Der 28. März 1979 ist ein nasskalter Frühlingstag. Es ist schon dunkel, als Claudia Wilbert an diesem Mittwoch gegen 22 Uhr eine Schulveranstaltung in Rheinbach bei Bonn verlässt. Es ist ein unbeschwerter Abend gewesen. Die Mädchen haben sich Videos und Dias ihrer Romreise angeschaut. Es wird viel gelacht. Jetzt wollen sie nach Hause. Vom altehrwürdigen Erzbischöflichen St.-Joseph-Gymnasium ist es nur ein kurzer Fußweg zum nahen Stadtpark.
Die 17-Jährige kann nicht ahnen, dass der kleine Spaziergang durch die eiskalte Nachtluft ihre letzten Schritte in Freiheit werden. An der kleinen Brücke über dem Gräbbach am Eingang des Parks wartet sie auf ihren älteren Bruder. Allein. Wolfgang Wilbert soll seine Schwester mit dem Auto abholen, um sie zu ihren Eltern ins zehn Kilometer entfernte Berg im Kreis Ahrweiler zu bringen. Doch dort wird sie nie ankommen.
Als ich zu Hause angekommen bin, stand schon die Polizei vor der Tür.
Wolfgang Wilbert wollte seine Schwester von einer Schulveranstaltung abholen.
Denn ihr Bruder wartet auf der anderen Seite der Schule. „Da standen damals Container“, erinnert er sich gegenüber unserer Zeitung. So haben sie es eigentlich vorher abgesprochen. Doch Claudia Wilbert taucht nicht auf. Seltsam. Der Bruder fragt in der Schule nach: „Da sagte man mir, dass sie schon weggefahren ist“, erinnert sich Wolfgang Wilbert. Die Geschwister haben sich verpasst. Ein fatales Missverständnis, das der 17-Jährigen zum Verhängnis wird. Wolfgang Wilbert ist verwundert. Und fährt allein nach Berg zurück. „Als ich zu Hause angekommen bin, stand schon die Polizei vor der Tür“, sagt er. An der Brücke im Park haben sie zu dem Zeitpunkt schon ihre Tasche gefunden. Zeugenaussagen deuten auf ein Verbrechen hin. Ein Schock für die Familie.
Die Schülerin ist von Passanten im Lichtschein einer Laterne beobachtet worden, wie sie gegen 22.10 Uhr in ein Auto steigt. Oder wird sie hineingezerrt? „Ich halte es für ausgeschlossen, dass sie es freiwillig getan hat“, sagt ihr älterer Bruder. „Sie ist gezwungen worden.“ Es ist das letzte Mal, dass Claudia Wilbert lebend gesehen wird. Zeugen werden sich später bei der Polizei an ein helles Fahrzeug erinnern, das kurz hinter der Brücke plötzlich gestoppt hat – weiß, beige oder hellgrau. In der Nacht ist das nicht ganz eindeutig zu erkennen. Es könnte ein Renault 6 gewesen sein. Oder ein vergleichbares Modell. Ein Peugeot 104, ein VW Golf oder ein Opel Kadett.
Die Zeugen werden den Wagen bei ihren Aussagen folgendermaßen beschreiben: schräges Heck, waagrechter Kühlergrill, senkrecht übereinanderliegende Rücklichter. Das wichtigste Detail ist aber wohl das Kennzeichen: EU wie Euskirchen.Am Steuer sitzt ein junger Mann. Auf 20 bis 30 Jahre werden ihn die Zeugen später gegenüber der Polizei schätzen. Rund 1,75 Meter groß. Mit hoher Wahrscheinlichkeit ist es Claudia Wilberts Mörder. Hat er den jungen Frauen vor dem Mädchengymnasium aufgelauert?
