Gewerkschaft kritisiert viele Defizite - sogar bei Helmen, die Schläge abwehren - Ungewöhnliche Selbsthilfe bei der Inspektion in Remagen
Wie gut schützt das Land Polizisten vor Gewalt?
Neues Polizeigesetz von Rheinland-Pfalz wird vorgestellt
Eine jahrelange Forderung der Polizei soll mit dem neuen Polizeigesetz im Land erfüllt werden: Die Erlaubnis, die Kamera (Bodycam) auf der Schutzweste auch bei gefährlichen Einsätzen in Wohnungen einzuschalten. Es ist geplant, dass dies der Landtag noch in diesem Jahr beschließt. Foto: Arne Dedert/dpa
Arne Dedert. picture alliance/dpa

Rheinland-Pfalz. Die tödliche Messerattacke auf einen Polizeibeamten (29) von Mannheim Ende Mai hat bundesweit Entsetzen ausgelöst. Gleichzeitig rüttelt der Angriff auf. Plötzlich treibt nicht nur die Gewerkschaft die Frage um: Wie gut schützt der Staat die, die uns schützen? In Rheinland-Pfalz jedenfalls kritisieren Beamte und Beamtinnen, dass sie sich nicht optimal abgesichert fühlen. Dabei rühmt sich das Ministerium doch, dass es als Erstes den Taser (Distanzelektroimpulsgeräte) eingeführt hat und über die Bodycam der neuen Generation verfügt.

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Diese Vorzeigeprojekte, die Täter abschrecken sollen, lassen annehmen, dass sich der Dienstherr bestmöglich kümmert. Schließlich wurden 2023 im Land 4083 Polizeikräfte gewaltsam angegriffen. Das Innenministerium lobte sich für einen hohen Standard, um seine Kräfte zu schützen. „Das ist ja im Großen und Ganzen so“, stellt die Landesvorsitzende der Gewerkschaft der Polizei (GdP), Stefanie Loth, fest. Aber sie sieht mit ihrem Vize, Kriminalhauptkommissar Sven Hummel, eben auch so manchen Mangel – selbst bei Helmen, die vor Schlägen schützen.

Nicht nur beim Schutz hapert es offenbar. Es fehlen auch Handys, die – wie im Homeoffice – Beamte mit internen Systemen der Polizei draußen verbinden.

Mordkommission am Tatort von Polizeicomputern abgeschnitten

Die Polizei ist stolz darauf, dass sie kürzlich den grausamen Doppelmord nach dem Fund zweier verbrannter Leichen am Rodder Maar (Kreis Ahrweiler) schnell aufklären konnte. Ob sie dabei mit (vermeidbaren) technischen Problemen zu kämpfen hatte, ist nicht bekannt. Aber generell erschweren sie die Arbeit von Mordkommissionen, wie Hummel berichtet. Und Loth erklärt: In diesem Fall fahren eine beliebig große Zahl Kräfte der Kripo Koblenz raus und fahnden. Aber nicht alle hätten das mobile Endgerät, mit dem ein Zugang zu polizeilichen Systemen möglich sei. „Da muss man mühsam die Infos nach alter Art weitergeben. Also Funk und Telefon. Das geht, ist aber mühsamer und einfach nicht so schnell.“

Nach Ministeriumsangaben wurden alle Kräfte des Wechselschichtdienstes sowie die operativen Einheiten der Kriminalpolizei mit einem sogenannten Mobilen Arbeitsplatz (MoAP – mobiles Endgerät) ausgestattet. Aber eben nicht eine Mordkommission, wie Hummel berichtet. Ihr fehlen demnach Smartphones, die einen schnellen Zugriff auf polizeiliche Systeme ermöglichen.

