Berlin

Proteste gegen die Verdrängung kleiner Läden: Kleiner Gemüsemann, was nun?

Seit 28 Jahren führt Ahmet Caliskan seinen kleinen Gemüseladen in Kreuzberg, in diesem Jahr wurde er zur Berühmtheit der Hauptstadt. Er und sein Laden sind zum Symbol der Verdrängung kleiner Läden in den Innenstadtbezirken Berlins geworden. Foto: Rena Lehmann
Seit 28 Jahren führt Ahmet Caliskan seinen kleinen Gemüseladen in Kreuzberg, in diesem Jahr wurde er zur Berühmtheit der Hauptstadt. Er und sein Laden sind zum Symbol der Verdrängung kleiner Läden in den Innenstadtbezirken Berlins geworden. Foto: Rena Lehmann

Nein, politische engagiert ist er nicht. Ahmet Caliskan wollte einfach nur seinen kleinen Gemüseladen „Bizim Bakkal“ im Berliner Stadtteil Kreuzberg weiterführen. Am liebsten bis zur Rente. Damit ist er zu einer politischen Ikone geworden.

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Von unserer Redakteurin Rena Lehmann

Wenn Ahmet Caliskan jetzt nachts zum Berliner Großhandel fährt, um Obst und Gemüse für den nächsten Tag einzukaufen, kennt ihn dort jeder der Kollegen. Caliskan, der Besitzer des kleinen Geschäfts in der Kreuzberger Wrangelstraße, ist heute eine Berühmtheit. Eine Art Gallionsfigur für den Widerstand der kleinen Leute in der Hauptstadt, die sich in manchen Gebieten Berlins zunehmend von teuren Mieten und Immobilienspekulanten vertrieben fühlen. Sein Geschäft namens „Bizim Bakkal“, zu Deutsch: Unser Lebensmittelladen, ist zur Zentrale des Widerstands geworden.

Ahmet Caliskan ist ein freundlicher Mann. Vor 28 Jahren schon hat er mit seiner Frau Emine den Laden von den eigenen Eltern übernommen. Die Familie stammt aus der Türkei. Reichtümer sind mit dem Handel von frischen Tomaten, Kräutern und Fetakäse nicht zu verdienen. „Aber es reicht für eine Familie“, sagt der 55-Jährige. Er hätte das Geschäft in guter Lage gern an seine Kinder weitergegeben.

Nach 28 Jahren soll plötzlich Schluss sein

Im Mai aber scheint die Zukunft seines Ladens besiegelt. Der neue Besitzer des Hauses, ein Immobilienhändler, kündigt Caliskan zum 30. September als Mieter der Ladenflächen im Erdgeschoss. Für den Händler ein Schock. Er geht davon aus, dass er diesen Kampf nicht wird gewinnen können. Eigentlich sieht er sich gar nicht imstande zu kämpfen. Er hat gesundheitliche Probleme, hinzu kommt die harte Arbeit. „Jede Nacht muss ich um 1 Uhr im Großhandel sein, bis morgens um sieben muss der Laden mit Ware versorgt sein. Erst gegen Mittag kann ich mich ausruhen“, erzählt er. „Ich werde immer älter, und ich bin sehr müde.“

Caliskan hat die Rechnung ohne seine Kreuzberger Nachbarn gemacht. Ende Mai hat er erst einem Freund, dann mehreren Kunden davon erzählt, dass es seinen Laden wohl bald nicht mehr geben wird. Die Nachricht erreicht das linksalternativ geprägte Viertel in ohnehin aufgeheizten Zeiten. Seit Jahren schreitet hier ein Prozess voran, den Wissenschaftler und Stadtsoziologen Gentrifizierung nennen. Ehemals einfache und günstige Wohngegenden werden durch den Zuzug von neuen Geschäften, Künstlern und Restaurants attraktiver, finanzkräftigeres Publikum will plötzlich hier wohnen, Touristen kommen, die Preise steigen, die alten Bewohner werden verdrängt und mit ihnen die kleinen Eckkneipen, Schneidereien – und die Gemüseläden.

Protest gegen diese Entwicklung formiert sich seit mehreren Jahren vor allem in Kreuzberg. Der Stadtteil mit dem bundesweit einzigen grünen direkt gewählten Bundestagsabgeordneten Hans-Christian Ströbele gilt seit Jahrzehnten als Biotop des Protests gegen so vieles, was vermeintlich schiefläuft. Alt-68er, Studenten, systemkritische Protestler und urwüchsige Berliner teilen sich hier das Pflaster mit vielen Migranten überwiegend türkischer Abstammung. Nicht zufällig schlägt hier im vergangenen Sommer eine Gruppe von illegalen Flüchtlingen eine kleine Zeltstadt des Protests gegen die Flüchtlingspolitik der Europäischen Union auf.

