RZ-INTERVIEW: „Urmel-Papa“ Max Kruse und die großen Fragen des Lebens

Dirk Bach
Dirk Bach (als "Urmel") ist in der Generalprobe von "Urmel aus dem Eis" 2005 in Köln. Foto: DPA

Es ist ein Geschenk für jeden Freund von Urmel und Co.: Max Kruse lebt noch, ist geistig rege, liebt es, mit Menschen zu reden. Und er freut sich hörbar aufs gemeinsame Interview über ungelöste Rätsel und Lebensweisheiten.

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Urmel-Schöpfer und Kinderbuchautor Max Kruse.
Urmel-Schöpfer und Kinderbuchautor Max Kruse.
Foto: dpa
Lieber Herr Kruse, Sie sind jetzt jenseits der 90: Würden Sie sagen, dass Sie inzwischen in die Phase der Altersweisheit eingetreten sind?

Mit Altersweisheit habe ich nicht viel am Hut. Ich fühle mich so wie immer. Man hat mehr Erfahrung, sicher. Aber von Weisheit will ich nicht reden, nein.

Gibt es denn Leute, die Sie um Rat fragen?

Ja schon, jüngere Freunde fragen mich um Rat oder auch Leser, mit denen ich maile. Die erzählen mir von ihrem Leben, von ihren Kümmernissen, und ich erzähle ein bisschen von mir. Ein menschlicher Austausch auf ganz normalem, warmherzigem Niveau.

In einem Ihrer jüngsten Bücher hilft den Menschen ein silbernes Einhorn beim Einordnen, was wichtig und was unwichtig im Leben ist. Wissen Sie denn, was wichtig ist?

Das klingt zwar jetzt vielleicht banal, aber die Gesundheit ist das Wichtigste. Wenn man gesund ist und eine Begabung hat, dann muss man sehen, dass man mit dieser Begabung etwas anfangen kann. Ganz wichtig finde ich auch eine geglückte menschliche Beziehung – nicht nur in der Ehe, sondern überhaupt mit anderen Menschen. Einen intensiven Kontakt zu pflegen. Und ganz wichtig ist es auch, dass man eine Motivation hat, dass man weiß, warum man Dinge tut.

Was war denn Ihre Motivation, mit dem Schreiben zu beginnen?

Als ich als Junge die ersten Kinderbücher las, war mir klar, dass ich auch einmal schreiben wollte. Das steckt tief in mir drin. Auch heute, in meinem Alter, möchte ich nicht mehr leben, ohne dass ich etwas tue, meinen Geist beschäftige.

Sind Ihnen jetzt im Alter andere Sachen wichtig im Vergleich zu früher?

Ich glaube nein. Es war mir immer wichtig, mit anderen Menschen gut auszukommen. Natürlich wünscht man sich andere Dinge als als Kind. Ich möchte sogar sagen, dass im hohen Alter das Wünschen ganz aufhört, man hat ja nicht mehr so viel Zeit. Das ist eigentlich sehr schade, denn einfach nur noch so vor sich hinzuatmen, ohne ein Ziel und einen Wunsch zu leben, das ist nicht sehr erfreulich.

Haben Sie auch diesen Drang der älteren Schriftsteller, noch unbedingt das zu veröffentlichen, was Sie noch sagen wollten?

Jein. Ja. Nein. (lacht) Es gibt ein paar Dinge, die ich gern noch schreiben möchte. Aber ich weiß, dass ich die Zeit dazu nicht mehr haben werde. Ich meine dabei nicht nur reine Lebenszeit, sondern man braucht auch Kraft zum Schreiben. Kraft, Fantasie, Schwung und Motivation! Und das wird etwas prekär bei mir. Zumal wir ja derzeit auch eine Krise des Buches erleben und sich das auch im Umgang mit den Verlegern bemerkbar macht. Das Interesse der Kinder an Geschichten ändert sich, ihre Fähigkeiten, Texte zu lesen und zu verstehen, verringern sich. Damit habe ich als Autor schon zu kämpfen.

Welche Geschichten möchten Sie denn noch gern erzählen?

Es sind zwei Romane, die ich gern noch schreiben möchte.

Die Themen wollen Sie nicht verraten, hm?

(lächelt) Sagen wir mal so: Es sind auf jeden Fall Dinge, die eine gewisse Substanz haben. Nicht einfach ein Krimi, sondern schon – ja, gut, dann benutze ich das Wort eben – in Richtung Lebensweisheit.

Gibt es in Ihrem Werk vertane Geschichten? Wo Sie als Autor sagen: „Die Zeit hätte ich besser in eine andere Geschichte investiert“?

