Nach Informationen unserer Zeitung soll die Sinziger Feuerwehr gegen 23.30 Uhr vor Ort gewesen sein und die Nachtwache vor dem drohenden Hochwasser gewarnt haben.
Man wisse noch nicht, wie hoch das Wasser steige, aber es sei mit einer Flutwelle zu rechnen, heißt es demnach in den Protokollen der Sinziger Feuerwehr. Und: Man müsse mit Evakuierungen rechnen. Nach Informationen unserer Zeitung habe man der allein im Lebenshilfehaus befindlichen Nachtwache die Empfehlung gegeben, entweder das Haus zu räumen oder die Heiminsassen in den ersten Stock zu verlegen.
Erhärtet wird diese Version von weiteren Recherchen unserer Zeitung, wonach die Feuerwehr etwa zur gleichen Zeit in Wohnhäusern in direkter Nachbarschaft zur Lebenshilfe ähnliche Warnungen hinterlassen hat – auf der der Ahr zugewandten Straßenseite, an der auch die Gebäude der Lebenshilfe liegen. Hintergrund: Bei älteren Aufzeichnungen über die Auswirkungen früherer 200-jähriger Hochwasserereignisse war die Flut so hoch gestiegen, dass sie unmittelbar an die Gebäude des LHH herangereicht hätte.
Dass sich auch diese Prognose noch als viel zu niedrig erwies und das Wasser der Ahr noch viel höher stieg, gehört zu den tragischen Fehleinschätzungen der Flutnacht. Stunden blieb die Bevölkerung im Dunkeln, was das wahre Ausmaß der Flutwelle betraf. Erst um 23.09 Uhr hatte der damals noch amtierende Landrat Jürgen Pföhler die höchste Warnstufe 5 ausgerufen und in einem um 23.23 Uhr verbreiteten Lagebericht die Menschen 50 Meter links und rechts der Ahr zum Verlassen ihrer Häuser aufgefordert. Und auch das war nicht nur viel zu spät, sondern auch viel zu wenig, wie sich dann herausstellte.
Auch „Focus online“ liegen die Informationen vor, wonach das Drama im Lebenshilfehaus offenbar hätte verhindert werden können. Dies gehe aus den bisherigen Ermittlungen der Kriminalpolizei Koblenz hervor. Demnach habe womöglich die einzige Nachtwache für die Behinderteneinrichtung die Warnungen der Feuerwehr zur rechtzeitigen Evakuierung der Wohngruppe im Erdgeschoss ignoriert. Glaubt man der Aussage der örtlichen Feuerwehr, soll sich der LHH-Betreuer geweigert haben, den Vorschlag anzunehmen und die unteren Gebäudeteile zu räumen. Die Begründung laut „Focus“: Er habe unter dem Heiminsassen Unruhe befürchtet. Aus Sinziger Feuerwehrkreisen heißt es dazu: Hätte die Nachtwache gesagt, dass sie Hilfe brauche, hätte man auch Unterstützung geleistet.
Der LHH-Heimmitarbeiter habe bei einer Befragung den Sachverhalt allerdings völlig anders geschildert, heißt es weiter. Zwar sei die Feuerwehr zu jener Zeit bei ihm gewesen. Allerdings habe man ihm nur mitgeteilt, dass die Ahr über die Ufer treten könne. Eine Evakuierungswarnung durch die Feuerwehr habe es nicht gegeben. Erst als die Flutwelle gegen 2.40 Uhr bereits die Einrichtung überschwemmte, will der LHH-Betreuer konkret durch die Feuerwehr gewarnt worden sein. Da sei es aber zu spät gewesen, die Behindertengruppe aus dem Erdgeschoss im Haupthaus des Lebenshilfehauses zu evakuieren. Der Betreiber der Behindertenstätte wollte sich laut „Focus online“ nicht dazu äußern.
Die Staatsanwaltschaft Koblenz bestätigte, dass „die Frage der hinreichenden Warnungen Gegenstand der Ermittlungen“ sei. Derzeit stehe noch nicht fest, wann mit einer abschließenden Bewertung zu rechnen ist.
Insgesamt kamen bei der Flutkatastrophe 134 Menschen ums Leben, 766 wurden verletzt. Der „Focus“ will erfahren haben, dass im Krisenstab des Kreises laut Einsatztagebuch bereits um 22.04 Uhr die Warnstufe 5 ausgerufen worden war und nicht wie bisher mitgeteilt eine Stunde später. Warum die Warnung der Bevölkerung erst eine Stunde später erfolgte, blieb unklar. Die Rede ist von „fehlenden Informationsflüssen“.
Später stellte sich dann noch heraus, dass der Landrat die Aufgabe des Katastrophenschutzes schon Jahre zuvor an einen Mitarbeiter der Kreisverwaltung delegiert hatte und in der Flutnacht überhaupt nicht im Krisenstab anwesend war. Gegen beide ermittelt die Staatsanwaltschaft wegen des Verdachts der fahrlässigen Tötung und Körperverletzung durch Unterlassen. Der Fall des Lebenshilfehauses ist allerdings noch ein eigenes Ermittlungsverfahren. mr