Hier gibt es immer noch besetzte Häuser

Noch immer gibt es in Kreuzberg auch das eine oder andere besetzte Haus. Eine Freifläche, auf der ein Immobilienverkäufer Eigentumswohnungen bauen wollte, wurde über Monate von armen Roma-Familien, Punks und Protestlern bewohnt und in Beschlag genommen. Die Polizei räumte das Feld schließlich gegen den hartnäckigen Protest seiner entschlossenen neuen Bewohner.

Protest und Solidarität mit den Schwachen und Unterdrückten in aller Welt werden in Kreuzberg großgeschrieben. Aber Ahmet Caliskan hatte mit dieser Szene eigentlich noch nie etwas zu tun. Umso überraschter ist er, als plötzlich alles um ihn herum in Bewegung gerät. In seinem Laden hatte er mit einem Freund über seine Sorgen und die anberaumte Kündigung gesprochen, die ersten Kunden bekamen davon mit, die Nachricht verbreitete sich rasch. Der Bürgerprotest ist hier schneller und besser organisiert als jedes Bürgeramt der Berliner Senatsverwaltung.

Flugs wird ein Banner über die Straße gespannt. „Bizim Bakkal bleibt – wir auch. Keine Verdrängung im Wrangelkiez!“ steht darauf. Ein zweites folgt mit dem bedeutungsschwangeren Aufdruck „Je suis Bizim Bakkal“. Der Fortbestand eines Gemüseladens wird hier gleich in eine Reihe gerückt mit dem politischen Weltgeschehen, der Solidarität mit dem französischen Satire-Magazin „Charlie Hebdo“ nach dem terroristischen Anschlag auf die Redaktion Anfang des Jahres („Je suis Charlie“).

Ohne dass Ahmet Caliskan danach gefragt hätte, gibt es sie plötzlich im ganzen Stadtteil: Aufkleber mit dem Logo des Gemüseladens, Plakate mit der Aufschrift „Bizim Bakkal bleibt“ in Schaufenstern und an Türen. Im Sommer berichten die ersten Berliner Zeitungen über die drohende Verdrängung des kleinen Gemüseladens. Doch schon bald steht Caliskan für die größere Geschichte. Die von David gegen Goliath, Profitgier gegen Tante Emma, von Ausverkauf gegen alte Kiezkultur. Ausländische Kamerateams rücken an, Caliskan gibt jetzt viele Interviews in seinem Gemüseladen. Doch das ist nicht alles. Im Sommer noch an jedem Mittwoch, inzwischen an jedem zweiten Mittwoch im Monat versammeln sich abends regelmäßig gute 100 Menschen vor seinem Laden zur Protestkundgebung.

Manchmal treten sogar Bands auf, immer aber werden Reden gehalten gegen die Verdrängung der Alteingesessenen aus Kreuzberg und anderswo. Auch ein „Soli“-Konzert in einem nahe gelegenen Club hat es schon gegeben. Der Protest hat sich ganz ohne Caliskans Zutun verselbstständigt. Wenn man ihn fragt, wie er all das findet, lächelt er selig: „Ich bin sehr glücklich über die Unterstützung“, sagt er dann. All das hätte er nicht erwartet. Heute erzählt er selbst ganz selbstverständlich von einer sogenannten Kerngruppe. Das ist der feste Stamm von Aktivisten, die den Protest rund um die Kündigung organisieren. „Einer kümmert sich um den Internet-auftritt, einer um die Flyer, einer um die Straßenaktionen“, erzählt Caliskan nicht ohne Stolz.

Neue Immobilienbesitzer sind anonym

Aber bringt all der Protest auch etwas? Meist sind die neuen Besitzer der Immobilien anonyme Konsortien, nicht selten aus dem Ausland. Im Fall von Ahmet Caliskan heißt der Investor Ioannis Moraitis, seine Firma Gekko Real Estate. Ahmet Caliskan ist sich sicher, dass sein Laden den neuen Besitzer nicht im Geringsten interessiert. „Der einzige Grund, mir zu kündigen, war, dass er mehr Geld machen will“, sagt er mit bitterem Unterton.

Doch der Protest bleibt tatsächlich nicht ohne Wirkung. Schon so mancher Laden konnte durch den öffentlichen Druck gerettet werden, „Bizim Bakkal“ zumindest vorübergehend. Der Vertrag ist erst mal bis Ende Januar verlängert. Ahmet Caliskan ist aber noch skeptisch, ob dies nur eine Galgenfrist oder mehr bedeutet. Auf jeden Fall will er jetzt weiterkämpfen und „nicht einfach rausgehen“, wie er sagt. Die Ausdauer seiner protesterfahrenen Unterstützer aus Kreuzberg hat auch ihn nun angesteckt.