Rheinland-Pfalz
Wer verdient eigentlich an der Formel 1?

Rheinland-Pfalz. Kaum ein Großprojekt im Land weckt so viel Misstrauen wie der Nürburgring. Zu viel Geld wurde beim Bau eines überdimensionierten Freizeitparks in den Sand gesetzt, zu lange haben die Verantwortlichen ihre Irrtümer nicht eingestanden. Das Resultat ist der chronische Verdacht, dass am Ring nicht ehrlich gerechnet, nicht aufrichtig informiert wird. Vor diesem Hintergrund werden in der Landespolitik auch die Formel-1-Verträge diskutiert.

Rheinland-Pfalz. Kaum ein Großprojekt im Land weckt so viel Misstrauen wie der Nürburgring. Zu viel Geld wurde beim Bau eines überdimensionierten Freizeitparks in den Sand gesetzt, zu lange haben die Verantwortlichen ihre Irrtümer nicht eingestanden. Das Resultat ist der chronische Verdacht, dass am Ring nicht ehrlich gerechnet, nicht aufrichtig informiert wird. Vor diesem Hintergrund werden in der Landespolitik auch die Formel-1-Verträge diskutiert.

Die Frage steht im Raum, ob das Land zum Nachteil des Steuerzahlers verhandelt hat. Die Opposition hegt diesen Verdacht, die Regierung bestreitet ihn. Staatsanwaltschaft und Landesrechnungshof sind wachsam. Es ist nicht leicht, echte Kenner zu finden, die offen reden. Viele Schriftstücke sind geheim. Entscheidend ist der Konzessionsvertrag zur Formel 1. Er ist die Basis dafür, wer wie viel vom Rennzirkus profitiert. Eine Analyse.

Die großen Fragen

Das Land sponsert die Formel 1 mit einem zweistelligen Millionenbetrag. Das Rennen indes organisierte jemand anders: die Automotive GmbH. Die Firma von Kai Richter und Jörg Lindner hat den Zuschlag erhalten. Mit der Formel 1 will sie natürlich möglichst viel Gewinn machen – wie jeder andere Unternehmer auch. Doch ein solcher Kontrakt darf nicht zu großzügig geschlossen werden, sonst finanziert der Steuerzahler die Profite der Automotive. Die Frage ist daher: Hat das Land die Formel 1 im Dezember 2010 zu Luxuskonditionen vergeben, wie manche vermuten? Und: Warum ist schon wieder Kai Richter mit an Bord? Jener schillernde Geschäftsmann aus Düsseldorf, der in dem Ruf steht, fragwürdige Geschäfte auf Kosten des Landes und damit des Steuerzahlers zu machen. Die Staatsanwaltschaft ermittelt gegen ihn und erhebt vermutlich Anklage. Kai Richter indes beteuert seine Unschuld.

Die erste große Frage lautet: Warum kam wieder Richter mit der Automotive GmbH zum Zug? CDU-Politiker wie Alexander Licht empört dieser Umstand: „Er hätte den Vertrag niemals erhalten dürfen.“ Die Landesregierung bringt indes gleich mehrere Argumente. Erstens: Vertragspartner ist nicht Kai Richter allein, sondern die Automotive mit dem Hotelier Jörg Lindner als Geschäftsführer. Zweitens: Auch für Richter gilt die Unschuldsvermutung. Drittens: Das Land will am Ring kein Unternehmer mehr sein. Viertens und wahrscheinlich entscheidend: Als die Formel-1-Verträge mit der privaten Nürburgring Automotive GmbH (NAG) geschlossen wurden, hatte diese bereits den gesamten Ring gepachtet – samt Rennstrecke. Daher wäre es schwierig gewesen, die Formel 1 herauszulösen.

Kritiker wie Licht bezweifeln, dass es wirklich keine andere Lösung gab. Zumal der Formel-1-Vertrag bis 2030 (mit Verlängerungsoption bis 2040) geschlossen wurde. Gerade eben wird mit Formel-1-Boss Bernie Ecclestone über weitere Rennen verhandelt. Auf rheinland-pfälzischer Seite sitzt die Automotive GmbH mit am Tisch. Rätselhaft bleibt, warum die Landesregierung sich derart lange an Kai Richter gebunden hat. Korruptionsexperten warnen vor solchen Langzeitverträgen.

