Hildesheim

Biologe Wolfgang Büchs im Interview: So hätte man die Flutwelle kappen können

Von Christian Schwägerl
Die Überreste einer Jahrhundertkatastrophe: In Dernau haben nach der Flut im Ahrtal die Aufräumarbeiten begonnen. Der Biologe Wolfgang Büchs sagt, dass die Flutkatastrophe auch die Folge von Fehlern beim Hochwasserschutz gewesen ist.  Foto: dpa
Die Überreste einer Jahrhundertkatastrophe: In Dernau haben nach der Flut im Ahrtal die Aufräumarbeiten begonnen. Der Biologe Wolfgang Büchs sagt, dass die Flutkatastrophe auch die Folge von Fehlern beim Hochwasserschutz gewesen ist. Foto: dpa

Die Flutkatastrophe im Ahrtal hat viele Menschenleben gekostet und ganze Ortschaften zerstört. Nach dem Schock wird die Frage nach Ursachen und Konsequenzen lauter. Der Biologe Wolfgang Büchs, Gastprofessor an der Uni Hildesheim und früherer wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Pflanzenbau und Bodenkunde des Julius-Kühn-Instituts, kennt das Ahrtal gut. Er ist unter anderem Hauptautor einer dreibändigen Monografie, die 2003 im Auftrag des Landesamts für Umwelt Rheinland-Pfalz entstanden ist. „Es wurde sehr viel falsch gemacht“, sagt der Biologe. Welche Rolle der Nürburgring bei den Fehlern der Vergangenheit gespielt hat, das erklärt der Biologe im Interview:

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Herr Büchs, Sie kennen das Ahrtal sehr gut, weil sie wissenschaftlich dort gearbeitet haben. Wie wirkt die Flutkatastrophe auf Sie?

Ich habe auch familiäre Beziehungen in die Region. Meine Schwester arbeitet in einer Apotheke, die total zerstört wurde. Es sieht aus wie nach einem Krieg. Das ist alles wirklich schrecklich.

Es gibt viele Täler in Deutschland – warum im Ahrtal, warum mit solchen Folgen?

Wir können historisch zurückverfolgen, dass es schon mehrere parallele Ereignisse gegeben hat, etwa am 30. Mai 1601, am 21. Juli 1804 und am 12./13. Juni 1910. Die Ursache für diese Hochwasser ist meistens Starkregen am Oberlauf der Ahr, im Bereich des Trierbaches, des Adenauer Baches und des Kesselingerbaches.

Warum wirkt sich der Starkregen hier so fatal aus?

Die Ahr hat mit rund 900 Quadratkilometern eigentlich ein relativ kleines Einzugsgebiet. Das grundsätzliche Problem ist, dass das typische Gestein – Schiefergestein aus dem Devon mit Silikaten – quasi komplett wasserundurchlässig ist. Wenn es da zu Starkregen kommt, fließt der einfach ab ins Tal. Die Seitenbäche verlaufen zudem sehr steil, da bekommt das Wasser eine hohe Geschwindigkeit. Das macht das Ahrtal zu einer Art Trichter, in dem so ein starker Regen gesammelt sehr schnell große Wassermassen bildet, die sich dann mit Gewalt ihren Weg suchen.

Wie stark war die Flut vom 15. Juli?

Die Flut stellt alles bisher Gewesene in den Schatten, auch die Hochwasserkatastrophe von 1910. Konkret begann sie mit einem Starkregen in der Gegend von Adenau, also in der Nähe des Nürburgrings. Am 14. Juli fielen 120 Millimeter pro Quadratmeter, während es zum Beispiel in Bonn deutlich weniger war. Die Wasserstände sind dann extrem schnell angestiegen. Der Pegel bei Altenahr lag am 13. Juli um 23 Uhr noch normal bei 70 Zentimetern. Am 14. Juli stieg er bis 13 Uhr schon auf 105 Zentimeter, um 19 Uhr auf 242 Zentimeter. Am 15. Juli zwischen 3 und 4 Uhr wurden dann 574 Zentimeter gemessen. Das war die Spitze – und die war gewaltig.

Aber diese Art von Geologie gibt es doch anderswo auch?

Nur nicht in dieser extremen Form. In der Eifel entleeren sich von Westen kommende Wolken gern zum ersten Mal. Jetzt kam hinzu, dass im Osten ein ausgeprägtes Hochdruckgebiet wie ein Riegel quer stand und dazu führte, dass sich das Regengebiet immer im Kreis gedreht und entleert hat. Dass im Ahrtal die zuführenden Bäche so steil sind und dass das Wasser nahezu komplett abfließt, hat die Katastrophe komplett gemacht. Und dann haben wir natürlich die ganzen Sünden der Vergangenheit.

Was meinen Sie damit?

Es wurde sehr viel falsch gemacht. Man hat in den 1970er-Jahren bei der Flurbereinigung und in der Zeit danach Bäche begradigt, Flurstücke deutlich vergrößert und im Weinanbau auch Abflussrinnen geschaffen, die senkrecht den Hang hinabführen. Das passt einfach nicht zu dieser Landschaft.

Es geht also nicht nur um Starkregen, sondern auch um die Art der Bewirtschaftung?