Der GdP-Vize schildert: „Gerade in Sofortlagen ist eine reibungslose Infokette wesentlich für den Fahndungserfolg.“ Liegen aber vor Ort Bilder von einem Tatverdächtigen vor und sollen die schnell an die Fahndungskräfte weitergegeben werden, sei dies der Mordkommission nicht möglich. „Ein Foto mit dem Handy machen und das Bild an die Fahndung versenden – das wäre toll, aber leider nicht machbar.“ Die Mordkommission sei bei der Ausstattung mit diesen wichtigen Geräten „leider noch nicht dran – es fehlen einfach zu viele Geräte“. Die Folge: „Letztlich sind die Ermittler am Tatort von den Fahndungsmaßnahmen abgeschnitten.“

Theoretisch müssten die Beamten Kollegen von der Schutzpolizei oder einer anderen bereits ausgestatteten Einheit „an den Tatort abstellen, um zu berichten, was in der Fahndungskommunikation abläuft. Ansonsten bleibt nur die Fahrt auf die Dienststelle, um Bilder über den PC zu versenden.“

Das Gleiche gelte für Kommissariate, die Einbrüche, Rauschgiftkriminalität oder sexualisierte Gewalt gegen Frauen/Kinder aufklären sollen, kritisiert der Kriminalhauptkommissar. Gleichzeitig sei es Beamten aus datenschutzrechtlichen Gründen verboten, einfach ihr privates Smartphone zu nutzen. Wer es trotzdem tue, habe mit einem Dienstordnungsverfahren zu rechnen.

Die GdP befürchtet, dass aus finanziellen Gründen der Zustand noch Jahre andauert. Bei der Kripo sei aber „ein Einsatz- und Ermittlungserfolg sowie die Eigensicherung auch von einer Nutzung der dienstlichen Kommunikationssysteme abhängig“, hält sie deshalb dem Ministerium von Michael Ebling (SPD) vor.

Wie die GdP berichtet, habe sie nach jahrelanger intensiver Arbeit erreicht, „dass das Ministerium gesetzliche Verpflichtungen zur Beurteilung der Arbeitsbedingungen auch tatsächlich umsetzt. Am Ende des jahrelangen Prozesses könnten Schutzausstattung wie Sicherheitsschuhe, Handschuhe, Kopfschutz, Regenschutz und so weiter stehen.“ Leider sei das bei den allermeisten operativen Einheiten, gerade in der Kriminalpolizei, „immer noch Fehlanzeige“, heißt es. Deshalb greife beispielsweise der Kriminaldauerdienst bei Einsätzen in unwegsamem Gelände oder bei Regen zu privater Kleidung.

Damit nicht genug. Seit Jahren fordern Polizisten Geräte, die vor tödlichem Kohlenmonoxid-Gas warnen. Erfolglos. In NRW sind sie Standard. Beamte der Polizeiinspektion Remagen schafften sich inzwischen selbst drei Melder an, für die sie 1000 Euro aus eigener Tasche bezahlten. Ein Gerät wurde ihnen noch geschenkt. „Für uns ist ja nicht wichtig, wie viel Sauerstoff genau zum Beispiel in einer Wohnung vorhanden ist, sondern wir brauchen schlicht einen Warnhinweis, wenn es eine Unterschreitung gibt und damit eine Gefahr für uns“, betont Loth. „Eine Gefährdungsbeurteilung unseres Wechselschichtdienstes ist dringend angezeigt.“

Das Ministerium argumentiere, „dass wir immer nur dazugerufen werden“, meint Loth. Aber: „Das sehen wir nicht so. Denn es kann passieren, dass wir schlicht schneller sind als Feuerwehr und Rettung, oder dass wir beide nicht hinzugerufen hätten, weil es der Sachverhalt nicht hergab. Wie gesagt, NRW macht es vor. Eine Ausstattung pro Streifenwagen wäre übrigens ausreichend.“

Aber das Ministerium lehnt trotz dieser eindringlichen Argumentation aus der Praxis eine Investition in diese Geräte ab und erklärt auf Anfrage: „Die flächendeckende Anschaffung von Kohlenmonoxid-Meldern wird fachlich derzeit nicht befürwortet.“ Die CO-Warngeräte suggerierten das Gefühl von Sicherheit lediglich. Denn sie könnten nicht die lebensbedrohlichen Gefahren erkennen, die in dem Raum zum Beispiel von Kohlendioxid oder beispielsweise Erdgas ausgehen.

