Michel Gloden ist Bürgermeister des symbolträchtigen luxemburgischen Ortes im Dreiländereck zu Deutschland und Frankreich, dessen Name für eine der größten Errungenschaften der Europäischen Union steht: grenzenloses Reisen. „Es ist klar, dass wir keine Grenzkontrollen begrüßen“, sagte er. „Wir haben so viele Pendler, den lokalen Handel in Luxemburg oder in Deutschland. Und das wird alles beeinträchtigt.“ Heute gehören 29 Länder mit rund 420 Millionen Menschen zum Schengen-Raum.
„Das macht keinen Spaß“
Der 52-Jährige hofft, dass die Kontrollen so wenig Auswirkungen wie möglich auf das tägliche Leben in der Grenzregion haben werden. Bei den zuletzt angeordneten Kontrollen auf deutscher Seite während der EM habe es teils kilometerlange Staus gegeben. „Das macht keinen Spaß. Da haben Pendler den ganzen Tag in Luxemburg gearbeitet, fahren abends nach Deutschland nach Hause und stehen eine Stunde im Stau.“
Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) hat ab diesem Montag vorübergehende Kontrollen an allen deutschen Landgrenzen angeordnet, unter anderem, um die Zahl unerlaubter Einreisen von Migranten einzudämmen. Die zusätzlichen Kontrollen sollen zunächst sechs Monate dauern.
„Ich bin auch dagegen“, sagte Charles Vinandy. Er wohnt im saarländischen Merzig und kommt oft nach Luxemburg, um zu wandern und um seine Familie zu sehen. „Jetzt muss ich wieder Zeit einplanen, um auf der Grenze zu warten.“ Das Ganze mache ihn wütend. „Meiner Meinung nach ist die Sache ein politischer Aktionismus und geht garantiert an dem Ziel vorbei, dass illegale Migranten hier herausgefischt werden“, meinte der Luxemburger Joseph Koch, der in der Nähe von Schengen wohnt. Die Kontrollen bei der Einreise nach Deutschland verärgerten die Nachbarn und bremsten die Wirtschaft aus. Mehr als 50.000 deutsche Grenzgänger arbeiten in Luxemburg.
„Ich bin kein Freund von Grenzkontrollen, weil sie mit massiven Unannehmlichkeiten für die Pendler verbunden sind“, sagte der frühere EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker. Stationäre Grenzkontrollen sieht er besonders kritisch. „Wenn es Kontrollen geben muss, dann wären mobile statt stationäre Kontrollen, nicht an der Grenze, sondern im Hinterland weniger schwierig für Betroffene“, sagte der Luxemburger. „Im gelebten Europa: Dass man jetzt ohne viel Federlesen die Errungenschaft der europäischen Integration zur Disposition stellt, das macht mich schon besorgt“, sagte er mit Blick auf Schengen. Es dürfe nicht sein, „dass man wieder in den Köpfen und in den Herzen der Menschen Grenzen entstehen lässt“.
Corona: Schlechte Erinnerungen
„Wenn man von Grenzkontrollen hört, dann verbindet man gleich noch mal die Situation mit Corona“, sagte Ralf Uhlenbruch, Bürgermeister der saarländischen Gemeinde Perl, die auf der gegenüberliegenden Moselseite von Schengen liegt. Im Frühjahr 2020 hatte Deutschland zur Eindämmung des Coronavirus etliche Grenzübergänge zu Frankreich und Luxemburg geschlossen. So etwas dürfte sich nie wiederholen. Die jetzt anstehenden Kontrollen seien anders, auch wenn man noch nicht genau wisse, wie sie ablaufen sollten, sagt Uhlenbruch.
Auch die Bürgermeister der Grenzregion wünschten sich, dass die Kontrollen „aus dem unmittelbaren Bereich der Brücken der Grenze“ mehr ins Landesinnere verlagert würden. „Wir haben hier einen so aufeinander angestimmten und eng verbundenen Lebensraum, dass man alles vermeiden sollte, was den normalen Ablauf stört.“
Es gebe täglich Tausende Pendler, die aus dem Raum Perl nach Luxemburg zur Arbeit fahren. Viele Kinder aus Frankreich und Luxemburg kämen nach Perl zur Schule. Und auch zum Einkaufen und Tanken werden täglich Grenzen überfahren. „Es ist etwas anderes, wenn ich hier im Dreiländereck eine Kontrolle mache als in Gebieten, in denen Lebensräume und Bildungssystem nicht so aufeinander abgestimmt sind“, sagte der Perler Bürgermeister. Im Dreiländereck versuche man, „Europa im Kleinen zu leben und da gehört es auch dazu, dass man Schengen als Symbol für Europa maximal in die Köpfe bringt“.
Seit Oktober 2023 gibt es in Deutschland bereits stationäre Kontrollen an den Grenzen zu Polen, Tschechien und der Schweiz. Diese wurden immer wieder verlängert und laufen aktuell bis zum 15. Dezember. An der deutsch-österreichischen Landgrenze gibt es solche Kontrollen, die mit der irregulären Migration begründet werden, seit September 2015. Die neu angeordneten Kontrollen direkt an der Grenze betreffen die Landgrenzen zu Frankreich, Dänemark, Belgien, den Niederlanden und Luxemburg. Wo genau die stationären Kontrollen ab Montag in Rheinland-Pfalz und im Saarland sein werden, dazu wollte die Bundespolizei keine Angaben machen.
Auch andere Länder im Schengenraum führen wieder Grenzkontrollen durch. Schengens Bürgermeister Gloden sieht „Schengen“ dennoch nicht gefährdet. „Die Menschen erkennen doch, dass das Leben in Europa mit dieser Errungenschaft viel, viel leichter ist.“ Viele Menschen aus aller Welt kämen nach Schengen. „Es gibt nur ein Dorf, das bekannter ist als Schengen – und das ist Bethlehem“, sagt er. Die Leute, die etwa aus Afrika nach Schengen kämen, sagen: „Ihr habt keine Ahnung, was für ein Glück Ihr habt! Einfach so über Grenzen zu reisen.“
40 Jahre Abkommen
2025 wird in Schengen groß gefeiert. Denn am 14. Juni ist es 40 Jahre her, dass das Schengener Abkommen unterzeichnet wurde. Dazu werde das Europamuseum nach mehr als einem Jahr Umbau und Neugestaltung wieder eröffnet. Und: Das Schiff „Marie-Astrid“, auf dem das Abkommen unterschrieben wurde, kommt zurück in den Ort. Noch liege es in Mondorf bei Bonn in einer Werft und werde umgebaut, bevor es dann in Schengen an einem neuen Steg seinen festen Platz bekomme, sagte Gloden. Am 14. Juni 1985 hatten Deutschland, Frankreich, Luxemburg, Belgien und die Niederlande an Bord des Schiffes den schrittweisen Abbau der Grenzkontrollen vereinbart.