionenbereich.“ Hintergrund ist, dass der Ärztliche Direktor den Auftrag hat, sein Haus zu einer Klinik auf dem Niveau einer Unimedizin weiterzuentwickeln.

Außerdem sollen am Medizincampus Koblenz laut Diehm auch Sanitätsoffiziersanwärter ihre klinische Studienphase durchlaufen. „Für die Erfüllung dieser Aufträge brauchen wir Geld vom Bund. Davon könnte Rheinland-Pfalz profitieren. So günstig kommt das Land an keine vergleichbare Struktur.“ Auch für die Infrastruktur wie Hörsäle, Studierendenwerk oder Forschungsräume sei ausreichend Platz im BwZK, wo gerade ein 300 Millionen Euro teurer Neubau entsteht.

Das Bundeswehrzentralkrankenhaus ist der Nukleus für das Projekt Medizincampus Koblenz. Derzeit wird das Krankenhaus für mehrere Hundert Millionen Euro erneuert.
Sascha Ditscher

Nach unseren Recherchen gab es seit April Gespräche auf höchster Ebene darüber, wie sich diese Zusagen auch schriftlich fixieren lassen. Ein wichtiger Meilenstein wurde Mitte November erreicht, als der Medizincampus namentlich im Bundeshaushalt 2024 verankert wurde – in Form von Planungskosten in Höhe von 200.000 Euro im Etat des Verteidigungsministeriums.

Auch wenn die Summe im Vergleich zu den eigentlichen Kosten verschwindend gering ist, wurde dieser Beschluss der Ampelfraktionen SPD, FDP und Grünen als klares Bekenntnis zum Medizincampus gewertet. „Durch diesen Änderungsantrag bekommt das Ministerium einen klaren Handlungsauftrag des Gesetzgebers“, betonte der SPD-Bundestagsabgeordnete Thorsten Rudolph, der für seine Partei im Haushaltsausschuss sitzt. Thomas Hitschler, parlamentarischer Staatssekretär im Ministerium, habe ihm auf Nachfrage noch für November 2023 ein Umsetzungskonzept für den Medizincampus in Aussicht gestellt. Dieses soll jetzt vorgestellt werden.

Haushaltsmittel liegen erst einmal auf Eis

Zwar gehen alle Beteiligten nach Informationen unserer Zeitung davon aus, dass die Mittel für den Medizincampus auch die aktuelle Haushaltssperre infolge des Bundesverfassungsgerichtsurteils überleben werden. Doch faktisch hat die Entscheidung von Bundesfinanzminister Christian Lindner (FDP) auch das Geld für das Koblenzer Projekt erst einmal auf Eis gelegt.

Auch dies dürfte ein Grund dafür sein, warum am Freitag Minister Hoch, ein Vertreter des Sanitätsdienstes der Bundeswehr sowie der Geschäftsführer des Landeskrankenhauses, Alexander Wilhelm, einen sogenannten Letter of Intent, also eine Absichtserklärung für den Medizincampus Koblenz unterzeichnen werden. In Regierungskreisen betont man, dass es jetzt kein Zurück mehr geben wird. Das sei der Startschuss für den Medizincampus Koblenz, nach dem man das Projekt weiter mit viel Engagement und Überzeugung verfolgen werde.

Der Klebeeffekt: Medizincampus könnte gegen Ärztemangel im Norden des Landes wirken

Der Medizincampus gilt als sehr wichtiger Baustein bei der Bekämpfung des Ärztemangels, der schon jetzt auch im nördlichen Rheinland-Pfalz immer mehr um sich greift. Jens Diehm, der ärztliche Direktor des BwZK ist, setzt auf den Klebeeffekt: „Ein Teil der Medizinstudenten, die in unserer Region den klinischen Teil ihres Studiums absolvieren, bleibt kleben. Viele Fachärzte, aber auch Allgemeinmediziner bleiben dort, wo sie ihre klinische Ausbildung durchlaufen haben.“

Mitte 2023 gab es im Planungsbereich Mittelrhein-Westerwald – dazu gehören neben der Stadt Koblenz die Kreise Ahrweiler, Altenkirchen, Cochem-Zell, Mayen-Koblenz, Neuwied, Rhein-Hunsrück-Kreis, Rhein-Lahn-Kreis und Westerwaldkreis – 825 Hausärzte, von denen fast 47 Prozent älter als 60 Jahre, 76 Prozent älter als 50 waren. Das mittlere Alter betrug 58 Jahre. Bei den knapp 1100 Fachärzten betrug es 56 Jahre. Von ihnen waren 38 Prozent älter als 60, 70 Prozent älter als 50 Jahre. Der Nachbesetzungsbedarf wird also schon bald sehr groß sein.

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