Brüssel

EU-Gipfel: Regierungschefs nehmen Tsipras ins Gebet

Ernste Worte vom "Paten": Frankreichs Präsident François Hollande nahm den neuen griechischen Premier Alexis Tsipras zu Beginn des EU-Gipfels beiseite, offenbar um ihm zu signalisieren, dass die meisten Regierungschefs den Forderungen des Griechen nicht nachkommen wollen.
Ernste Worte vom "Paten": Frankreichs Präsident François Hollande nahm den neuen griechischen Premier Alexis Tsipras zu Beginn des EU-Gipfels beiseite, offenbar um ihm zu signalisieren, dass die meisten Regierungschefs den Forderungen des Griechen nicht nachkommen wollen. Foto: dpa

Es ist der Händedruck dieses europäischen Gipfeltreffens. Keine Distanz, fast freundschaftlich lächelnd geht Alexis Tsipras auf die Frau zu, die er während seines Wahlkampfes so geschmäht hat. Bundeskanzlerin Angela Merkel ergreift die dargebotene Hand, man gratuliert zum Wahlsieg, spricht ein paar freundliche Worte.

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Von Detlef Drewes und Christian Böhmer

„Ich bin froh, dass wir hier zusammenkommen, um einen Weg zu finden, Europa wieder mehr Wachstum zu bringen“, hatte der neue griechische Premier wenige Minuten zuvor den wartenden Journalisten zugerufen.

Alexis Tsipras können Rückschläge offensichtlich wenig anhaben. Lächelnd posiert der neue griechische Regierungschef vor den Kameras. Zuversicht, so lautet das Motto, wir werden eine für alle vertretbare Lösung finden. Der 40-jährige Chef des Linksbündnisses Syriza verkündet in Europas Hauptstadt wortgewaltig die Wende: „Es ist die Stunde gekommen, um die Politik zu verändern, um eine europäische Agenda zu schaffen, die auf Wachstum basiert.“

Einstecktuch und Schal

Tsipras kommt zum Brüsseler Spitzentreffen mit offenem Hemdkragen, Einstecktuch und Schal. Merkel erwidert seine freundlichen Gesten. Sie ist zu spät gekommen, nach endlosen Friedensverhandlungen zur Ukraine in Minsk. Trotz der Strapazen wirkt die Kanzlerin freudig – und auch ein wenig stolz nach der Vereinbarung über eine Waffenruhe für das Kriegsgebiet Donbass. Mit Blick auf Griechenland gibt sie sich durchaus offen für Kompromisse. „Noch haben wir ja ein paar Tage Zeit.“ Kurz darauf sagt die deutsche Regierungschefin: „Ich freue mich, Herrn Tsipras begrüßen zu können. Europa hat es immer ausgezeichnet, Kompromisse zu finden. Deutschland ist dazu bereit.“

Keine Spur mehr von dem Eklat der Nacht vorher, als die 18 Finanzminister der Euro-Zone fast schon entnervt den Versuch aufgegeben hatten, eine gemeinsame Erklärung mit ihrem griechischen Kollegen Gianis Varoufakis abzustimmen. Dabei war der, so berichteten Teilnehmer, schon bereit gewesen, einer Fortsetzung der Reformen in seiner Heimat zuzustimmen, wenn die Euro-Partner dafür ihr Hilfsprogramm noch über den 28. Februar hinaus verlängern würden. Beide Parteien sagten zu.

Doch dann habe Varoufakis sich telefonisch mit Regierungschef Tsipras abstimmen wollen – und der pfiff ihn zurück. Zwar bestritt der Athener Kassenwart die Darstellung später über den Kurznachrichtendienst Twitter. Die geplatzte Einigung aber konnte er nicht vom Tisch wischen. Ein unguter Auftakt für den Tsipras-Einstand nur Stunden später.

Dass der Grieche dieses informelle Treffen der Staats- und Regierungschefs beherrschen könnte, wollte niemand zulassen. Athen sei „nur am Rande“ ein Thema, betonten mehrere Regierungschefs. Frankreichs Staatspräsident François Hollande, der als „Pate“ des hellenischen Premiers gilt, nahm ihn unmittelbar vor Beginn der Beratungen beiseite und wechselte erkennbar ernste Worte mit ihm.

Zu diesem Zeitpunkt war noch unklar, ob es – wie einige Diplomaten behaupteten – zu einem spontanen bilateralen Gespräch zwischen Merkel und Tsipras kommen würde. Fest stand nur, dass irgendein Signal von Brüssel ausgehen musste, um den Fahrplan für die Sanierung Athens entweder zu kippen oder zu verlängern.

Wangenküsse dürfen nicht fehlen

Tsipras, der starke Mann aus Athen, umarmt später den italienischen Amtskollegen Matteo Renzi, Wangenküsse dürfen dabei nicht fehlen. Auch der machtbewusste Sozialdemokrat aus Florenz pocht seit seinem Amtstritt im vergangenen Jahr auf mehr Wachstum und Investitionen in Europa. Trotz freundlicher Gesten lastet das ungelöste Problem Griechenland auf dem Gipfel. Nicht alle Partner empfangen Tsipras mit Lobeshymnen. „Die Zeit für Griechenland läuft ab“, warnt der kühle Finne Alexander Stubb.

„Die Positionen der EU sind bekannt“, sagte die litauische Staatspräsidentin und frühere EU-Kommissarin, Dahlia Grybauskaité. „Es gibt Abmachungen, die gelten.“ Das Unverständnis für die Forderung nach einem Schuldenverzicht war nahezu einhellig. Selbst bei den Regierungschefs, auf deren Unterstützung Tsipras zunächst gehofft hatte, blitzte der Grieche ab. „Hier gibt es keinen Spielraum für Entgegenkommen, wenn Athen nicht seine Verpflichtungen erfüllt“, hieß es immer wieder.

Dabei bräuchte die neue griechische Führung nur die Signale aus Brüssel und anderen Hauptstädten aufzugreifen, um sich zu Hause als Sieger zu verkaufen, verlautete am Rande des Gipfels. Sowohl in Sachen Troika als auch bei der Frage der Zeit wäre der Euro-Raum offen für Bewegung.

Berlin habe, so wurde kolportiert, sogar Bereitschaft gezeigt, eine Zwischenfinanzierung in Höhe von 20 Milliarden Euro mitzutragen, damit Athen nicht kurz nach dem Stichtag pleite ist. „Tsipras muss nur in die dargebotene Hand einschlagen“, sagte ein Mitglied der französischen Delegation. Dann könnten die Finanzminister, die am Montag wieder zusammenkommen, alles unter Dach und Fach bringen.