Trier/Koblenz
Missbrauchsfall Claus Weber: Opferschutzinitiative MissBiT spricht von der „üblichen Salamitaktik“
Aufarbeitung von sexuellem Missbrauch im Bistum Trier
Erneut wird das Bistum Trier von einem Missbrauchsfall erschüttert. Die Spur reicht nach Bolivien - und nach Koblenz (Symbolfoto).
Nicolas Armer. picture alliance/dpa/Nicolas Arm

Wieder hat es das Bistum Trier mit einem Missbrauchsfall zu tun - diesmal geht es um die mutmaßlichen Taten des verstorbenen Priesters Claus Weber. Spuren führen nach Bolivien - aber auch nach Koblenz. Und: Es gibt durchaus Parallelen zum Fall Edmund Dillinger.

Aufarbeitung von sexuellem Missbrauch im Bistum Trier
Erneut wird das Bistum Trier von einem Missbrauchsfall erschüttert. Die Spur reicht nach Bolivien - und nach Koblenz (Symbolfoto).
Nicolas Armer. picture alliance/dpa/Nicolas Arm

Das Thema Missbrauch durch katholische Geistliche in Bolivien hat höchste kirchliche Kreise erreicht – allerhöchste: Papst Franziskus hat auf ein Schreiben der bolivianischen Regierung reagiert, die den Vatikan aufgefordert hatte, Unterlagen über zurückliegende Missbrauchsfälle den Behörden zugänglich zu machen. Katholische Geistliche, schrieb der Pontifex nun laut lokalen Medien, sollen „Verbrechen begangen haben, die Kindern ein Leben lang schaden“ und die auch der Kirche Schaden zugefügt hätten.

Daran war offenbar auch ein Trierer Bistumspriester beteiligt, der unter anderem auch in Koblenz gewirkt haben soll: Nach Recherchen des „Trierischen Volksfreundes“ (TV) soll sich der 2020 im Alter von 79 Jahren verstorbene Claus Weber während seiner Zeit in Bolivien, dem Partnerland des Bistums Trier, mehrfach an Minderjährigen vergangen haben (wir berichteten). In den 70er- und frühen 80er-Jahren war Weber in Koblenz-Metternich tätig. Auch aus dieser Zeit sind Missbrauchsvorwürde aktenkundig, wenn auch nicht strafrechtlich verfolgt.

La Paz, Rom, Trier, Koblenz

Am Freitag, ungefähr zeitgleich mit Veröffentlichung der TV-Recherche, ging auch das Bistum in die Offensive und veröffentlichte eine umfangreiche Stellungnahme zum Fall Weber – verbunden mit der Aufforderung, Hinweise auf mögliche Taten Webers zu melden.

La Paz, Rom, Trier, Koblenz – eine mögliche Verbindungslinie geht einmal um den halben Erdball. Zufall? Auch der Zeitpunkt?

Missbrauchsfälle in der Kirche
Erneut wird das Bistum Trier von einem Missbrauchsfall erschüttert. Die Spur reicht nach Bolivien - und nach Koblenz (Symbolfoto).
Jochen Lübke. picture alliance / dpa/ Jochen L

Jutta Lehnert kann sich vorstellen, dass es Zusammenhänge gibt, dass zumindest die Initiative der bolivianischen Regierung in Richtung Rom und die Reaktion des Papstes Dinge in Bewegung gebracht haben. Die Sprecherin der im Bistum Trier tätigen Opferorganisation MissBit kennt den Fall Weber schon lange, stand in der Sache auch schon in Kontakt zum Bistum. Und nicht nur dorthin: 2002 meldete sich eine betroffene Person mit dem Vorwurf des sexuellen Missbrauchs über einen längeren Zeitraum während Webers Zeit in Metternich: „Ich hatte vor vielen Jahren schon einmal zu dem Opfer Kontakt. Wir wissen, dass es weitere Opfer auch in Deutschland gibt“, sagt die Waldescherin.

