Bad Neuenahr-Ahrweiler

Analyse zeigt: Krisenstab sah die Katastrophe zu spät

Von Dirk Eberz
Die Notfall-App "KATWARN".
Die Notfall-App "KATWARN". Foto: dpa

In der Kreisverwaltung Ahrweiler wussten die Verantwortlichen am 14. Juli doch ziemlich früh, dass die Flutwelle nicht wie zuvor erhofft sinkt, sondern stattdessen dramatisch steigt. Das zeigt eine Twitter-Nachricht, die der Krisenstab um 20.56 Uhr abgesetzt hat. Sie enthält einen Link zu einem Lagebericht, in dem der Pegel Altenahr bereits mit 5,09 Metern angegeben wird. Und zwar mit dem unmissverständlichen Vermerk: „steigend“. Landrat Jürgen Pföhler hatte vor wenigen Tagen noch den Eindruck vermittelt, dass der Krisenstab in Ahrweiler zunächst von einer Entwarnung ausging und von dem extremen Anstieg der Flut am späteren Abend überrascht worden sei.

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Dass auch der Krisenstab die stetig steigenden Fluten registrierte, belegt besagter Tweet der Kreisverwaltung von 20.56 Uhr. Dabei war die Warnung zu diesem Zeitpunkt sogar schon überholt. Denn die Angaben bezogen sich auf eine Wasserstandsmeldung von 20.15 Uhr beim Hochwassermeldedienst des Landesamts für Umwelt. Doch während im Krisenstab noch der Lagebericht getippt wurde, stieg das Hochwasser rasant – um mehr als 20 Zentimeter binnen zehn Minuten. Als der Tweet schließlich um 20.56 Uhr verbreitet wurde, kratzte die Ahr in Altenahr schon an der Sechs-Meter-Marke. Genau weiß das niemand mehr, denn der Pegel wurde nach 20.45 Uhr von den Wassermassen weggerissen.

Auch die Berufsfeuerwehr Bonn ging zu dieser Zeit bereits von einer „Katastrophe historischen Ausmaßes“ aus, wie eine interne Mitteilung belegt. Die Ahr steige „aktuell 30 bis 40 Zentimeter in 15 Minuten“. Und: „Für den Unterlauf der Ahr bedeutet das leider überhaupt nichts Gutes.“

Eine Reaktion bleibt aus

War dem Krisenstab in Ahrweiler die massive Zuspitzung der Lage wirklich nicht bewusst? Zumindest gab es in den kommenden zwei Stunden keine weitere Warnung per Tweet mehr an die Ahrtal-Bewohner. Manche Bürger waren da offenbar schon weiter. Um 21.01 Uhr postete eine Bürgerin als Antwort auf den Tweet des Krisenstabs ein Diagramm des Landesamts für Umwelt, das für den Pegel Altenahr 5,75 Meter gemessen hatte und eine Prognose von bis zu sieben Metern abgab.

Eine Reaktion im Krisenstab darauf ist nicht bekannt. Dabei waren die Nachrichten, die im Lagezentrum in Ahrweiler eintrafen, schon zu diesem Zeitpunkt erschütternd. Denn laut Protokoll mussten bereits an den Ufern der Ahr Menschen von den Dächern ihrer Campingwagen gerettet werden. Dazu waren Taucher aus Lahnstein und Koblenz sowie Strömungsretter der DLRG Andernach im Einsatz.