Beim Konzessionsvertrag selbst stellt sich die Frage: Kann der Steuerzahler sicher sein, dass sich niemand auf seine Kosten bereichert? Hintergrund: 13 Millionen Euro hat das Land zum jüngsten Rennen dazugeschossen. Die Bürger wollen wissen, ob dieses Geld auch wirklich der strukturschwachen Eifel zugutekommt. Der uns vorliegende Konzessionsvertrag, der die Automotive (NAG) mit der Organisation des Rennens betraut, enthält dabei eine umstrittene Öffnungsklausel: Die NAG darf Aufträge an Dritte vergeben. Das hatte zum Zeitpunkt der Vertragsschließung durchaus seinen Sinn. Denn weder Lindner noch Richter sind Formel-1-Experten.

Doch was geschah dann? Statt sich einen Rennfachmann als „Beifahrer“ zu suchen, wurden Lindner und Richter kurze Zeit nach der Vertragsschließung ihr eigener Subunternehmer. Sie gründeten die Grand Prix Rheinland-Pfalz GmbH & Co. KG (GP), um die Formel 1 in Fahrt zu bringen. Aber erst Monate später kam echter Rennsachverstand hinzu. Im Mai 2011 stieg Karl-Josef Schmidt, Ex-Geschäftsführer der Hockenheimring GmbH, ins Führungsteam der Automotive ein. Wozu diente also die frühe Gründung der Grand Prix GmbH?

Das gibt Anlass zu Spekulationen. Bei den Kritikern Richters klingelten sofort alle Alarmglocken. Denn der Düsseldorfer Unternehmer ist (ebenso wie Lindner) allein zeichnungsberechtigt. Das heißt, beide dürfen Aufträge vergeben, ohne dass der andere gegenzeichnen muss. Diese Vorgehensweise hatte der Rechnungshof bereits bei seiner Durchleuchtung des bargeldlosen Bezahlsystems am Ring (CST) kritisiert. Zudem gerieten im Zuge der CST-Affäre Konstruktionen in Misskredit, in denen Kai Richter lukrative Aufträge an seine oder mit ihm verbundene Unternehmen vergab.

Ist die Grand Prix GmbH wieder ein solcher Fall? Immerhin lässt der Konzessionsvertrag zwischen der nahezu landeseigenen Nürburgring GmbH (NG) und der Automotive Spielräume offen. Denn besagte Firma GP kann als Subunternehmerin millionenschwere Formel-1-Geschäfte mit der Automotive abschließen, ohne dass das Land direkt mitredet. Quasi von privat zu privat. Erst ab Kosten von 3,5 Millionen Euro muss die NG informiert werden, erst ab 3,8 Millionen Euro kann sie eine Sperre für Aufträge aussprechen – und das auch nur, wenn der betroffene Betrag über 30 000 Euro liegt.

Macht das undurchsichtige Geschäfte möglich? Und: Wie sichert sich das Land gegen die Gefahr ab, dass die GP der Automotive etwa überteuerte Sach- oder Dienstleistungen verkauft – am Ende sogar zulasten des Steuerzahlers? Das damals federführende Wirtschaftsministerium will Barrieren eingezogen haben. Barriere eins: Die Automotive erhält 3,3 Millionen Euro für die Organisation des Rennens. Mehr nicht. Dabei ist es gleich, wie die Firmen Lindners und Richters intern abrechnen. Der Steuerzahler hätte keinen Nachteil. Barriere zwei: Die Schlussrechnung zur Formel 1, die noch in Arbeit ist, wird genau geprüft. Notfalls kann das Testat eines Wirtschaftsprüfers verlangt werden. „Die Sicherungsmaßnahmen sind hinreichend“, sagt Klaus Stumpf, Aufsichtsratschef der NG. „Wir wissen, dass jeder Kostenpunkt dreimal umgedreht wird“, sagt Kai Richter.

