Ein Grummeln im Bauch
Als Infraschall bezeichnet die Wissenschaft tiefe Tongeräusche unter 20 Hertz. Der Mensch nimmt diese meist als tiefe Brummtöne wahr – wenn überhaupt. „Nur 30 Prozent der Menschen sind überhaupt in der Lage, Infraschall zu hören“, sagt Christian-Friedrich Vahl, Direktor der Klinik für Herz-, Thorax- und Gefäßchirurgie der Mainzer Universitätsmedizin. Die meisten Menschen nehmen die tiefen Schallfrequenzen eher als Grummeln im Bauch wahr, am bekanntesten sind die tiefen Basstöne von den Tonanlagen auf großen Rockkonzerten.
Infraschall wird aber auch von großen Gasturbinen, Kompressoren oder Pumpen und sogar von Heizungs- und Klimaanlagen abgegeben, in der Natur sind Erdbeben, Vulkanausbrüche, Gewitter oder auch Meeresrauschen Quellen von Infraschall. „Infraschall ist eine messbare physikalische Kraft, die im Körper etwas auslöst“, erklärt Vahl im Gespräch mit unserer Zeitung: „Elefanten unterhalten sich mit Infraschall, auch Delfine über große Entfernungen.“
Beim Menschen reagierten Vibrationssensoren in der Haut auf die tiefen Schallwellen und lösten ein unterschwelliges Alarmsignal aus. „Das ist eigentlich ein Katastrophenzeichen“, erklärt Vahl. Es habe Menschen in Vorzeiten geholfen, vor Unwettern oder Vulkanausbrüchen zu fliehen. Ist der Mensch den tiefen Schallwellen aber längere Zeit in hoher Intensität ausgesetzt, kann das offenbar schwerwiegende Folgen haben: „Infraschall entfacht eindeutige messbare physikalische Wirkung am Herzen – und zwar ohne dass man ihn hören kann.“
Vor dreieinhalb Jahren gründete der Herzchirurg Vahl eine Arbeitsgruppe an der Mainzer Universitätsmedizin. Der Auslöser: Berichte von Anwohnern in der Nähe von Windrädern über schwere gesundheitliche Beeinträchtigungen. Sie klagten über Schlaflosigkeit, Leistungsschwäche, Konzentrationsstörungen und Abgeschlagenheit, berichtet Vahl – der Kardiologe wollte es genauer wissen. Seine Arbeitsgruppe nahm Material von Herzoperationen ihrer Patienten und gewann daraus zwei Muskelscheiben, die jeweils von demselben Patienten stammten. Die eine Probe wurde Infraschall ausgesetzt, die andere nicht. „Bei Proben, die eine Stunde lang Infraschall ausgesetzt waren, war eine deutlich verringerte Kraftentwicklung im Herzmuskel zu beobachten“, sagt Vahl. Die Herzleistung habe sich um mehr als 20 Prozent verringert – und das eben bereits nach nur einer Stunde.
Dass Windräder Infraschall erzeugen, ist bekannt. Anwohner klagen oft über einen tiefen Brummton. Der entstehe dadurch, dass die Flügel des Windrads beim Drehen Luft gegen den Mast drücken, erklärt Vahl. Es ergibt sich ein Schalldruckpegel von bis zu 100 Dezibel, schon bei einem einzigen Windrad – das sei lauter als Fluglärm, der meist zwischen 60 und 70 Dezibel liegt und als gravierende Störung wahrgenommen wird. Genau mit 100 Dezibel führte Vahls Arbeitsgruppe ihre Infraschallexperimente durch.
Auf den Abstand kommt es an
Das Fazit: „Infraschall ist kein esoterisches Phänomen, sondern ein biophysikalisch messbarer Effekt, den man ernst nehmen muss“, betont Vahl. Gerade für Menschen mit Herzschwäche könne der dauerhafte Aufenthalt im Umfeld eines Windparks zu einer Gefahr für ihre Gesundheit werden. „Die Daten unserer Auswertungen sind von enormer Bedeutung und sollten bei der Diskussion von Abstandsregelungen zu Windkraftanlagen beachtet werden“, fordert Vahl.
Ein Abstand von 2000 Metern zur Wohnbebauung sei wahrscheinlich eine sichere Entfernung. Windräder sollten etwa entlang von Autobahnen gebaut werden, wo sie weniger störten, so seine Empfehlung. Ein Dorf, eingekreist von Windrädern, sei dagegen nicht gut. „Ich bin wirklich gegen Atomkraft und sehr für Windkraft“, betont der Herzchirurg, „aber ich möchte, dass die Anlagen so gebaut werden, dass sie nicht herzschwache Menschen umbringen oder Schäden hervorrufen.“