Köln/Mainz (dpa/tmn) – Es ist der Klassiker schlechthin, wenn man an die jetzige «Boomer»-Generation und das Thema Rente denkt: Die Szene in Loriots Film «Pappa ante Portas», wenn Herr Lohse, der frühere Chefeinkäufer als frisch gebackener Ruheständler zig Kisten Senf bestellt, weil er dadurch schließlich etwas Geld sparen konnte.
Was so manchen zum Schmunzeln bringt, löst bei so einigen Ehepartnern und -partnerinnen, die sich daheim auf eine gewisse Tagesstruktur eingerichtet haben, jedoch nahezu Panik aus. Gerade Frauen rufen im Loriot-Sinne: «Hilfe! Mein Mann geht in Rente! Wie soll das funktionieren?» Aber warum macht das vielen Sorgen? Und warum nervt es sie so, wenn der Partner nun auch zu Hause «mitmischen» will?
«Weil es als Eingriff empfunden wird in die eigene Kontrolle und die eigene Domäne», erklärt die Psychologie-Professorin und Paartherapeutin Janina Bühler von der Uni Mainz. Und nach Jahren, in denen sich die Rollen etabliert hätten, schwinge mitunter auch ein Vorwurf mit nach dem Motto: «Du hast dich doch früher auch nicht dafür interessiert, wie die Töpfe gestapelt sind.»
Der Partner als «Störfaktor»
Einige Frauen, so der Kölner Psychologe, Autor und Podcaster Rolf Schmiel («Psychohacks») fühlten sich zu Hause nun auf einmal ständig beobachtet und kontrolliert: «Plötzlich gibt es einen Störfaktor in ihrer Welt. Und das ist der Mann.»
Vor allem dann, wenn dieser Führungsverantwortung und einen gewissen Status in seinem Job gehabt habe. «Er durfte dort jahrelang Dinge entscheiden und bestimmen und ist das auch in seiner Tonalität und Art gewohnt. Aber wenn er das dann zu Hause fortführt, ist es unpassend und unerwünscht», so Schmiel.
Probleme werden jetzt sichtbar
Doch keinesfalls sieht Schmiel die Verantwortung für die Schwierigkeiten beim dominanten Auftreten des Mannes oder seiner neuen «Chef»-Rolle zu Hause. Es kann natürlich auch die neue «Chefin» daheim am Rad drehen. «Das Problem entsteht nicht, wenn einer in Rente geht. Das Problem wird nur sichtbar», sagt Rolf Schmiel.
Zum Beispiel, dass man Jahrzehnte aneinander vorbeigelebt hat, ohne es zu merken. Weil es durch den Job rein stundenmäßig nur wenige «echte Begegnungszeit» gab, die Konfliktdichte gering war und jeder in seiner Welt sein Ding machte. Und da wirkt die Rente wie ein Brennglas: «Ab dem Moment zeigt sich dann, inwiefern die beiden Welten überhaupt noch zueinanderpassen – oder kollidieren.»
Das Berufsleben kann zuvor auch eine Art Flucht gewesen sein, wo beide Personen separat ihrem Leben nachgehen konnten. «Jetzt ist man plötzlich aufeinander geworfen», sagt Janina Bühler. Und das kann auch eine gewisse Einsamkeit erzeugen, weil man merkt: Was machen wir jetzt den ganzen Tag miteinander?
Rente als «Winter» in einer Beziehung
Die Frankfurter Psychologin und Management-Beraterin Christine Backhaus spricht von den Jahreszeiten einer Partnerschaft. Nach Phasen des Kennenlernens und der Verliebtheit, des gemeinsamen Aufbaus mit Haus und Kindern und schließlich des Bilanzziehens gehe es nach der aktiven Berufsphase darum, noch mal einen produktiven Lebenssinn zu finden.
«Auch Nähe, Grenzen, Respekt und Bedürfnisse müssen dann wieder neu gespürt und auch ausgehandelt werden», sagt sie. Und gleichzeitig geht es darum, selbst zur Ruhe zu kommen, Eigenes zu pflegen und zugleich körperliche Schwächen zu tolerieren.
