Viele für die Kontrollen abgestellte Verkäufer oder eigens angeheuerte Sicherheitsleute müssen mit so manchem Kunden diskutieren und sich auch mal anpöbeln lassen. Einige Kunden werden aggressiv, manche drohen sogar Schläge an. „Die Aggressionskurve ist gestiegen“, sagt ein Verkäufer in einem Mainzer Möbelgeschäft. In der Regel gelinge es aber, aufgebrachte Kunden zu beruhigen. Dennoch bleibt: Die Zugangsregeln erschweren den Umsatz in der Adventszeit enorm. Ein Überblick:
1 Das sagt der Handel: Die neuen Regeln und abgesagte Weihnachtsmärkte führen dazu, dass viele auf das Weihnachtsshopping und einen Bummel verzichten, sagt der Hauptgeschäftsführer des Handelsverbands Rheinland-Pfalz, Thomas Scherer. „Die Kunden sind zurückhaltend. Die Frequenzen in den Innenstädten gehen zurück.“ Für viele Händler macht das Weihnachtsgeschäft aber 30 bis 40 Prozent ihres Jahresumsatzes aus. Sie geraten nach den Lockdowns erneut oder noch stärker in eine finanzielle Schieflage. Eine Umfrage unter Händlern am ersten Adventswochenende habe bei vielen bis zu 50 oder sogar 60 Prozent Rückgänge ergeben. Und am zweiten Adventswochenende sei es sicherlich nicht besser gewesen.
Dabei sei der Einzelhandel nach der seit Samstag geltenden Corona-Bekämpfungsverordnung nur zu Stichpunktkontrollen verpflichtet, betont er. „Einige Ordnungsämter behaupten aber, dass jeder Kunde kontrolliert werden muss.“ Dies sei weder vorgeschrieben noch gut machbar. Einige Händler wie etwa Haushaltswarengeschäfte haben sich für diese Kunden einen besonderen Service ausgedacht, sagt Scherer. „Sie bringen die Waren direkt vor die Ladentür.“ Dafür hätten manche eigens Bestellscheine entworfen.
2 Das sagt die Gastronomie: Die Auswirkungen der 2G-plus-Regelung in der Gastronomie sind „katastrophal“, sagt der rheinland-pfälzische Dehoga-Präsident Gereon Haumann. Am Wochenende habe es flächendeckend 70 bis 90 Prozent Stornierungen im Gastgewerbe in Rheinland-Pfalz gegeben. Er fordert, den zusätzlich notwendigen negativen Schnelltest für Gastronomie und Hotellerie zu streichen. „2G in allen Lebensbereichen“ und „im Lebensmitteleinzelhandel 3G“, verlangt er. „Das Plus bei 2G muss weg.“ 3G bedeutet Zutritt auch für Ungeimpfte mit negativem Schnelltest. Den brauchen sie in Supermärkten und anderen Geschäften des täglichen Bedarfs wie Blumen- und Buchläden aber bisher nicht.
Für Marcus Fetz, Betreiber des Loreleyhotels Fetz in Dörscheid (Rhein-Lahn-Kreis), ist die Einführung der 2G-plus-Regel „nichts anderes als ein versteckter Lockdown für die Gastronomie und Hotellerie“. Er rechnet mit deutlich weniger Gästen. „Mit der Testpflicht wird die Hürde, essen zu gehen, für viele zu groß sein.“ Fetz muss aufgrund der aktuellen Corona-Lage viele Stornierungen entgegennehmen. Hauptproblem seien die fehlenden Teststellen: „Wer bei uns essen gehen will, muss vorher in der halben Weltgeschichte rumfahren, um einen Test machen zu lassen. Das nimmt doch keiner auf sich.“ René Lotz, Inhaber des Gasthauses Alt Ems in Bad Ems, nennt die 2G-plus-Regel sogar einen „Todesstoß durch die Hintertür“. Auch bei ihm in der Kurstadt haben die Absagen, besonders von Betriebsfeiern, stark zugenommen.
