Trier

Der Missbrauchsbeauftragte und Trierer Bischof Ackermann: „Ich musste in viele Abgründe schauen“

Der Trierer Bischof Stephan Ackermann hat als Missbrauchsbrauchsbeauftragter der Deutschen Bischofskonferenz ein schweres Amt übernommen. Seit nunmehr zehn Jahren liegt der Schatten dieses nicht endenden Skandals über der Kirche. Foto: dpa
Der Trierer Bischof Stephan Ackermann hat als Missbrauchsbrauchsbeauftragter der Deutschen Bischofskonferenz ein schweres Amt übernommen. Seit nunmehr zehn Jahren liegt der Schatten dieses nicht endenden Skandals über der Kirche. Foto: dpa

Zehn Jahre ist es her, dass erste Enthüllungen von Missbrauchsfällen die katholische Kirche Deutschlands erschütterten. Immer mehr Opfer meldeten sich – seitdem lässt der Missbrauchsskandal die Kirche nicht mehr los. Gerade erst wurde ein Trierer Bistumspriester wegen sexuellen Missbrauchs an Minderjährigen dauerhaft von seinen Dienst ausgeschlossen.

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Zudem darf der Mann, der seit 2003 im Ruhestand ist, in der Öffentlichkeit nicht mehr als Kleriker auftreten. Der Geistliche hatte sich in der ersten Hälfte der 1980er-Jahre als Pfarrer einer Koblenzer Gemeinde des sexuellen Missbrauchs an zwei Minderjährigen schuldig gemacht, darunter im Fall eines Jugendlichen unter 16 Jahren des mehrfachen schweren sexuellen Missbrauchs.

Vieles ist im vergangenen Jahrzehnt rund um Hilfen und Prävention auf den Weg gebracht worden, doch nun könnte es ans Eingemachte gehen: Denn die Kirche steht bei der geplanten Aufarbeitung des Missbrauchsskandals durch unabhängige Experten vor schmerzlichen Erkenntnissen.

Es geht um die Frage von Vertuschung, etwa möglichen Versetzungen von Priestern, bei denen man wusste, dass sie sich strafbar gemacht haben. Der Beauftragte der Deutschen Bischofskonferenz (DBK) für Fragen des sexuellen Missbrauchs, der Trierer Bischof Stephan Ackermann, sagte dazu: Unabhängige Untersuchungen würden „auch zu Enttäuschung gegenüber Personen führen, die Verantwortung getragen haben“. Das gehöre aber zu dem Prozess dazu. „Es wird jetzt weiter schmerzlich und schwierig bleiben.“

Aufarbeitung steht am Anfang

Ackermann zeigt sich optimistisch, dass die Bischöfe im Frühjahr eine „abgestimmte Klarheit“ über die unabhängige Aufarbeitung in den 27 Bistümern finden werden. Ende November 2019 hatte Ackermann mit dem Unabhängigen Beauftragten für Fragen sexuellen Kindesmissbrauchs, Johannes-Wilhelm Rörig, bereits Eckpunkte für eine einheitliche und transparente Herangehensweise vereinbart. Damit erreiche die Aufarbeitung des Missbrauchs „eine neue Qualität, eine neue Dimension“, sagte der Trierer Bischof.

Das ist genau das, was auch die Opfer wollen: Denn vielerorts habe es noch „keine echte Aufklärung und Aufarbeitung“ gegeben, sagte der Sprecher der Opferinitiative „Eckiger Tisch“, Matthias Katsch. Es gebe „einige Leuchttürme in der Landschaft“ wie das Kloster Ettal und die Regensburger Domspatzen, aber „ansonsten fängt es erst an“. Er hofft, dass die Bischöfe im Frühjahr grünes Licht für die unabhängige und transparente Aufarbeitung nach einheitlichen Kriterien geben werden. Dann könnten unabhängige Forscher in die Archive der Bistümer gehen und „unabhängig von der Person die Verantwortung“ benennen.

„Aus persönlicher Sicht von Betroffenen waren das zehn Jahre verlorene Zeit, wenn es um Unterstützung und Hilfe für Opfer geht“, sagte Katsch. „Klarstes Beispiel“ dafür sei: „Dass wir die Entschädigungsdebatte erst jetzt führen.“ Katsch hatte im Januar 2010 die Aufdeckung des Missbrauchsskandals am Berliner Canisius-Kolleg mit ins Rollen gebracht. Er war dort als Jugendlicher sexuell misshandelt worden. „Ich habe diese zehn Jahre als Befreiung auch persönlich empfunden.“

Der Sprecher der Reformbewegung „Wir sind Kirche“, Christian Weisner, sagte, auch wenn die katholische Kirche im vergangenen Jahrzehnt „viel getan“ habe: „Es ist trotzdem immer noch zu wenig.“ Die „richtige, ganz konkrete Aufarbeitung“, bei der sich Bischöfe und Personalverantwortliche zu ihrem konkreten falschen Handeln im Umgang mit Missbrauchsfällen bekennen würden, fehle noch. „Verantwortliche sollten die Betroffenen persönlich um Entschuldigung bitten. Gegebenenfalls sind auch persönliche Konsequenzen zu ziehen.“

Jahrzehntelang seien Fälle vertuscht worden, es habe bei Tätern eine „Verschiebetaktik“ gegeben: Priester wurden von Bistum zu Bistum, Ordensmitglieder sogar von Land zu Land versetzt.

