Bauchspeicheldrüsenkrebs: Wie man mit einem Todesurteil lebt – RZ-Telefonaktion
Das Todesurteil. Das hat auch Helga Walther aus Andernach gedacht, als sie die Diagnose hörte. Nach einer Operation war dann zunächst alles gut, jetzt ist aber doch auch die Lunge mit Krebszellen befallen. Die 69-Jährige bekommt alle 14 Tage eine Chemobehandlung. „Ich weiß nicht, wie lang ich lebe, aber ich habe meistens eine sehr gute Lebensqualität“, sagt sie.
Das Todesurteil. Das ist das, was Renate Kaifer immer wieder hört, wenn sie als Leiterin der regionalen Selbsthilfegruppe für Bauchspeicheldrüsenerkrankte mit Betroffenen spricht oder einen der regelmäßigen Infostände am Gemeinschaftsklinikum in Koblenz betreut. „An Bauchspeicheldrüsenkrebs stirbt man in kürzester Zeit“, und „Entzündungen haben vor allem Alkoholiker“, das sind die gängigen Vorurteile, mit denen auch die Erkrankten konfrontiert werden, berichtet die Frau aus Brey (Kreis Mayen-Koblenz).
Um gegen diese Vorurteile anzukämpfen, ist der Welt-Pankreaskrebs-Tag am heutigen 16. November ins Leben gerufen worden. Sein Hauptziel ist es, die Öffentlichkeit über die Krankheit zu informieren. Und deshalb wollen Bernd Adams, Helga Walther und Renate Kaifer auch in der Rhein-Zeitung von ihren Erfahrungen berichten und davon, wie wichtig die Selbsthilfegruppe für sie ist.
Denn bei den fast alle zwei Monate stattfindenden Treffen in Koblenz gibt es nicht nur viele medizinische Infos zu neuen Medikamenten, Kliniken oder Ernährungstipps, sondern auch die Möglichkeit zum Austausch. Der ist vielleicht fast noch wichtiger als die Informationen.
Denn niemand muss hier groß erklären, wie es ist, mit dieser täglichen Angst zu leben, der Krebs könnte wiederkommen. Niemand muss berichten, wie sich die Schmerzen anfühlen, wenn die Bauchspeicheldrüse entzündet ist, wie groß die Angst ist, dass daraus ein Tumor werden könnte, oder wie furchtbar es ist, wenn die Ärzte einen schief anschauen, weil sie den Patienten als Alkoholiker abstempeln. Niemand muss erklären, wie man sich fühlt, wenn der durch Entzündung oder Entfernung der Bauchspeicheldrüse auftretende Diabetes Typ 3c kaum in den Griff zu bekommen ist, sodass jederzeit eine Unterzuckerung möglich ist. Die, die hier bei den Treffen der Gruppe am Tisch sitzen, wissen, was es bedeutet, mit der Krankheit zu leben. Als Betroffene oder Angehörige. Sie sind absolute Experten in eigener Sache – vielleicht mehr als die meisten Ärzte.
Oft wird die Krankheit viel zu spät erkannt, sagt Helga Walther. Die Andernacherin, die 40 Jahre im medizinischen Bereich tätig war, geht im Jahr 2015 selbst sofort zum Arzt, als der Urin dunkel und der Stuhl hell ist. Der Tumor kann entfernt werden, mit ihm der Zwölffingerdarm. Bei den regelmäßigen Nachuntersuchungen ist erst einmal alles okay. „Aber man hatte mich nicht informiert, dass auch die Lunge regelmäßig kontrolliert werden muss“, sagt sie. Und tatsächlich: Im vergangenen Dezember werden Kreise auf ihrer Lunge entdeckt. Der Krebs ist über die Lymphbahnen im Körper gewandert, zeigt sich bei einer Operation.
„Das kann man nicht heilen, man kann nur das Wachstum eindämmen“, sagt die Andernacherin ganz sachlich. Alle 14 Tage bekommt sie eine Chemo, „den Tag kann man vergessen“, außerdem jeden Tag eine Tablette. Wie lang sie damit noch leben kann, weiß sie nicht. „Aber das weiß man nie, Sie können auch gleich von einem Auto überfahren werden“, sagt sie dann. Im Moment lebt sie. Gern und gut. Für nächsten Herbst hat sie mit ihrem Mann eine Schiffsreise geplant. Ob sie dann noch reisen kann, ob sie dann überhaupt noch lebt, weiß sie natürlich nicht. Aber sie hofft darauf.
Bernd Adams hat Riesenglück gehabt. Als der Tumor an der Bauchspeicheldrüse entdeckt wird, weil dem Bad Breisiger seine unmotivierte Gewichtsabnahme doch suspekt wurde, ist der schon sehr groß. Aber er kann entfernt werden – mit ihm zwei Drittel des Magens und der Zwölffingerdarm. Adams glaubt erst kaum, dass er das lange überleben wird. Doch die Untersuchungen – erst jedes Viertel-, später jedes halbe Jahr und dann sogar nur noch einmal jährlich – sind unauffällig. Bis plötzlich ein Schatten an einer Hauptschlagader gesehen wird: „Da ist die Angst wieder da.“ Doch sie stellt sich als unbegründet heraus, da ist nichts.
Nach einem Jahr geht Adams sogar wieder arbeiten. Er hat Nervenprobleme in den Füßen durch die Chemos, muss beim Essen ein paar Sachen beachten, weil die Enzyme fehlen, die die Bauchspeicheldrüse produziert. Die werden zwar mit Tabletten zugegeben, aber alles verträgt Bernd Adams nicht. Aber dann isst er es eben nicht – das ist das kleinste Problem. Seit sieben Jahren lebt er nun schon mit seiner Krankheit. Das ist für ihn noch heute ein unfassbares Glück. Auch davon erzählt er in der Gruppe und ist für andere ein Mut machendes Beispiel, dass sie nicht immer ein Todesurteil ist, die Diagnose Bauchspeicheldrüsenkrebs. Doris Schneider