Es werden mitunter Weinberge der Einfachheit halber in der Hanglinie bewirtschaftet statt quer, was ökologisch besser wäre. Das trifft auch auf Äcker in den Hochflächen zu, wo Grünland, dessen Boden Wasser gut speichern kann, durch Mais für die Stallfütterung ersetzt wurde. Hinzu kommt Versiegelung – Straßen, Gewerbeflächen mit wasserundurchlässigem Belag. Das sind alles Puzzlesteine. Und dann wirkt da eines mit dem anderen zusammen – und in irre schneller Zeit sammelt sich sehr viel Wasser an.

Hat man nie überlegt, das Ahrtal auch mit technischen Mitteln besser zu schützen?

Doch, schon im 19. Jahrhundert hat man Sohlschwellen eingebaut und kleinere Wehre geschaffen, um die Geschiebefracht der Ahr zu reduzieren. Und in den 1920er-Jahren hat man als Reaktion auf die Flut von 1910 in großem Umfang Regenrückhaltebecken geplant, im Oberlauf der Ahr, im Trierbach, im Wirftbachtal und im Adenauer Bach.

Was leisten solche Sperren?

Das sind technische Sperren, die nur bei Starkregen aktiviert und geschlossen würden, ansonsten kann das Wasser frei fließen. Man hat damals Sperren mit einem Fassungsvermögen von 11,5 Millionen Kubikmetern geplant. Damit könnte man eine Hochwasserwelle locker kappen. Es ist aber bei den Planungen geblieben.

Warum?

Nach meinen Recherchen wegen des Baus des Nürburgrings, der 1927 eingeweiht wurde. Es war so kurz nach dem Ersten Weltkrieg kein Geld da, um beides zu machen, die Wahl fiel auf den Nürburgring. Eine Rennstrecke wirkte auf die Regierung in einer Zeit, in der sich die Automobile in die Allgemeinheit ausbreiteten, attraktiver als der Hochwasserschutz. So habe ich das zumindest im Landesarchiv in Koblenz den Unterlagen entnommen.

Sind Sie als Biologe und Naturfreund bei solchen Plänen nicht auch skeptisch?

Anders als mit einer Regenrückhaltung bekommen Sie das Problem wegen den naturräumlichen Gegebenheiten dort wahrscheinlich nicht in Griff.

Könnten die Menschen im Ahrtal jetzt vielleicht vermuten, die Renaturierung trage zumindest Mitschuld an der Katastrophe?

Das wäre ein Denkfehler.

Warum?

Zusätzlich dazu, dass das Tal wie ein Trichter ist, kommen zusätzliche Gefahren eben zum Beispiel aus früheren Begradigungen, dem früheren Entfernen von Ufervegetation und problematischen Praktiken im Weinbau. Die Naturschutzmaßnahmen dagegen helfen sehr, weil sie den Fluss in seiner Fließgeschwindigkeit verlangsamen und einiges mehr. Aber wie wir leider gesehen haben, reichen selbst solche Maßnahmen nicht aus, um das Tal gegen ein solches Extremereignis zu schützen. Da sehe ich Regenrückhaltebecken – auch in den Seitentälern – als nötig an.

Es ist im Zusammenhang mit der Katastrophe im Ahrtal aktuell viel von der Klimakrise die Rede – für wie relevant halten Sie dies?

Die Klimakrise ist sehr relevant. Wir müssen davon ausgehen, dass solche Wetterlagen wegen der Erderwärmung und allem, was damit zusammenhängt, öfter auftreten. Aber es geht dabei nicht nur um die Häufigkeit und Intensität von Starkregen und um die dringend nötige Reduktion unseres Ausstoßes von Treibhausgasen.

Sondern?

Es geht zum Beispiel auch um die Art der Forstwirtschaft, um das hitzebedingte Fichtensterben. In der Eifel hat man – wie in vielen anderen Regionen auch – schon im 19. Jahrhundert damit begonnen, die natürlichen Eichen-Buchen-Wälder durch die schnell wachsenden und damit profitableren Fichten zu ersetzen. Heute rächt sich das.

Wodurch?

Wenn Fichten absterben, dann stirbt auch das Wurzelwerk ab, und die Kapazität des Bodens sinkt, Wasser aufzunehmen. Überall Fichten zu pflanzen, war einer der größten Fehler. Den bezahlen wir jetzt teuer. Insofern ist auch die Forstwirtschaft sehr beim Hochwasserschutz gefragt.

Was wünschen Sie der Region und den Menschen im Ahrtal?

Kurzfristig kann man der Region nur viel Kraft wünschen, diese schweren Tage durchzustehen – und dann den Wiederaufbau mit Mut auch für eine Neuplanung vieler Bereiche anzupacken. Wir müssen uns alle der Tatsache stellen, dass die Klimakrise da ist und wir sie nicht mehr weiter vor uns herschieben können. Es geht insgesamt darum, die CO2-Emissionen zu reduzieren, und regional darum, andere Wege zu finden, auch im Umgang mit Wasser und Natur. Es wird nötig sein, wirklich alles auf den Prüfstand zu stellen, um weiteren solchen Katastrophen vorzubeugen.

Das Interview führte Christian Schwägerl von den Riffreportern, einer Genossenschaft von freiberuflichen Journalisten. Schwägerl ist Mitgründer und Vorstand der Riffreporter. Seine Schwerpunkte sind Umwelt, Wissenschaft und Politik.