Von unserem Mitarbeiter Peter H. Eisenhuth
In Kolumbien hatte er nicht nur den Zehnkampf-Titel mit neuem Weltrekord (8002 Punkte), sondern anschließend auch noch Silber im Speerwurf gewonnen. „Es ist perfekt gelaufen“, bilanzierte Kaul seine erste Teilnahme an einem internationalen Großereignis. „Der Zehnkampf war der Hammer. Ich bin ein bisschen überwältigt.“
Dabei war es schon eine herausragende Leistung gewesen, dass der 17-Jährige sich überhaupt für zwei Wettbewerbe qualifiziert hat – eine absolute Rarität bei Mehrkämpfern. Der letzte deutsche Zehnkämpfer mit einem Doppelstart war Martin Lauer, der seinerzeit auch über 110 Meter Hürden antreten durfte. In Melbourne war dies, bei den Olympischen Spielen 1956.
Mit einem solchen Eintrag in die Geschichtsbücher mochte Niklas Kaul sich allerdings nicht zufriedengeben, immerhin war in beiden Disziplinen als Nummer eins der Weltjahresbestenliste angereist; sowohl im Zehnkampf als auch im Speerwurf hatte er in den Wochen zuvor einen neuen U18-Europarekord aufgestellt.
Dass er in Topform war, stand außer Frage. Was hingegen niemand wusste: Wie würde der Mainzer mit dem Druck des Favoriten umgehen, und wie würde er die Doppelbelastung verkraften? Die Antworten fielen eindrucksvoll aus. Noch beeindruckender als die bloßen Resultate – darunter die Steigerung auf herausragende 2,05 Meter im Hochsprung – war Kauls Umgang mit einem Missgeschick, das ihn um ein Haar aus dem Wettbewerb befördert hätte: Zum Auftakt des zweiten Zehnkampftages mit seinen stärksten Disziplinen trat er über 110 Meter Hürden in die erste Hürde, strauchelte und geriet in Vorlage. Nur noch ein kleiner Schritt fehlte bis zum Aus, doch Kaul fing sich wieder und kämpfte sich in immer noch ordentlichen 15,44 Sekunden ins Ziel. „Das war ganz knapp“, sagt er. „Ich habe mich im ersten Moment total geärgert, dass mir der Fehler passiert ist, aber im Nachhinein war ich natürlich froh, dass es gerade noch so gereicht hat.“
Der Strauchler warf den Deutschen in seinem Dreikampf um den Titel mit dem Esten Hans-Christian Hausenberg und dem Franzosen Ludovic Besson deutlich weiter zurück als eingeplant. „Ich habe befürchtet, dass danach nicht mehr viel kommen würde“, räumt Vater und Trainer Michael Kaul, 1993 deutscher Meister über 400 Meter Hürden, ein. Doch zwei Disziplinen später schlug sein Sohn eindrucksvoll zurück: Während die Konkurrenten schwächelten, schwang sich Niklas Kaul im Stabhochsprung über 4,70 Meter. „Da wusste ich, dass ich eine realistische Siegchance hatte“, sagt er.
Was er anschließend mit dem Speer anstellte, war der Hammer. 78,20 Meter brachten ihn erstmals in Führung und waren angesichts der Fähigkeiten aller Medaillenkandidaten über die 1500 Meter quasi gleichbedeutend mit dem Titelgewinn. Also setzte Kaul sich noch ein neues Ziel: als erster Jugendlicher die 8000-Punkte-Marke zu knacken. In 4:42,29 Minuten übertraf er die eigene Vorgabe um zwei Zähler. „Das“, kommentierte sein Vater, „war ein Brett.“
Eineinhalb Tage später überstand Niklas Kaul trotz schwerer Beine die Speerwurf-Qualifikation; Silber im Finale war für ihn die Zugabe. Dass er mit 78,05 Metern rund fünf Meter unter seiner Bestleistung blieb, störte ihn nicht. „Klar hätte ich gern weiter geworfen“, sagt er, „aber mehr war nicht drin. Und die Medaille, die ich holen wollte, habe ich geholt.“