Was die Lehrer der Bertha-von-Suttner Realschule plus in ihrem Schreiben an Bildungsministerin Stefanie Hubig (SPD) auflisten, klingt fast zu drastisch, um wahr zu sein: In einer Klasse haben alle 16 Kinder eine Lern- oder Verhaltensauffälligkeit.
Nebenan schmeißt sich ein Schüler regelmäßig auf den Boden, schreit, tritt und schlägt um sich. „Das hat man nur aus Berlin gekannt“, stellt der GEW-Chef Klaus-Peter Hammer fest. Doch die Überlastungsanzeige aus dem Westerwald reiht sich nicht einfach in die lange Serie von Brandbriefen ein. Sie hat eine neue Qualität. Bisher wurde – bisweilen kleinlich – über (Definitionen von) Unterrichtsausfall und Sollstärken diskutiert. Diesmal scheitern zwei politisch gewollte Ziele an unzureichenden Ressourcen: Inklusion und Integration.
Ein Beispiel: In Betzdorf sollen 16 Fünftklässler mit Lern- und Verhaltensauffälligkeiten eine Bildungskarriere, idealerweise mit Realschulabschluss starten. Nun sollte man meinen, dass in einem Land, das gern den Slogan „Rheinland-Pfalz ist Bildungsland“ in Pressemitteilungen druckt, mindestens zwei Lehrkräfte in einer solch speziellen Klasse unterrichten. Dazu Sprachlehrer, Förderlehrkräfte, Sozialarbeiter und pädagogische Fachkräfte. Dann wären Inklusion und Integration wohl kein Problem. Die Realität: Eine reguläre Lehrkraft quält sich durch 30 Unterrichtsstunden pro Woche. Nur in sieben Stunden ist eine pädagogische Fachkraft anwesend. Förderlehrer? Fehlanzeige! Doch damit nicht genug: Als ein Schüler zu Beginn des Schuljahrs nicht auftauchte und ein anderer dem Unterricht plötzlich fernblieb, ermittelten die Lehrer. Behörden konnten keine Auskunft geben.
Dieses Vorgehen ist unverantwortlich. Wenn ein Handwerker keine Angestellten hat, kann er keine Aufträge annehmen. Hubig vergibt Inklusions- und Integrationsaufträge ohne genügend Förderlehrer. Da hilft auch der Verweis auf die Anstrengungen in der Ausbildung nicht. Der Status Quo ist Berlin-Gefühl von seiner unangenehmsten Seite – mitten im Westerwald.
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