Eine traumatische Situation ist gekennzeichnet durch ihr plötzliches und unerwartetes Auftreten, löst bei Betroffenen Entsetzen und ein subjektives Erleben von Kontrollverlust aus. Ohnmacht ist ein ganz zentrales Gefühl bei traumatischen Erfahrungen. An erster Stelle zu nennen wäre die posttraumatische Belastungsstörung, bei der die traumatische Situation wieder und wieder erlebt wird, sei es in Albträumen oder sogenannten Flashbacks. Situationen, Orte, Personen, die an die traumatische Erfahrung erinnern, werden vermieden, und die Betroffenen sind oft reizbar, schreckhaft und schlafen schlecht. Im Gehirn sind verschiedene Zentren miteinander vernetzt und bilden ein „Gedächtnisnetzwerk“. Dieses sorgt normalerweise dafür, dass wir Dinge wahrnehmen und Erfahrungen mit Zeit, Ort, beteiligten Personen, Körperwahrnehmungen und Gefühlen speichern. Außerdem merken wir uns, wie wir auf die Situation reagiert haben und wie „erfolgreich“ dieser Handlungsimpuls war. Kommt es zu einer ähnlichen Situation, entscheidet sich unser Gehirn durch Abgleich mit unseren Erfahrungen und Erinnerungen für die bestmögliche Handlung.
Wenn der Stress aber zu groß ist, sprechen wir von traumatischem Stress. Vereinfacht kann man sagen, dass unser normales Gedächtnisnetzwerk zu langsam ist, um einen sofort erforderlichen, lebensnotwendigen Handlungsimpuls auszulösen. Ein anderes Netzwerk wird stattdessen aktiv und löst sofort den reflexartig in uns allen angelegten Notfallmechanismus aus. Das läuft im Tier- und Menschenreich vergleichbar ab und läuft letztlich auf Weglaufen, Kämpfen oder Totstellen hinaus. Bei der Flut haben viele direkt Betroffene genauso reagiert. Flucht: Sie sind in höhere Etagen geflüchtet oder sind zu ihren Autos gelaufen, um mit diesen zu entkommen, Letzteres zum Teil leider mit fatalen Folgen. Kampf: Andere haben sich in den Kampf gegen die Wassermassen begeben, um Angehörige zu retten oder ihr Zuhause zu sichern. Totstellen: Manch einer ist erst mal wie erstarrt stehen geblieben.
Was in der Katastrophe lebensrettend ist, erschwert aber die „ordentliche“ Ablage im Gedächtnis. Teile der traumatischen Erfahrung schwirren quasi „unvernetzt“ im Kopf herum. Da hört man plötzlich wieder das Wasser rauschen, obwohl draußen die Sonne scheint. Da bekommt man plötzlich Angst, wenn man friedlich und sicher im neuen Zuhause ist. Da laufen Szenen aus der Katastrophe wie Filme vor den Augen ab, nur dass es sich ganz echt und ganz präsent anfühlt und so gar nicht wie eine Erinnerung. Beim Abgleichen neuer und bekannter Reize kommen die traumatischen Erinnerungen dazwischen und lösen das Notfallprogramm aus. Nach der Flut im Ahrtal, aber auch nach Tsunamis in Asien ist ein solcher Triggerreiz zum Beispiel das Rauschen von Wasser.
Wie oft habe ich es in Therapien erzählt bekommen, dass Menschen erstarren, wenn es anfängt zu regnen, dass die Kinder weinen und nicht mehr rauswollen. Ganz verständlich, wenn man bedenkt, dass viele von der Flut aus dem Schlaf gerissen wurden und gequält werden von Gedanken, was sie hätten tun oder wen und was sie hätten retten können, wären sie ganz wach gewesen. Natürlich will man nicht noch mal in so eine lebensgefährliche Situation geraten, also „empfiehlt“ uns das Traumanetzwerk, vergleichbare Momente zu vermeiden. Betroffene können zum Beispiel noch Monate nachher nicht duschen oder im Regen das Haus verlassen, schrecken immer wieder durch Albträume aus dem Schlaf, sind gereizt und geraten dadurch in Konflikte oder fragen sich, ob sie verrückt geworden sind. Unverständnis oder Hilflosigkeit des sozialen Umfelds kommt häufig erschwerend hinzu.
Was tun? Wenn solche Symptome länger als vier Wochen bestehen bleiben, ist es sinnvoll, sich Hilfe zu suchen, um die traumatische Erfahrung ins normale Gedächtnis einzusortieren. Ganz vereinfacht wird der Patient erst so weit stabilisiert und seelisch gestärkt, dass er sich den Erinnerungsbruchstücken und Gefühlen Stück für Stück stellen kann. Das Gehirn lernt, dass die Traumatisierung eine Erinnerung und nicht mehr die Gegenwart ist. So lassen die Stressreaktionen und Notfallhandlungen allmählich nach. Mir sagte ein Patient mal: „Ich möchte einen Reboot meines Gehirns.“