Spießrutenlauf aus dem Kriegsgebiet in die Wirren des Behördenalltags

Die Geschichte der Familie Alismail ist erschütternd – und sie zeigt die bittere Realität der Bürokratie: Nachdem Saad Alismail am 22. Dezember 2014 bei der Ausländerbehörde des Rhein-Hunsrück-Kreises einen Antrag auf Familiennachzug gestellt hat, bekommt die Familie einen Visatermin beim Deutschen Generalkonsulat in Istanbul. Der Termin ist am 6. August 2015. Acht Monate lang hofft der Vater in Deutschland, dass seiner Frau und den Kindern in der umkämpften Stadt Idlib nahe Aleppo nichts geschieht.

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Ein normales Leben ist dort längst nicht mehr möglich, Schulen existieren nicht mehr, Bücher sind verbrannt worden. Die einzige Hoffnung ist eine Nachricht der deutschen Behörden. Alismail stellt mit der Hilfe von Ehrenamtlern über einen Fachanwalt für Ausländerrecht einen Härtefallantrag, um das Verfahren zu beschleunigen. Seine fünf Jahre alte Tochter Sara ist asthmakrank, es ist eine kleine Hoffnung, aber sie wird abgeschmettert. Die Behörden sehen in solchen Fällen „die gesetzlichen Voraussetzungen einer humanitären Aufnahme“ nicht als erfüllt an.

100 Kilometer Fußmarsch

Wenige Tage vor dem Termin in Istanbul macht sich die Familie in Idlib auf den Weg. Es sind 100 Kilometer Fußmarsch bis zur türkischen Grenze, ein gefährlicher Weg durch umkämpftes, von Terroristen belagertes Gebiet. „Sie sind durch die Berge und durch die Wüste gegangen“, erzählt der Vater. Die ein, fünf und acht Jahre alten Kinder gehen mit ihrer 28 Jahre alten Mutter und dem Bruder der Frau einen Weg durch eine Region, den der Vater als „die Hölle“ bezeichnet. Sie gehen zwei Nächte lang im Schutz der Dunkelheit, bis es nur noch fünf Stunden Fußweg sind, die sie am dritten Tag schaffen. An der Grenze wartet ein Schleuser-Auto, das sie in die nahe gelegene Stadt Antakya bringt. Von dort geht es eineinhalb Tage lang mit dem Bus ins 1400 Kilometer weit entfernte Istanbul. Parallel dazu reist der Vater aus Deutschland mit dem Flugzeug an.

Auf dem Generalkonsulat wird die Familie enttäuscht. Obwohl sie Dokumente wie Geburtsurkunden, Familienstammbuch und Heiratsurkunde im Original vorlegt, wird ihr eröffnet, dass dies nicht genügt. „Der deutsche Beamte hat uns erklärt, dass wir die Dokumente in der syrischen Botschaft in Beirut beglaubigen lassen müssen“, erklärt der Vater. Die libanesische Hauptstadt Beirut ist räumlich und auch in finanzieller Hinsicht weit weg, zudem ist die Behörde ein Mahnmal des syrischen Staats, aus dem die Familie geflüchtet ist.

500 US-Dollar „Serviceentgeld“

Auf Empfehlung vor Ort vertraut die Familie auf eines der „Servicebüros“, die in unmittelbarer Nachbarschaft des deutschen Generalkonsulats ihre Dienste anbieten. Alismail erklärt, dass er an die Seriosität des Büros geglaubt habe, da dieses offensichtlich eine enge Verbindung zum Konsulat habe. Dazu erklärt das Auswärtige Amt: „Mit Agenturen, die im Auftrag von Antragstellern Dienstleistungen erbringen, arbeiten die Auslandsvertretungen nicht zusammen und raten den Antragstellern von einer Inanspruchnahme ab.“ Alismail sagt, dass er im Büro ein Serviceentgelt von 500 US-Dollar gezahlt hat, das er sich zuvor geliehen hatte. Für den Betrag sei garantiert worden, dass die Papiere nach Beirut geschickt und beglaubigt würden.

Die junge Familie hat nur eine kurze gemeinsame Zeit in der Türkei. Das Geld ist knapp, der Vater muss bald zurück nach Deutschland. Seine Frau fährt mit den Kindern im Bus wieder nach Antakya, um dort in das Erstaufnahmelager des UNO-Flüchtlingswerks UNHCR zurückzukehren, in dem sie aufgenommen worden waren. Doch dies ist aufgrund des vorherigen Verlassens des Camps wegen der Reise nach Istanbul wohl nicht mehr möglich. Sie suchen sich eine günstige Bleibe in der Nähe. Ende August erhält die Frau die Nachricht des Servicebüros, dass die Dokumente beglaubigt und im Konsulat eingereicht worden seien. Anfang November bekommt die Frau dann einen Anruf aus dem Generalkonsulat, dass sie nach Istanbul kommen solle. Sie reist mit dem Schwager und dem Sohn los, die Mädchen bleiben bei Nachbarn. In Istanbul wird der Frau mitgeteilt, dass die Beglaubigungen gefälscht sind. Der Antrag auf ein Visum wird abgelehnt. In dem an die acht Jahre alte Tochter Shaimaa adressierten Ablehnungsschreiben der Behörde vom 13. November ist erwähnt, dass die Originaldokumente vorgelegt worden seien, die Beglaubigung und die Legalisation aber nicht in Beirut vorgenommen, sondern gefälscht worden seien. Das Generalkonsulat berät derzeit über einen Einspruch der Familie, der Ausgang ist offen.

vb