Rheinland-Pfalz
Ahr-Ortschef im U-Ausschuss: „ADD kann doch keine Krisenbewältigung“
Altenahr: Ein Café ist nach der Flut noch immer verwüstet.
picture alliance/dpa

Rheinland-Pfalz. Sie waren in den ersten Tagen nach der Tragödie auf sich alleine gestellt – und packten unbürokratisch dort an, wo es notwendig war: Das berichten mehrere Ahr-Ortsbürgermeister im parlamentarischen Untersuchungsausschuss zur Flutkatastrophe. Peter Richrath, Ortsbürgermeister von Antweiler, sagt: „Es waren nicht nur Tage, sondern Wochen, in denen wir uns selbst geholfen haben.“

Altenahr: Ein Café ist nach der Flut noch immer verwüstet.
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Udo Adriany, Ortschef von Müsch, erklärt, „keiner hätte sich vorstellen können, dass man in eine solche Situation kommt, in der man nur improvisieren kann“. Man habe aber von außen „unglaublich viel Hilfe“ erfahren.

Adriany übt im Untersuchungsausschuss auch Kritik: „Dieses Nachkarten finde ich nicht angebracht, das hilft keinem mehr.“ Helmut Lussi, Ortschef von Schuld, ergänzt: „Diese Katastrophe konnte keiner vorausahnen“, es habe damit keiner gerechnet. Den vielen freiwilligen Helfern zollt er seinen Respekt: „Ohne sie wäre das Ahrtal nicht so schnell aufgeräumt gewesen.“

Hubertus Kunz, bis September 2021 Ortsbürgermeister von Mayschoß, berichtet von einem Telefonat mit dem damaligen Ahrweiler Landrat Jürgen Pföhler (CDU). Sie telefonierten, als sich Kunz mit seiner Familie am 14. Juli 2021 abends auf das Dach seines Wohnhauses gerettet hatte. Kunz sagt, Pföhler sei „vollkommen von der Rolle“ gewesen, „so habe ich den noch nie erlebt“. In dieser Sekunde sei ihm klar gewesen: „Wir haben im Kreis Ahrweiler keinen Krisenstab.“

“Wir müssen uns selbst helfen„

Weil er bei einem Telefonat mit der damaligen Bürgermeisterin der Verbandsgemeinde (VG) Altenahr, Cornelia Weigand (parteilos), einen ähnlichen Eindruck gewonnen habe, sei er „schon gebrieft“ gewesen: „Wir müssen uns selbst helfen.“ Lussi sagt in Richtung des Ex-Landrats, gegen den die Staatsanwaltschaft ermittelt: „Für mich hat der Hauptschuldige in der Kreisverwaltung Ahrweiler gesessen.“

Deutliche Kritik üben mehrere Zeugen an der für den Katastrophenschutz im Land zuständigen Aufsichts- und Dienstleistungsdirektion (ADD). Sie hatte ab dem 17. Juli 2021 im Auftrag des Landes die Einsatzleitung übernommen. Guido Nisius, Bürgermeister der VG Adenau, schildert, dass seine Mitarbeiter teilweise verzweifelt seien, weil kein wirklicher Ansprechpartner bei der ADD erkennbar gewesen sei. Die Hilfe sei „sehr unkoordiniert“ und „am Bedarf vorbei“ gelaufen, so der 55-Jährige.

Immer neue ungelernte Einsatzkräfte

Guido Nisius, Andreas Geron (Sinzig) und weitere Zeugen bemängeln, dass nach der Katastrophe immer wieder neue, ungelernte Einsatzkräfte in die Ortschaften gekommen seien. Nisius spricht von „Einheiten, die wir gar nicht brauchen konnten“. Es seien viele „hoch dekorierte“ Feuerwehrleute aus München oder Berlin da gewesen, die für einen Tag vorbeigeschaut hätten und am nächsten Tag schon wieder verschwunden gewesen seien.

Helmut Lussi ergänzt: Selbst Mitglieder des Technischen Hilfswerks (THW) hätten es nicht verstanden, dass sie nach drei oder vier Tagen abgezogen worden seien. Dann sei wieder eine neue Einheit angerückt. Rüdiger Fuhrmann, Ortschef von Altenahr, erklärt: Es sei „leider zu oft“ der Fall gewesen, dass Leute ins Krisengebiet geschickt worden seien, um sich ein Bild der Lage vor Ort zu machen. Fuhrmann sagt: „Alle zwei, drei, vier Tage die Dinge neu erklären – das war für uns zermürbend.“

Hubertus Kunz, früher als Lehrer und im Bildungsministerium tätig, sagt weiter aus: Weil er die Stärken und Schwächen der ADD kenne, habe er am 19. Juli 2021 im Mainzer Innenministerium angerufen und dem Staatssekretär mitgeteilt: „Lasst uns bitte in Ruhe und in unserem Krisenstab weiterarbeiten.“ Der 72-Jährige wird deutlich: „Eine Aufsichtsbehörde kann keine Krise“. Die ADD könne einen abgeschlossenen Vorgang prüfen – „das können sie, aber sie können doch keine Krisenbewältigung“. Man habe den Leuten etwas aufgebürdet, was sie nicht könnten.

Gies schildert Erlebnis mit ADD, das ihn “entsetzt" hat

Horst Gies, ehrenamtlicher Kreisbeigeordneter und CDU-Landtagsabgeordneter, berichtet von einem Erlebnis mit der ADD, das ihn bis heute „zutiefst entsetzt und bewegt hat“. Am 20. Juli 2021 sei er mit Dirk Herber, heute Obmann der CDU-Fraktion im Untersuchungsausschuss und Vorsitzender des Innenausschusses des Landtags, zur Bundesakademie für Bevölkerungsschutz und Zivile Verteidigung (BABZ) gefahren, um sich ein Bild von der Einsatzleitung der ADD zu machen. Nur: Kurz nachdem sie zu einer Besprechung gebeteten worden seien, habe ADD-Präsident Thomas Linnertz (SPD) sie des Raumes verwiesen. Gies: „Ich habe mich furchtbar aufgeregt, dass man uns Informationen verwehrt hat.“

Auch Guido Orthen, CDU-Bürgermeister der Stadt Bad Neuenahr-Ahrweiler, schaut kritisch auf eine Begegnung mit der ADD. Bei einem Besuch in der BABZ in der Woche nach der Flutkatastrophe habe ihn Heinz Wolschendorf, Leiter des Referats Brand-, Katastrophen- und Zivilschutz der ADD, angesprochen. Und mitgeteilt: „Wir haben Ihre Stadt übernommen.“ Was Wolschendorf damit genau meinte, habe er zunächst nicht einordnen können. Später habe er die Aussage dann verstanden. Orthen: „Man findet nicht mehr statt.“ Im Endeffekt habe er aber die Dinge in der Stadt selbst organisiert, sagt Orthen und nennt Wasser, Strom und Abwasser als Beispiele.

Von Bastian Hauck

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