Zwei Tage später wird ihre Leiche gefunden
Dafür spricht die Aussage einer Mitschülerin, die rund 30 Minuten vor der Entführung an gleicher Stelle von einem jungen Autofahrer in einem hellen Wagen mit Euskirchener Kennzeichen belästigt worden ist. Die Polizei vermutet, dass es sich um das gleiche Fahrzeug handelt, in das kurze Zeit später Claudia Wilbert gezogen wird. Sicher ist: Wenige Stunden später ist die 17-Jährige tot. Irgendwann in den kommenden zwei Tagen wird sie ermordet. Am 30. März 1979 finden Spaziergänger ihre Leiche mit gefesselten Armen und Beinen an einem Wanderparkplatz bei Bad Münstereifel-Scheuren. Spuren zeigen, dass sich Claudia Wilbert heftig gewehrt haben muss. Aber gegen ihren brutalen Peiniger hat sie keine Chance. Die junge Frau ist wohl erschlagen worden.
Und ihr Mörder ist auch 45 Jahre nach dem grausamen Verbrechen immer noch auf freiem Fuß. Ein „Cold Case“. Aber die Ermittler geben nicht auf. Bei der Bonner Polizei heftet sich ein dreiköpfiges Team an die Spuren der Täter. Im ungelösten Fall Wilbert lässt der Beamte Franz Wirges auch nach seiner Pensionierung nicht locker. Jetzt hofft er auf die Mithilfe der Fernsehzuschauer. Am Mittwoch, 11. September, erhofft sich Wirges bei der ZDF-Sendung „Aktenzeichen XY ... ungelöst“ neue Hinweise auf Claudia Wilberts Mörder. Offenbar gibt es neue Erkenntnisse in dem Fall. Zu Details will sich die Bonner Polizei gegenüber unserer Zeitung noch nicht äußern. Das werden die Zuschauer erst in der Sendung erfahren.
Claudia war ein lebenslustiger Mensch, der gern gefeiert hat.
Ihr Bruder Wolfgang Wilbert erinnert sich.
Am 11. September werden sicher auch in Berg (Kreis Ahrweiler) viele Bürger vor dem Bildschirm sitzen. Der Mord hat die Menschen in der 1300-Seelengemeinde vor 45 Jahren tief erschüttert. Und er lässt zumindest die Älteren bis heute nicht los. Die Ausstrahlung der ZDF-Sendung lässt die alten Emotionen wieder hochkommen. Vor allem die Angehörigen des Opfers quält die Ungewissheit. „Claudia war ein lebenslustiger Mensch, der gern gefeiert hat“, betont ihr älterer Bruder.
Eine junge Frau mit großen Plänen. „1979 hatte sie gerade erst entschieden, dass sie auf jeden Fall Abitur machen will“, erinnert sich Wolfgang Wilbert. Mit 17 hatte sie ihr Leben praktisch noch vor sich. Doch auch nach all den Jahrzehnten sieht die Familie immer noch eine Chance, dass der Mörder von Claudia Wilbert ermittelt werden kann oder ein Mitwisser sein Gewissen erleichtert. „Die Hoffnung ist schon da“, sagt Wolfgang Wilbert. Der Fahndungsdruck auf den Täter bleibt auf jeden Fall hoch. Denn Mord verjährt bekanntlich nie.
Polizei hofft auf neue Hinweise
Am Mittwoch, 11. September, ab 20.15 Uhr wird der Fall von Franz Wirges, der der Ermittlungsgruppe Cold Case der Bonner Polizei angehört, in der ZDF-Sendung „Aktenzeichen XY ... ungelöst“ vorgestellt. Die Bonner Polizei erhofft sich dadurch weitere Erkenntnisse zu dem Tatverdächtigen. Hinweise aus der Bevölkerung nimmt die Ermittlungsgruppe schon jetzt unter 0228/150 oder per E-Mail an KK11.Bonn@polizei.nrw.de entgegen.
Die Beamten suchen dabei vor allem Antworten auf folgende Fragen: Wer kann Angaben zur Tat oder zum Täter machen? Wer hat Ende der 1970er-Jahre oder Anfang der 1980er-Jahre negative Erfahrungen mit einem Autofahrer im Raum Rheinbach, Euskirchen oder Bonn gemacht? Wer ist verdächtig angesprochen, bedroht, verfolgt oder angegriffen worden? Wer kennt jemanden, der in diesem Zeitraum entsprechende Erfahrungen mit einem Autofahrer im Raum Rheinbach, Euskirchen oder Bonn gemacht hat? Wer kann nähere Angaben dazu machen?