Rolf Schmiel bezeichnet es als «Dreiklang des traurigen Rentenschicksals: Die sinnvolle Aufgabe bricht weg, die Beziehung ist zerrüttet, und der Körper macht auch nicht mehr mit.»
Die drei Varianten für eine Lösung
In solchen Lebensübergängen stellt sich dann ernsthaft die Frage, ob man als Paar noch etwas miteinander anfangen kann, so Janina Bühler, die zum Thema Persönlichkeit und Partnerschaft forscht. Und da gebe es drei Strategien.
- Erstens: Man kommt näher zusammen. Etwa durch gemeinsame Projekte wie einen Hund kaufen, Tango oder ein Instrument lernen oder mit dem Camper tatsächlich lange verreisen.
- Zweite Variante: Man trennt sich. Was gerade in diesem Alter und dieser Lebensphase sehr häufig vorkommt.
- Oder drittens: Eine Mischung aus beidem. Sprich: «Man schaut, welche Sache man gemeinsam hat, und es ist trotzdem gut, wenn einer unabhängig von dem anderen ein eigenes Projekt hat.»
Was unser Leben vergiftet
Rolf Schmiel empfiehlt, nicht erst abzuwarten, bis die ersten Schwierigkeiten im Ruhestand auftreten. «Wenn wir uns erst einmal gegängelt fühlen oder sich der eine nicht akzeptiert oder gesehen fühlt, dann wird es halt schwierig.»
Schon lange vor der Rente sollte man sich bewusst werden, was kommt und dies ansprechen. Entweder therapeutisch begleitet oder indem man regelmäßig einen Fragebogen durchgeht, etwa: «Wie stellst du dir die Zeit vor? Willst du viel reisen? Und was machen wir an den Tagen, an denen wir nicht verreist sind? Welche Wünsche hast du? Und welche Grenzen akzeptierst du?»
Anders formuliert: «Man sollte kurz in den frühzeitigen Konflikt gehen, um langfristig eine gute Zeit zu haben. Denn das Unausgesprochene ist das, was unser Leben vergiftet», sagt der Psychologe.
Übergang mit vielen Emotionen
Und es gibt einen großen Fehler, den vor allem die Frauen in der «klassischen» Renten-Situation machen können: «Ihm das Gefühl zu geben, dass er nicht willkommen ist, dass man ihn sich lieber woanders wünscht», meint Janina Bühler.
Denn vor allem für die Männer, bestätigt Christine Backhaus, ist dieser Lebensübergang mit vielen Gefühlen verbunden: Sie müssen auch emotional damit klarkommen, dass sie in einem bislang wichtigen Part ihres Lebens nicht mehr gebraucht werden. «Sie fühlen sich auch zu Hause nicht mehr wirklich integriert und nicht mehr wirklich wertvoll. Sie müssen sich noch einmal behaupten und ihren Platz neu finden.» Und anders als ihren Frauen fehlten ihnen oft die sozialen Kontakte.
Herausforderung und auch eine Chance
Wenn es jedoch gelingt, Gefühle offen auszusprechen und zu Unsicherheiten zu stehen, Erwartungen zu formulieren und auch zu berücksichtigen, dann haben beide gute Chancen, ihre alte Beziehung mit neuen Aspekten zu beleben: «Man muss anerkennen, dass die Rentenzeit eine herausfordernde ist», bilanziert Janina Bühler. «Aber es wäre vermessen und auch traurig, wenn man nicht denken würde, dass es auch eine Chance ist.»
Rolf Schmiel appelliert an die Männer: «Habt Mut, zu der Angst zu stehen, die die Rente für euch mit sich bringt. Denn das macht euch auch liebenswert, wenn ihr dabei nicht zu sehr jammert.»
Rolf Schmiel: Psychohacks – Leichter durchs Leben
Christine Backhaus / Institut Psyconomy: Karriere und Beziehung im Dialog
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