„Vincent will Meer“ – Berührendes Road-Movie

Vincent will Meer
Vincent will Meer Foto: Verleih

Gesellschaftliche Außenseiter sind dankbare Figuren für Komödien. Schwierig wird es, wenn diese Antihelden auch noch mit körperlichen oder psychischen Behinderungen zu kämpfen haben. Regisseur Ralf Huettner schafft mit „Vincent will meer“ die Gratwanderung zwischen der tragischen Geschichte von drei schwer therapiebedürftigen jungen Menschen und den vielen komischen Momenten, die ihr Aufbruch vom Rand der Gesellschaft mit sich bringt.

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Gesellschaftliche Außenseiter sind dankbare Figuren für Komödien. Schwierig wird es, wenn diese Antihelden auch noch mit körperlichen oder psychischen Behinderungen zu kämpfen haben. Regisseur Ralf Huettner schafft mit „Vincent will meer“ die Gratwanderung zwischen der tragischen Geschichte von drei schwer therapiebedürftigen jungen Menschen und den vielen komischen Momenten, die ihr Aufbruch vom Rand der Gesellschaft mit sich bringt.

Vincent (Florian David Fitz) leidet am Tourette-Syndrom, wird also von unkontrollierbaren körperlichen und sprachlichen Anfällen heimgesucht. Der zwangsneurotische Alexander (Johannes Allmayer) bemalt am liebsten Zinnsoldaten und reiht sie fein säuberlich in seinem Zimmer auf – bei Bach-Musik. Und Marie (Karoline Herfurth) versucht mit ihrer Magersucht, ihrem unglücklichen Leben zu entfliehen. In einer Klinik treffen die drei aufeinander. Was als unfreiwillige Zweckgemeinschaft beginnt, entpuppt sich als Chance für drei Außenseiter, ihren Platz im Leben wenn schon nicht zu finden, so doch immerhin zu suchen.

Nachdem Vincent bei der Beerdigung seiner Mutter einen seiner Anfälle bekommt, Schimpfwörter brüllt und schließlich von außen gegen die Tür der friedlich anmutenden Kapelle hämmert, entschließt sich sein Vater, ihn in eine Klinik zu bringen. Längst hat der Vater (Heino Ferch) die Familie verlassen, lebt mit einer anderen Frau zusammen und arbeitet kräftig an seiner Karriere als Lokalpolitiker. Ein behinderter Sohn passt in dieses nach Erfolg strebende Leben nicht hinein. Eine Beziehung hat er ohnehin nicht zu ihm.

In der Klinik, idyllisch gelegen in den bayerischen Voralpen – allerdings mit rotzigen Nachbarskindern, die sich über die Klinikinsassen lustig machen, trifft Vincent auf ähnlich schräge Typen, wenn auch mit ganz anderen Problemen. Dafür aber sind die drei gnadenlos miteinander, etwa wenn der stets um Ordnung und Sauberkeit bemühte Alexander die anorektische Marie fragt: „Haste zugenommen, Du siehst so fett heute aus.“ Und das ist nur eine der vielen witzigen Szenen in dem Film, für den Hauptdarsteller Fitz das Drehbuch geschrieben hat.

Lange hält es Vincent nicht in der Klinik aus. Marie überredet ihn, mit dem Auto von der Klinikchefin Dr. Rose (Katharina Müller- Elmau) abzuhauen. Dass die Psychologin nicht sonderlich souverän ist und auch mal mit hilflosen Wutausbrüchen auf ihre Patienten reagiert, ist da längst klar. Bei dem nächtlichen Ausflug stellt sich dummerweise Alexander den beiden in den Weg, die ihn kurzerhand mitnehmen. Ihr Ziel: San Vincente in Italien, dort wo Vincents Eltern glücklich miteinander waren und wohin Vincent die Asche seiner Mutter, die er in einer Bonbondose aufbewahrt, bringen will.

Dass diese Reise nicht ohne Hindernisse verläuft, ist absehbar, in der Ausgestaltung aber sehr unterhaltsam, häufig urkomisch und oft ganz schön traurig. Denn alle drei versuchen ihre Macken zu bekämpfen, mehr oder weniger erfolgreich. Dabei setzt Regisseur Huettner die Suche nach der Freiheit mitunter sehr bildhaft in Szene, etwa wenn das Trio einen Berg bis zum Gipfelkreuz erklimmt. Doch es sind auch gerade diese wunderschönen Bilder aus den Alpen, die das Wechselbad der Gefühle widerspiegeln: strahlender Sonnenschein in saftig-grüner Landschaft, dunstiges Flimmern nach einem kräftigen Gewitter oder auch ein grauverhangener Himmel.

Zu dem Zeitpunkt haben sich Vincents Vater und Dr. Rose längst an die Fersen der drei Ausreißer geheftet. Die Reise der Verfolger gestaltet sich dann ebenso turbulent wie die der Ausreißer. Dabei landen sie sogar auf einem italienischen Polizeirevier, was ein wenig dick aufgetragen wirken mag. Dabei werden sich jedoch auch die beiden scheinbar gestandenen und erfolgreichen Menschen ihrer Defizite bewusst.

Zu guter Letzt endet die Reise dann tatsächlich in Italien am Meer, doch das klassische Happy-End, das sich immer mal wieder andeutet und auf das der Zuschauer insgeheim auch hofft, bleibt aus. Versöhnlich aber ist er, der Schluss. Denn jeder einzelne wird seinen eigenen Weg weitergehen – gemeinsam oder allein, aber nicht in der selben Spur wie vor der Reise ans Meer. (Internet: www.vincent.film.de)

Britta Schmeis