Auch in der Debatte um Entschädigungen für Opfer müsse eine Lösung gefunden werden, sagte Bischof Ackermann. Er ging davon aus, dass die Bischöfe ebenfalls im Frühjahr über „eine Weiterentwicklung“ des Entschädigungskonzepts entscheiden würden. Wichtig sei Solidarität mit den Opfern. Über die Finanzierung müsse noch gesprochen werden.

Katsch sagte, es sei „schwer erträglich“, dass man erst in den letzten Monaten angefangen habe über Entschädigungen für Opfer zu diskutieren. Bisher habe die Kirche als „symbolische Anerkennung“ in rund 2000 Fällen Beträge bis 5000 Euro, oft aber weniger, bezahlt. Experten haben jetzt Entschädigungen bis zu 400.000 Euro vorgeschlagen. Aufarbeitung und Entschädigung seien wichtig für die Opfer, um mit dem Erlebten abschließen zu können.

Ackermann, als Chefaufklärer der DBK mit dem Thema Missbrauch betraut, sagt, der Skandal habe seine Sicht der Kirche verändert. „Insofern, dass ich natürlich wirklich in viele Abgründe reinschauen musste (...). Mit dem Erschrecken, was haben Menschen in der Kirche, vor allem Priester, Kindern und Jugendlichen angetan. Das ist schon ein Erschrecken, das nicht nachlässt.“ Er spüre eine Verpflichtung gegenüber den Betroffenen, nicht nachzulassen.

„Kirchengeschichtliche Zäsur“

„Es wird nicht bald vorüber sein. Das ist eine massive Erschütterung“, sagte Ackermann. Der Skandal sei eine „kirchengeschichtliche Zäsur“, die die Kirche auch über die sexuelle Missbrauchsthematik hinaus verändere. Beratungen zu Reformen sind bereits angestoßen: Die Themen Sexualmoral, Zölibat, Gewaltenteilung und die Rolle der Frauen in der Kirche liegen nun in einem Reformprozess – dem sogenannten Synodalen Weg – auf dem Tisch.

Laut der sogenannten MHG-Studie, die im Auftrag der Deutschen Bischofskonferenz zum Missbrauchsskandal erstellt und im Herbst 2018 vorgelegt wurde, sind bundesweit in den Personalakten von 1946 bis 2014 insgesamt 1670 Kleriker wegen sexuellen Missbrauchs Minderjähriger beschuldigt worden. Es gab 3677 Opfer.

Von Birgit Reichert

Bistum Trier zahlte bislang 506.000 Euro an Missbrauchsopfer

Rund zehn Jahre nach dem Bekanntwerden des Missbrauchsskandals in der katholischen Kirche hat das Bistum Trier 506 000 Euro an Opfer gezahlt. Insgesamt 162 Betroffene hätten sich in den vergangenen Jahren gemeldet, teilte Bistumssprecherin Judith Rupp am Donnerstag mit. Insgesamt seien 105 Anträge „auf materielle Leistung in Anerkennung des erlittenen Leids“ bewilligt worden.

Das ausgezahlte Geld stamme nicht aus der Kirchensteuer, sondern aus Mitteln des Bischöflichen Stuhls. Von den Opfern wurden den Angaben zufolge 53 bereits verstorbene und 36 noch lebende Priester beschuldigt. Wo möglich, fordere das Bistum die finanziellen Leistungen von den Tätern zurück. Zudem könnten auch Therapiekosten übernommen werden. Derzeit liefen drei kirchenrechtliche Voruntersuchungen gegen Kleriker, zwei davon ruhten wegen Ermittlungen der Staatsanwaltschaft. 2010 war die katholische Kirche vom Skandal um jahrzehntelangen Missbrauch an Kindern und Jugendlichen erschüttert worden.

Der Trierer Bischof Stephan Ackermann ist seitdem als Beauftragter der Deutschen Bischofskonferenz für Fragen des sexuellen Missbrauchs mit der bundesweiten Aufarbeitung betraut. Zum Bistum Trier gehören knapp 1,4 Millionen Katholiken in Rheinland-Pfalz und im Saarland.

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