Es dauert etwas mehr als zehn Minuten, bis sich Landtagspräsident Hendrik Hering (SPD) in die muntere Debatte einschalten muss. Hering erklärt: Es hörten Schüler bei der Aussprache zu einer möglichen Verfassungsänderung für eine Senkung des Wahlalters auf 16 Jahre zu. Sie lernten in ihren Klassen, einem Redner zuzuhören. Hering mahnt die Abgeordneten, es den Schülern gleichzutun. Noch ein ums andere Mal muss der Landtagspräsident eingreifen, einmal sagt er: „Warten Sie mal, bis sich das hier etwas beruhigt und der Blutdruck gesenkt hat.“
Es ist eine lebhafte Diskussion über eine mögliche Verfassungsänderung, die Jugendlichen ab 16 Jahren die Stimmabgabe bei Kommunal- und Landtagswahlen ermöglichen soll. Die Regierungsfraktionen von SPD, Grünen und FDP sind für eine Verfassungsänderung, die Oppositionsfraktionen dagegen. Für eine Verfassungsänderung bräuchte es eine Zweidrittelmehrheit, also auch die Zustimmung der CDU. Doch sie lehnt ein Wahlalter ab 16 Jahren weiter ab.
Auch wenn jemand aus einem politikentfernten Elternhaus kommt, kann es so einen Aufweck-Effekt geben.
Sabine Bätzing-Lichtenthäler, SPD-Fraktionschefin
SPD-Fraktionsvorsitzende Sabine Bätzing-Lichtenthäler versucht, die Opposition mit Argumenten zu überzeugen. Eines lautet: Es sei verfassungsrechtlich unstrittig, dass das aktive Wahlrecht ein höchstpersönliches grundrechtgleiches Recht sei. Einzelne Bevölkerungsgruppen wie etwa Jugendliche hiervon auszuschließen, müsse sehr gut begründet sein, so die SPD-Fraktionschefin. Außerdem sei es belegt, dass Partizipationsmöglichkeiten politisches Interesse weckten. Bätzing-Lichtenthäler: „Auch wenn jemand aus einem politikentfernten Elternhaus kommt, kann es so einen Aufweck-Effekt geben.“
Aus Sicht der Westerwälderin komme es zudem in Rheinland-Pfalz bei der Kommunal- und Europawahl 2024 zu einer „absurden Situation“. Dann dürfte man nämlich – ohne eine Verfassungsänderung – den 16- und 17-Jährigen einen Stimmzettel für das EU-Parlament in die Hand geben. Und müsse gleichzeitig den Wahlzettel für den eigenen Gemeinderat unter dem Tisch verstecken.
Geben wir endlich den Jugendlichen eine Stimme an der Wahlurne, es ist Zeit.
Fabian Ehmann, jugendpolitischer Sprecher der Grünen-Fraktion
Ähnlich argumentiert auch Fabian Ehmann, jugendpolitischer Sprecher der Grünen-Fraktion. Er fragt, wie man den Schülern bei einem Schülerbesuchstag von Abgeordneten im nächsten Jahr erklären solle, dass sie zwar über die Klimapolitik in Brüssel oder die Verteidigungs- sowie Agrarpolitik der EU abstimmen könnten, nicht aber über den Skaterpark in ihrem Ort oder die Mobilität in ihrer Region. Ehmann sagt weiter: „Geben wir endlich den Jugendlichen eine Stimme an der Wahlurne, es ist Zeit.“
CDU-Fraktion hält dagegen
Matthias Reuber hält für die CDU-Fraktion dagegen. Beim Wahlrecht handele es sich um das vornehmste Recht der Bürger in Demokratien, ein Herabsetzen der Altersgrenze ohne Berücksichtigung der Volljährigkeit sei immer willkürlich, so der Christdemokrat. Der 30-jährige fragt: „Warum 16, warum nicht 17, warum nicht 15?“ Reuber spricht weiter, dass es nicht zielführend sei, das Wahlrecht isoliert von anderen Rechten und Pflichten zu betrachten, die CDU-Fraktion halte es für nötig, Rechte und Pflichten von Bürgern in Einklang zu halten. Bei einer Entkoppelung müsse man schon sehr gut begründen, warum die Änderung nur für ausgewählte Rechte gelte, aber nicht für Pflichten.
In die gleiche Kerbe schlagen auch weitere Redner aus der Opposition. Stephan Wefelscheid, parlamentarischer Geschäftsführer der Freien-Wähler-Fraktion, argumentiert, Volljährigkeit und aktives Wahlrecht gingen Hand in Hand. Die Gesellschaft habe einen Konsens getroffen, dass man mit dem Eintritt der Volljährigkeit grundsätzlich befähigt sei, seine Interessen selbst wahrzunehmen. Wolle man dies ändern, müsse man eine Debatte über die Volljährigkeit führen.
Damian Lohr, parlamentarischer Geschäftsführer der AfD-Gruppe, meint, durch eine Absenkung des Wahlalters würde die Volljährigkeit ad absurdum geführt. Mit 16 und 17 Jahren sei ein Jugendlicher noch nicht voll geschäftsfähig, dürfe aber dann entscheiden, was etwa mit Milliardenausgaben passiere, sagt Lohr. Er verweist außerdem auf das Ausland. Mehr als 90 Prozent der Länder hätten ein allgemeines Wahlrecht ab 18 Jahren.
Ich bin überzeugt davon, dass die junge Generation das Land zu einem besseren machen wird, deshalb sollten wir sie auch am Wahltag teilnehmen lassen.
Cornelia Willius-Senzer, stellvertretende FDP-Fraktionsvorsitzende
Cornelia Willius-Senzer, stellvertretende FDP-Fraktionschefin und mit 79 Jahren die älteste Parlamentarierin im Landtag, gibt der AfD Kontra: Es sei interessant, dass „jetzt plötzlich die Ausländer als Vorbilder für Sie zählen“. Die CDU wolle sie „einfach nur überzeugen“. Sie sei der Ansicht, dass die junge Generation das Land „zu einem besseren machen wird, deshalb sollten wir sie auch am Wahltag teilnehmen lassen“. Themen, die vor allem die nächsten Generationen betreffen, gebe es viele: den Klimawandel, die Finanzierung des Rentensystems, eine intakte Infrastruktur ...Aus Gesprächen mit Jugendlichen nehme sie mit, dass viele junge Leute sich nicht ernst und mitgenommen fühlten.
Ganz ohne Spitze in Richtung CDU bleibt die Rede der Liberalen dann doch nicht: Sie berichtet von einem gemeinsamen Schulbesuch mit dem CDU-Parlamentarier Gerd Schreiner. Bei einer Abstimmung zur Frage des Wahlalters ab 16 habe der ganze Jahrgang mit Grün, also mit „Ja“ gestimmt. Nur eine „rote Laterne“ sei da gewesen, „das war der arme Herr Schreiner“, erzählt die FDP-Politikerin.
Innenminister: „Wahlalter 16 wird kommen“
Innenminister Michael Ebling (SPD) appelliert am Ende der Debatte, 70 000 Jugendliche einzuladen, die freiheitlich-demokratische Grundordnung zu stärken, es ginge um einen „wichtigen Beitrag in diesen Zeiten“. Der Innenminister sagt zum Schluss: „Es wird kommen – wenn nicht heute, dann morgen.“