Werde beim Einsatz mit Atemgiften gerechnet, „ist das Abwarten bis zum Eintreffen der für die originäre Gefahrenbekämpfung ausgebildeten und ausgestatteten Fachkräfte dringend geboten“, sagt Ministeriumssprecher Matthias Bockius. Ein erhöhtes Gefahrenbewusstsein werde bei der Aus- und Fortbildung geschult.

Nach der Attacke in Mannheim will das Saarland sogenannte Schnittschutzschals anschaffen, das Mainzer Innenministerium aber nicht. Dies wird von der GdP nicht scharf kritisiert. Wie Loth sagt, habe man die nicht so stark gefordert, „weil sie nur einen kleinen Bereich des Körpers abdecken und eben nur hemmen können“. Aber die Schals seien „für die Kräfte der Bereitschaftspolizei eine Prüfung wert“.

Aktuell laufe ein Trageversuch mit neuen Jacken, deren Arme und am Nacken mit beschusshemmendem Material verstärkt sind. Die trage der klassische Einzeldienst, nicht aber die Bereitschaftspolizei. Für sie bleibe „nur die Möglichkeit mit dem Schal“.

Das Ministerium verweist auf die Unterziehschutzwesten, die zwar vorrangig einen ballistischen Schutz böten, aber auch das Durchdringen von Messern weitestgehend verhindern können. Zudem gebe es in jedem Funkstreifenwagen noch zusätzliche Schutzkleidung für lebensbedrohliche Einsätze, „die ebenfalls über eine Schnitt- und Stichhemmung verfügen“. Die nächste Generation der Unterziehschutzwesten soll, wie es heißt, auch erstmalig über einen zertifizierten Stichschutz verfügen. Es werde damit gerechnet, dass diese Westen von Mai 2025 an ausgeliefert werden.

Polizei vermisst sogar Helme gegen Schläge

Ein anderes Defizit ärgert die GdP auch schon lange: „Wir fordern schon seit mehreren Jahren Einsatzhelme für alle operativen Kräfte. Also nicht den ballistischen Helm für die lebensbedrohlichen Einsatzlagen, sondern solche, die gegen Schläge schützen. Die brauchen wir zum Beispiel beim Fußballeinsatz“, schildert Loth. Aber die seien nur für die geschlossenen Einheiten des PP ELT (Polizeipräsidium Einsatz, Logistik und Technik) im Gebrauch, für die Kräfte der Mobilen Eingreifgruppen des Einzeldienstes und darüber hinaus seien sie in einem Poolbestand. „Das ist nicht auskömmlich, wie wir finden. Jede operative Kraft braucht einen eigenen Helm“, fordert die GdP-Landeschefin. Aber auch eine Eingabe an die Polizeibeauftragte habe nicht geholfen.

Immerhin kann Eblings Sprecher berichten, dass die Landesregierung nach gewalttätigen Übergriffen 2023 zusätzlich 2 Millionen Euro bereitgestellt habe. Damit seien „Körperschutzausstattung für Mobile Eingreifkräfte, Polizeieinsatzhelme, Handschuhe für Operativkräfte der Kriminalpolizei, Hör-Sprech-Garnituren sowie Brandschutz-/Gebläsehelme beschafft“ worden. Während das Ministerium den Bedarf der Polizeibehörden „vollumfänglich gedeckt“ sieht, stellt Hummel fest: Mit dem Sondervermögen könne längst nicht der ganze Nachholbedarf abgedeckt werden, der „sich über Jahre hinweg ansammelte“. Daher hofft er auf den neuen Doppelhaushalt, der im Dezember verabschiedet werden soll.

Von Ursula Samary

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