Diese Nachricht versendete die Kreisverwaltung um 19.35 Uhr: Da rechnete man bereits mit über fünf Metern.
Diese Nachricht versendete die Kreisverwaltung um 19.35 Uhr: Da rechnete man bereits mit über fünf Metern.
Foto: Screenshot

Spätestens jetzt müssten im Krisenstab eigentlich alle Alarmglocken geläutet haben. Doch noch immer schreckte man offenbar vor weitreichenden Maßnahmen wie Evakuierungen zurück. Es blieb bei Warnstufe vier, und das obwohl das Landesamt für Umwelt schon um 17.17 Uhr die höchste Warnstufe fünf (lila) ausgerufen hatte – und obwohl das Wasser weiter stieg. Es sollte noch mehr als zwei lange Stunden dauern, bis der Krisenstab endlich handelte. Um 23.15 Uhr folgte der nächste Lagebericht. Darin wurde tatsächlich der Katastrophenfall mit Warnstufe fünf ausgerufen. Zu dieser Zeit erging auch die Meldung, die Gebäude 50 Meter rechts und links der Ahr zu evakuieren. Viel zu wenig, wie man jetzt weiß. Der Landrat appellierte 45 Minuten vor Mitternacht an die Bevölkerung, sich in höher gelegene Stockwerke zu begeben und alle Autofahrten zu vermeiden. „Die Lage ist ernst“, heißt es. „Es besteht Lebensgefahr.“

Die Warnung kam viel zu spät. Das war wohl auch dem Krisenstab klar, denn im Lagebericht wurde auch vermeldet, dass zu dem Zeitpunkt in den Verbandsgemeinden Adenau und Altenahr längst „Häuser von den Wassermassen zerstört und abgehende größere Trümmerteile sowie Bäume von der Ahr mitgerissen“ worden waren. Brücken waren zerstört. Die Einsatzkräfte konnten also selbst nicht mehr eingreifen. Die Katastrophe war nicht mehr aufzuhalten.

Warum es keine früheren Warnungen an die Bevölkerung gegeben hat, dazu gab es auch am Mittwoch keine Erklärung der Verantwortlichen. Bei einer Pressekonferenz am vergangenen Sonntag hatte Landrat Jürgen Pföhler noch darauf verwiesen, dass der Deutsche Wetterdienst (DWD) gegen 18 Uhr die Prognose für den Pegel Altenahr von fünf auf vier Meter reduziert hatte. Dies sei ein Schlüsselmoment gewesen, im Krisenstab habe sich Entspannung breitgemacht, sagte er. Eine „ruhige, konzentrierte“ Atmosphäre konstatierte denn auch der rheinland-pfälzische Innenminister Roger Lewentz (SPD) bei einem Besuch am Abend des 14. Juli im Ahrweiler-Krisenstab, wie er später in einem Interview mit unserer Zeitung sagte.

War der Krisenstab überfordert?

Wenige Minuten danach müsste es eigentlich mit der Ruhe im Krisenstab wieder vorbei gewesen sein. Lewentz war kaum weg, da versendete die Kreisverwaltung selbst gegen 19.35 Uhr eine Katwarn-Meldung, wonach mit einem Pegel der Ahr von mehr als fünf Metern zu rechnen sei. Am Ende lag der Pegel in Altenahr sogar über der Sieben-Meter-Marke.

War der Krisenstab in Ahrweiler mit dieser bundesweit beispiellosen Flutwelle einfach heillos überfordert? Hat das Krisenmanagement versagt? Welche höheren Ebenen wurden über die eskalierende Situation informiert? „Zuständig für die Entscheidung über Maßnahmen vor Ort sind die jeweiligen Kreis- und Stadtverwaltungen“, erklärte dazu das Landesamt für Umwelt, das die notwendigen Daten liefert. Bei Fragen des Katastrophenschutzes und der Gefahrenabwehr seien die Wasserwehren und „gegebenenfalls darüber hinaus die SGD zuständig“. Die Aufsichtsbehörde ADD sei ebenfalls über Katwarn informiert worden, hieß es.

Die Bilanz der Flutnacht ist jedenfalls tragisch. 134 Menschen verloren in den reißenden Fluten der Ahr ihr Leben, weitere 73 werden vermisst, viele weitere verletzt. Zum Gedenken rief Landrat Pföhler am Mittwochabend zu einem zehnminütigen Schweigemoment im gesamten Kreis Ahrweiler auf.

Von unseren Redakteuren Dirk Eberz und Manfred Ruch