(überlegt) Darüber habe ich mir nie Gedanken gemacht. Was passiert ist, ist passiert, da soll man sich nicht hinterher noch grämen. Sicherlich würde ich manches anders schreiben oder gar nicht schreiben, wenn ich heute noch mal anfangen würde. Es ist schade, dass ich so wenige Essays und Kurzgeschichten geschrieben habe.

Würden Sie sich gern im Stil eines Günter Grass in die politische Diskussion einmischen?

Das ist nicht so meins. Ich habe schon meine Gedanken und meine Meinungen zu politischen Themen, aber ich muss das nicht unbedingt mitteilen. Ich bin als Kind sehr einsiedlerisch groß geworden, und das hat sich bis heute irgendwo fortgesetzt.

Sie haben so viele Geschichten erzählt, für Groß und Klein. Ist es für Sie schlimm, dass Sie für immer vor allem der Papa von „Urmel aus dem Eis“ sein werden?

Damit kann ich leben. Ich möchte nur, dass man auch zur Kenntnis nimmt, dass ich nicht nur Urmels Papa bin. Aber ich habe ihn schon als Ziehsohn sehr gern, das war ein sehr glücklicher Einfall.

Sprechen Sie jetzt im Alter in Ihren Büchern lieber zu Kindern oder zu Erwachsenen?

Ich spreche jetzt lieber zu reifen Menschen, die zumindest ein bisschen Bildung haben und denen man ein bisschen was an gedanklicher Mitarbeit zutrauen kann. Das ist für mich ein Bedürfnis; ich will nicht mehr nur einfache Gedanken niederschreiben, sondern auch kompliziertere Dinge aussprechen. Durch mein Elternhaus, durch mein Lebensumfeld und durch mein ganzes Leben habe ich eine fundierte Bildung – und ich möchte jetzt auch etwas vom Leser verlangen. Vielleicht ist das mein Fehler; ich bin nicht so ganz einfach zu lesen.

Ist das ein Fehler?

Sagen wir so: Der Kreis der Leser ist geringer, als wenn ich leichter schreiben würde. Schauen Sie mal in die Bestsellerlisten: Das sind – mit gewissen Ausnahmen – Bücher über Sex, Verbrechen, Spannung. Da finden Sie mich nicht.

Sie haben sich mit zunehmendem Alter auch gern mit dem Thema Religion auseinandergesetzt.

Gern nicht unbedingt. Ich bin einfach entsetzt, dass die Religion immer mehr zu einer Spaltung der Menschheit führt. Das wird noch zu einem riesigen Problem werden, dass die monotheistischen Religionen diesen starken missionarischen Impuls haben. Die asiatischen Länder sind in dieser Beziehung für mein Gefühl reifer. Sie wissen ja selbst, welche Blutspur die Religion durch unsere Welt gezogen hat, bis zum heutigen Tag. Fast täglich hören wir, dass aus religiösen Gründen Menschen umgebracht werden. Das ist doch gerade nicht der Auftrag der Religion!

Wo finden Sie die Antworten auf die Lebensfragen, wenn nicht in einer Religion?

Ich glaube nicht an einen persönlichen Gott, und ich glaube auch nicht, dass wir so etwas unbedingt brauchen. Ich persönlich habe gar kein Bedürfnis danach! Ich frage mich auch nicht nach einem Sinn des Lebens, nach einem Sinn im großen Weltgeschehen. Mein Sinn des Lebens ist ein humanitärer: mit den Menschen gut umzugehen, ein produktives, kreatives, liebevolles, warmherziges, gütiges Leben zu führen. Das ist der Sinn meines Lebens.

Gibt es Lebensfragen, die Sie im Alter noch gern beantwortet hätten?

Die Antworten im Zusammenleben der Menschen habe ich gefunden. Aber die ganz große Frage wird nie jemand beantworten können: Woher wir kommen und warum wir da sind? Warum überhaupt etwas da ist und nicht einfach nur nichts. Diese ganz große philosophische Frage wird nie jemand beantworten können – aber da wüsste ich schon gern ein bisschen mehr. Selbst die größten Astrophysiker sagen, dass sie diese Frage nicht beantworten können.

Das letzte Rätsel.

Ja, diese Frage wird ein Geheimnis bleiben. Je mehr wir wissen, desto mehr werden wir bemerken, dass hier noch ein ungelöstes Rätsel ist. Und falls wir doch irgendwann die Lösung entdecken sollten, wird das Erstaunen umso größer sein.

MICHAEL DEFRANCESCO