Er blickt zur Decke seiner Küche, hält mit seinem Zeigefinger und dem Daumen sein Kinn und denkt intensiv nach: Mit Sorge schaut Jörn Janssen, 47 Jahre alt und vierfacher Familienvater, in die Zukunft. Funktioniert die Schulbildung? Wie wird die Zukunft seiner Kinder aussehen? Und werden seine vier Kinder in einer Zeit, die er selbst nicht mehr mitbekommen wird, genügend Rente bekommen? All diese politischen Fragen stellt sich der Mann aus Hausen im Kreis Neuwied derzeit.
Am 9. Juni findet in Rheinland-Pfalz die Kommunalwahl statt. Im Zuge einer Serie spricht der journalistische Nachwuchs unserer Redaktion mit fünf verschiedenen Menschen aus dem nördlichen Rheinland-Pfalz, von denen jeder mit Blick auf die Kommunalwahl seine ganz eigenen Eindrücke hat und von seinen Sorgen berichtet. Janssen ist einer von ihnen.
„Es brodelt in den Menschen!“
Es ist ein Satz, der wirkt, den Janssen aber dennoch klar und überlegt von sich gibt: „Es brodelt in den Menschen!“ Janssen bezieht Stellung: „Muss ich mich denn zwingend auf die Straße kleben, um meinen politischen Willen durchzusetzen?“, fragt er und gibt sich selbst ganz trocken die Antwort: „Ich glaube nicht.“
Der 47-Jährige versucht sich überwiegend online via Instagram und Facebook über die politischen Geschehnisse zu informieren. Auf Kommunalebene möchte er mit jedem Kandidaten ins Gespräch kommen: „Bei der letzten Kommunalwahl habe ich jeden angeschrieben. Ein Kandidat hat sich erst nach einer Woche gemeldet. Daher war für mich klar, dass ich diese Partei nicht wählen werde.“ Aber, und das stellt er klar, er redet mit jedem und möchte die politische Grundidee eines jeden nachvollziehen können.
„Bei uns im Wiedtal läuft vieles gut“, erzählt der 47-Jährige und ergänzt: „Gerade in der Kinder- und Jugendarbeit sowie der Hausaufgabenbetreuung wird hier bei uns sehr viel gemacht.“ Allerdings moniert er die schlechte Busverbindung nach Linz oder nach Neuwied, weswegen seine Kinder notgedrungen häufig auf einen Fahrdienst angewiesen sind. „Mir ist allerdings durchaus bewusst, dass diese Busverbindungen auch genutzt werden müssen“, reflektiert er seine Forderung. Gewählt hat er bereits verschiedene Parteien. Auch Mitglied der FDP war er gewesen.
Fußballschiedsrichter kann bei Death Metal abschalten
Janssen kommt aus Wuppertal, familienbedingt zog er 1985 in den Kreis Neuwied. „Als Kind wollte ich eigentlich nie weg aus Wuppertal“, berichtet Janssen, der nur lobende Worte für seinen jetzigen Wohnort Hausen findet. Jetzt stellt er fest: „Die Stadt ist einfach zu anstrengend.“ Nachdem er jahrelang bei einem Sportausrüster angestellt war, hat er Anfang April eine Stelle als Vertriebsassistent bei einer Versicherung angetreten. Um mental abzuschalten, besucht er von Zeit zu Zeit schon mal ein Death-Metal-Konzert, wo er sich um seinen anstrengenden Alltag keine Gedanken mehr machen muss.
Seit zweieinhalb Jahren ist er als Amateurfußballschiedsrichter überwiegend im Kreis Neuwied unterwegs. Eine Entscheidung, die er bis heute nicht bereut hat: „Du bist der Chef auf dem Platz und setzt die Regeln durch“, sagt Janssen, der stets offen und ehrlich agiert und kommuniziert: „Erst recht auf dem Platz!“
„Da kommt zu wenig aus Berlin!“
Während es auf dem Sportplatz kommunikativ gut läuft, kritisiert Jörn Janssen dagegen eine ganz andere Kommunikation. „Da kommt zu wenig aus Berlin!“, bringt es Janssen auf den Punkt. Er sieht die Bundespolitiker entsprechend in der Verantwortung: „Das, was aus Berlin in den Kreis getragen wird, kommt kaum an.“ Er listet die Wahlkreisabgeordneten auf: Erwin Rüddel (CDU) und Andreas Bleck (AfD) seien präsent, Martin Diedenhofen (SPD) sei „kaum noch zu sehen“, und Sandra Weeser (FDP) kenne mit Sicherheit kaum jemand. Deswegen stellt er eine klare Forderung: „Es müssten mehr Entscheidungen beim ,gemeinen Volk' ankommen“, sagt er und ergänzt: „Es muss transparenter werden. Es muss für Otto-Normal-Bürger einfacher gemacht werden, und dieser muss ernst genommen werden.“
Muss ich mich denn zwingend auf die Straße kleben, um meinen politischen Willen durchzusetzen?
Jörn Janssen aus Hausen blickt mit Sorge auf die anstehende Kommunalwahl.
Daher spielt er mit der Überlegung auszuwandern, da es woanders besser funktionieren könnte: „Ich habe eine Eigentumswohnung in der Türkei“, weiß er zu berichten. Er betont: „Die Bildung in der Türkeifunktioniert anders. Das Leben ist nahezu komplett digital.“ Auch auf die Corona-Pandemie in der Türkei blickt er zurück: „Während der Pandemie fand ordentlich Onlineschule statt -- ohne tausend verschiedene Apps, Clouds und PDFs.“ Allerdings würde Janssen in der Türkei auch deutlich weniger verdienen: „Man lebt in der Türkei halt anders. Brot vom Bäcker kostet umgerechnet 30 Cent, die Obst- und Gemüsepreise auf dem Basar sind weit unter den deutschen Preisen.“
Die Corona-Pandemie und ihre Folgen
Gerade die Corona-Pandemie machte dem 47-Jährigen schwer zu schaffen, da vor allem seine beiden mittleren Kinder (beide 17 Jahre alt) nicht zur Schule gingen. Der Unterricht erfolgte seinerzeit online, als die Schulen wegen des Lockdowns geschlossen waren. War es daher die richtige Entscheidung, die Schulen zu schließen? „Meinen beiden Söhnen fehlt praktisch ein Schuljahr. Und das merkt man ihnen auch an.“
Wen er bei der Kommunalwahl wählen wird, steht für Janssen noch nicht fest. Neben den Gesprächen mit den Lokalpolitikern möchte er aber auch dieses Jahr wieder den Wahl-O-Mat benutzen, der ihn bei seiner Entscheidung unterstützen soll. Mit Blick in die Zukunft sind ihm zwei Punkte wichtig: „Nur weil man nicht gerade eine Mainstream-Meinung vertritt, heißt es nicht automatisch, dass man politisch rechts ist“, betont er und fügt hinzu: „Und es wäre sinnvoll, dass das Geld, welches derzeit ins Ausland fließt, wie beispielsweise für die Fahrradwege in Peru, innerhalb von Deutschland bleibt.“