In seiner aktuellen Stellungnahme schildert das Bistum den Werdegang Webers, der aus der Nähe von Bad Kreuznach stammt, ausführlich. Demnach wird der 1940 geborene und 1968 geweihte Priester bereits nach seiner Zeit als Kaplan im Januar 1970 für einen pastoralen Dienst in der Erzdiözese Sucre in Bolivien freigestellt. 1975 kehrt er zurück nach Deutschland, kommt nach Metternich. 1984 geht er zum Studium nach Rom, 1986 dann zurück nach Bolivien, wo er einen Lehrauftrag annimmt. In dieser Zeit baut er zwei Waisenhäuser auf und leitet sie zeitweise.

Flucht aus Bolivien

1994 wird es wild: Weber setzt sich aus Bolivien ab nach Paraguay – dem damaligen Trierer Bischof erklärt er laut Bistum, dass er sich nur so ungerechtfertigten Vorwürfen sexuellen Missbrauchs entziehen könne. Trier unternimmt, wie das Bistum selbst schreibt, keine eigenen Schritte zur Klärung. Man vertraut auf Weber, den Kontakt zu ihm hält Weihbischof Leo Schwarz. Vieles bleibt nebulös. Ermittlungen von Strafverfolgungsbehörden werden keine bekannt, Weber geht sogar noch einmal zurück nach Bolivien, kommt dann 1995 zurück nach Deutschland.

„Claus Weber ist mit Sicherheit nicht der einzige Täter unter Trierer Bistumspriestern, die im Partnerland Bolivien tätig waren, das glaube ich nicht. Doch noch fehlen uns weitergehende Beweise“, sagt Jutta Lehnert, die irritiert ist über die aktuelle Kommunikation des Bistums. Noch vor Kurzem erklärte die Sprecherin des Bistums Trier in anderem Zusammenhang, dass keine Vorwürfe gegen Trierer Bistumspriester in Bolivien erhoben worden seien. Dabei lief die Aufarbeitung des Falls Weber da schon, auch vorangetrieben von MissBiT: „Das ist die übliche Salamitaktik – es wird nur zugegeben, was sowieso schon bekannt ist. So läuft es leider immer.“

Spätestens seit 1997 waren Vorwürfe gegen Weber in Deutschland bekannt – es gab ein Ermittlungsverfahren der Staatsanwaltschaften Aachen und später Mainz, das auf eine Anzeige aus Bolivien zurückging. Darüber sei das Bistum Trier nicht informiert worden, heißt es in der aktuellen Stellungnahme. Immerhin: Weber selbst habe Weihbischof Schwarz informiert, der die Information aber erst 2002 an den damaligen Bischof Marx weitergegeben habe.

Eine Parallele zum Fall Dillinger

Pikant: 1996 übernahm Weber eine Aufgabe beim Katholischen Akademischen Ausländer-Dienst (KAAD) in Bonn, einer Einrichtung, die ausländische katholische Studenten betreut. Hier tut sich eine gewisse Parallele zum Missbrauchsfalls Edmund Dillinger auf, der 1971 nach Nordrhein-Westfalen versetzt worden war, ohne dass das Erzbistum Köln über dessen zu diesem Zeitpunkt bereits bekannten pädophilen Neigungen informiert worden war. Dillinger arbeitete in dieser Zeit in NRW sogar als Religionslehrer.

Jutta Lehnert kritisiert: „So war es auch bei Weber, der 1996 zum Katholischen Akademischen Ausländer-Dienst (KAAD) in Bonn versetzt wurde, um ausländische Studierende zu betreuen. Auch da hat das Bistum dem KAAD nicht mitgeteilt, dass der Mann Täter war. Das sieht man immer wieder: Die eigenen kirchlichen Organisationen werden in Unkenntnis gelassen.“

Auf die neuen Informationen reagierte nun auch der KAAD selbst: “Mit Erschütterung haben wir die Informationen über Taten sexualisierter Gewalt an Minderjährigen aufgenommen, deren Claus Weber in Bolivien und in Deutschland bezichtigt wird„, heißt es darin. Und: “Zudem sind wir darüber irritiert, dass der KAAD vor und während der Tätigkeit von Dr. Claus Weber vom Bistum Trier keine einschlägigen Informationen erhielt.„ Hinweise auf Übergriffe während seiner Zeit beim KAAD liegen demnach nicht vor, man erbitte sich etwaige Hinweise unter intervention@kaad.de

Erst 2002, so geht es aus der aktuellen Stellungnahme des Bistums hervor, beginnt so etwas wie eine Aufarbeitung der mutmaßlichen Taten Webers. Das Bistum gibt nach eigenen Angaben die Vorwürfe, die unter anderem mit Webers Zeit in Koblenz in Verbindung standen, an die Staatsanwaltschaft weiter. Das Ermittlungsverfahren wurde allerdings wieder eingestellt – und keine Verbindung zu dem früheren Aachener/Mainzer Verfahren hergestellt.