Auch Josef Mayer, Dehoga-Chef im Rhein-Hunsrück-Kreis, berichtet: „Es hagelt Absagen.“ Weihnachtsfeiern und Familienessen werden storniert. Im Eisernen Ritter in Boppard-Weiler, dessen Leitung Mayer vor einigen Jahren an die Nachfolgegeneration abgegeben hat, überlege man sich derzeit Alternativen, berichtet der ehemalige Küchenchef des Restaurants. Wer hier essen möchte, kann sich an Ort und Stelle vorher testen lassen. „Bei à la carte geht das, aber wenn eine große Gruppe kommt, ist das logistisch nicht zu bewältigen“, erklärt der Dehoga-Kreisvorsitzende aus Boppard. „Dann müsste die Gruppe ja schon um 11 Uhr kommen, damit sie um 12.30 Uhr ihr Essen serviert bekommt“, rechnet Mayer vor. Das Ganze hätte nicht sein müssen nach seiner Meinung. „Die Politik hätte beizeiten eine Impfpflicht anordnen müssen, dann hätten wir nun keine Probleme, aber dafür fehlte die Courage“, sagt Mayer.
Der Koblenzer Gastronom Kenan Tayhus hätte sich von der Politik mehr Mut und Konsequenz für einen radikalen Schritt gewünscht: „Am besten wäre es, man hätte November, Dezember, Januar komplett zugemacht und dann wäre es wieder gut.“ Zwar könne er auch ohne offiziellen Lockdown Mitarbeiter in Kurzarbeit schicken, aber wen schickt man, wen nicht? Das Geld brauche ja jeder. Der jetzige Lockdown durch die Hintertür jedenfalls verhagele Gastronomen gehörig das Vorweihnachtsgeschäft: Der Dezember ist sonst einer der stärksten Monate, auch in Verbindung mit dem Weihnachtsmarkt sind Städte wie Koblenz normalerweise voll.
3 Das sagen die Verbraucherschützer: „Ein bisschen mehr Zeit mitzubringen und Vorbereitungen im Vorfeld zu treffen“ – das empfiehlt Maximilian Heitkämper von der Verbraucherzentrale Rheinland-Pfalz für das Weihnachtsshopping. Dazu gehöre, einen Termin für den Schnelltest festzumachen, wenn man etwa zwischendurch einen Kaffee trinken oder etwas essen gehen wolle. „Jeder sollte sich möglichst schnell um eine Booster-Impfung kümmern, das macht den Unterschied“, betont Heitkämper. Damit entfällt der zusätzliche Test im Café, Restaurant, Schwimmbad oder Fitnessstudio. Von den Selbsttests für zu Hause gebe es derzeit viel zu wenige, und die Preise seien massiv gestiegen.
Die Mainzer Weihnachtsbändchen als Beleg für den Status geimpft oder genesen hält Heitkämper für eine gute Idee. Die könnten sogar landesweit oder über Rheinland-Pfalz hinaus Schule machen. In Kaiserslautern und einigen anderen Städten werde dies bereits überlegt. In der Landeshauptstadt gelten die farbigen Armbändchen, die für den Weihnachtsmarkt eingeführt worden sind und sich nicht so leicht abreißen und weitergeben lassen, auch in den Geschäften als Nachweis für die 2G-Regel.
4 Das sagt das Sicherheitspersonal: „Nicht wenige versuchen zu schummeln“, berichtet die Mitarbeiterin einer Security-Firma, die vor Geschäften, auf dem Weihnachtsmarkt und im Fußballstadion digitale Impfnachweise kontrolliert. Manche schickten etwa einem Kumpel einen Screenshot des eigenen Impfnachweises aufs Handy und versuchten so, ihm Zutritt zu verschaffen. Damit kämen sie aber bei den für die Kontrollen eingesetzten Scannern nicht mehr durch.
5 Das sagen die Friseure: Nachhaltige Umsatzeinbußen befürchten auch die Friseure: „30 Prozent der Menschen sind nicht geimpft, und die fehlen den Friseuren“, sagt der Vorsitzende des Landesverbands Friseure & Kosmetik Rheinland, Guido Wirtz. „Die Nichtgeimpften gehen jetzt in die Schattenwirtschaft, und das ist nicht gut“, kritisierte der Innungsmeister. Das Kalkül, Ungeimpfte so zum Impfen zu bringen, gehe sicherlich nur teilweise auf.