Und Automotive-Geschäftsführer Jörg Lindner warnt vor Verschwörungstheorien: „Schon im Dezember 2009 haben wir ganz offen gesagt, dass wir diese Gesellschaft gründen wollen.“ Hintergrund: Die Automotive will die Formel 1 nicht nur organisieren, sondern auch etwas daran verdienen. Wäre dagegen das Formel-1-Geschäft in den Ring-Betriebspachtvertrag vom Mai 2010 integriert worden, wären die Erlöse nahezu komplett ans Land gegangen. So weit wollte auch das damals federführende Wirtschaftsministerium nicht gehen. Dazu heißt es: Die strengen Konditionen des Pachtvertrags wären nicht noch einmal durchsetzbar gewesen.

Bleibt die Frage: Ist der Formel-1-Vertrag zu vorteilhaft für Lindner und Richter? Jetzt wird es kompliziert. Das Prinzip des Vertrags lautet: Die Automotive führt die Ticketerlöse ab, behält aber bestimmte Summen ein. Der dickste Brocken sind 3,3 Millionen Euro für die Rennorganisation. Bei früheren Rennen entstanden laut Land Kosten zwischen 2,7 und 2,8 Millionen. Damals wurden aber die Eigenkosten nicht berechnet (etwa Büros, Strom, Computertechnik). Daher ist die Pauschale jetzt höher.

Von den Ticketeinnahmen darf die Automotive zusätzlich den Gegenwert von 9000 Karten in der eigenen Kasse lassen – sowie 500 000 Euro, weil sie auf jegliche Werbung vor, nach und während des Formel-1-Rennens verzichten muss. Außerdem: Von jedem Ticket, das jenseits der Schwelle von 65 000 verkauft wird, bleiben 35 Prozent bei den Ring-Betreibern. Wir haben gerechnet: Das jüngste Formel-1-Rennen zählte 68 000 Besucher. Von ihren 9000 Tickets hat die Automotive zudem 1000 an umliegende Gemeinden verschenkt. Legt man einen durchschnittlichen Ticketpreis von knapp 130 Euro (Quelle: Automotive) zugrunde, müssten 67 000 Besucher rund 8,7 Millionen Euro an Ticketerlösen gebracht haben. Kai Richter spricht von 9 bis 10 Millionen Euro.

Alles addiert, können die Rennorganisatoren etwa 5,1 Millionen Euro einbehalten (Text unten). Vorausgesetzt, der Durchschnittspreis lag wirklich bei 130 Euro. In Hockenheim betrug der Schnitt bei den Karten zuletzt rund 200 Euro. Die Automotive ist mit dieser Bilanz selbst höchst unzufrieden.

Wie der Kuchen aufgeteilt wird

Sind 5,1 Millionen Euro für die komplette Abwicklung eines Formel-1-Rennens zu viel? Und: Wie viel Gewinn für die Automotive steckt tatsächlich in der Summe? Ein Vergleichswert ist nicht mal am Hockenheimring erhältlich. Die kompletten Erlöse aus Caterings, Werbung und Fernsehrechten fließen ohnehin zu Formel-1-Boss Ecclestone. Verdienen können die Nürburgring-Betreiber demnach wohl nur am Ticketverkauf – nach unserer groben Rechnung knapp 1,2 Millionen Euro. Es sei denn, die Fixkosten fallen niedriger aus.

Die zweite Hälfte des knapp 10 Millionen Euro großen Einnahmekuchens ginge nach dieser Kalkulation an die nahezu landeseigene NG. Wenn das Land, wie Richter sagt, für den Formel-1-Zirkus gut 16 Millionen Euro an Ecclestone überwiesen hat und laut Lindner zusätzlich 1,2 Millionen Euro an den ADAC zahlte, dann müsste die Gesamtrechnung für die Formel 1 am Ring so aussehen: Das Land gibt etwas mehr als 17 Millionen aus und nimmt maximal 5 Millionen ein. Der Rest wird durch den Landeszuschuss von rund 13 Millionen Euro abgedeckt.

Ob man bei all diesen Zahlen von überzogenen Gewinnen für die Automotive GmbH sprechen kann, darüber wird die Politik zu streiten haben. In Hockenheim machte die Stadt, der die Formel-1-Strecke dort zu 94 Prozent gehört, übrigens 2010 gar keinen Verlust. Ecclestone soll seine Forderungen halbiert haben.

Von unserem Redakteur Dietmar Brück

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