2015 wird zudem ein kirchenrechtliches Voruntersuchungsverfahren eröffnet, es kommen weitere Vorwürfe hinzu, wiederum auch aus Webers Koblenzer Zeit. Im Zuge dieses Verfahrens wird Weber schließlich die Ausübung des priesterlichen Dienstes verboten. 2020 nimmt das Bistum Einsicht in die Akten über die staatlichen Ermittlungen, und Bischof Stephan Ackermann nimmt Kontakt nach Bolivien auf. Anonymisiert wird auch die Öffentlichkeit informiert. Erst jetzt wird der Name Webers genannt – auch wegen der “aktuellen Ereignisse in Bolivien„, wie es heißt. Damit dürfte das Schreiben der bolivianischen Regierung an den Vatikan gemeint sein.

Alles nur Vergangenheit?

Weber ist tot. Die mutmaßlichen Fälle liegen lange zurück. Auch Edmund Dillinger starb, bevor sein Fall durch das Vorgehen seines Neffen eine größere Öffentlichkeit erlangte. „Die Kirche tut immer so, als wäre das alles Vergangenheit. Bischof Ackermann benutzt meistens die Vergangenheitsform. Aber es ist bitterböse Realität – für die Opfer sowieso“, sagt Jutta Lehnert.

Dennoch – Fälle wie Dillinger oder auch Weber lösen etwas aus. „Es landen im Moment so viele Fälle bei uns – es ist nicht einfach, den Überblick zu behalten“, sagt die MissBit-Sprecherin. „Unter anderem durch den Fall Dillinger ist die Aufmerksamkeit auf dem Thema Missbrauch in der Kirche im Bistum Trier im Moment sehr hoch. Deshalb kommen auch Menschen zu uns, die sich schon längst hatten melden wollen – und jetzt den Antrieb fanden.“ Übrigens auch aus anderen Bistümern, etwa aus Mainz – “weil es dort keine geeignete Organisation oder Anlaufstelle gibt. Die Leute werden dort vollkommen allein gelassen, denen hilft kein Mensch“, so Lehnert.

Betroffene sollen sich beim Bistum melden

Das Bistum Trier bittet nun bei Weber wie schon bei Dillinger Betroffene, sich zu melden. „Aus unseren Erfahrungen können wir Opfern nur empfehlen, sich auch bei uns zu melden. Wir tragen das zusammen und sammeln alles. Wir garantieren absolute Vertraulichkeit, bieten einen Erfahrungsaustausch und auch Beratung in Rechtsfragen. Wir sind dabei, Klagen gegen das Bistum Trier vorzubereiten“, sagt Lehnert.

Und in Richtung Trier meint sie: „MissBiT braucht Unterstützung – auch vom Bistum. Wir haben den Bischof schon mehrfach gebeten, uns finanziell zu unterstützen. Es würde der Kirche doch gut zu Gesicht stehen, mit einer unabhängigen Organisation auf Augenhöhe zusammenzuarbeiten, die Rückgrat hat. Als einzelnes Opfer ist man bei der Kirche immer nur Bittsteller. Wir können Gemeinschaft herstellen und ganz anders auftreten.“

Bistum bittet um Hinweise

Das Bistum Trier bittet Personen, die Informationen zum Fall Claus Weber haben, sich unter intervention@bistum-trier.de zu melden. Ziel der Veröffentlichung und der weitergehenden Recherche sei es, einen Beitrag zur Aufarbeitung insgesamt zu leisten und der Unabhängigen Aufarbeitungskommission und ihren Projekten zur Verfügung zu stellen. “Zudem will das Bistum gemäß der Interventionsordnung die bislang vorhandenen Kenntnisse an die bolivianischen Bischöfe geben und diese so bei ihrer Aufarbeitung unterstützen", heißt es in der Stellungnahme. Kontakt zur Opferschutzinitiative MissBiT: https://missbit.de/

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