Unterwegs, wenn andere noch schlafen: Mit dem Hahnenschrei beginnt die Arbeit der Zusteller
Hirz-Maulsbach befindet sich noch im Tiefschlaf. Verlassen liegen die Straßen des kleinen Westerwaldörtchens da. Es ist 5 Uhr, und die ersten Morgenstrahlen schimmern am Horizont. Auf einmal schallt ein Hahnenschrei durch das Dorf. Es ist, als wolle der Hahn Elke Müller (68) wecken, eine unserer knapp 2700 Zeitungszustellerinnen und -zusteller. Doch das ist natürlich nicht nötig, denn im Haus der Müllers brennt bereits Licht.
Seit dem 1. Februar 1996 ist es die Aufgabe von Elke Müller, unsere Zeitung zuzustellen. „Guten Morgen“, begrüßt Elke Müller den nächtlichen Gast. Ihre Arbeit hat bereits begonnen: Den Stapel frisch gedruckter Zeitungen hat sie in ihr kleines Auto geladen, jetzt werden noch die Briefe sortiert, die sie ebenfalls zustellt. Und dann fehlt noch das Wichtigste: ihre Enkelin Luisa.
„Zeitungen auszutragen, hat uns schon immer große Freude gemacht“, erzählt Elke Müller lachend, während wir uns in ihr Auto quetschen. „Früher haben mir meine Kinder geholfen, aber die sind inzwischen längst groß und ausgezogen. Heute freue ich mich, wenn meine Enkelin mich in den Ferien begleitet.“
Wir kreuzen durch die nächtlichen Straßen und sammeln Enkelin Luisa ein. „Guten Morgen“, sagt sie brummelnd und nimmt den Co-Piloten-Platz neben ihrer Oma ein. Ob die beiden begeisterte Frühaufsteher sind? Oma und Enkelin schauen sich kurz an und müssen dann laut lachen: „Nein, eigentlich lieben wir es beide, lange zu schlafen.“ Und dennoch tragen sie Zeitungen aus? „Ach“, sagt Luisa und zuckt mit den Schultern, „ich werfe mir morgens einfach rasch einen Hoodie über und drehe mit meiner Oma zusammen die Runde. Und danach können wir wieder ins Bett gehen und noch ein wenig weiterschlafen.“
„Wenn meine Enkelin keine Zeit hat, dann muss mein Mann mit mir aufstehen“, sagt Elke Müller schmunzelnd. Die Arbeitsverteilung sieht dann so aus, dass der Ehemann am Steuer sitzt und langsam durch Hirz-Maulsbach und die angrenzenden Gemeinden rollt. Elke Müller steigt an jedem Haus, das mit unserer Zeitung beliefert werden soll, aus, geht zum Briefkasten oder zur eigens angeschafften Zeitungsrolle und schiebt das frisch gedruckte Werk hinein.
Heute sitzt Elke Müller selbst am Steuer und ihre Enkelin darf rennen – „da merke ich erst, was mein Mann für einen einfachen Job hat, wenn er mit mir zusammen die Tour macht“, sagt sie und lacht fröhlich, während sie das Auto anhält und Luisa aussteigen lässt.
Die hat in der Zwischenzeit nicht gefaulenzt, sondern sich einen Überblick über die Route verschafft. Dann schnappt sie sich die ersten drei Zeitungen, springt aus dem Auto, eilt zu den Häusern und kommt nur wenige Minuten später zurück zum Auto. Während Oma Elke Müller wieder Gas gibt, sortiert Luisa bereits die nächsten Druckwerke.
Die beiden kennen ihre Route wie ihre Westentasche. Sie wissen genau, wer eine Zeitung bekommt, sie wissen genau, wer gerade in Urlaub ist und bei wem sie deshalb nichts in den Briefkasten stecken müssen.
Heute zeigt sich das Wetter von seiner angenehmsten Seite: Die Luft riecht nach Sommer, es wird schön und heiß werden. Die Morgendämmerung breitet sich immer weiter aus, der Himmel beginnt nach und nach zu glühen. Doch unsere Zustellerinnen und Zusteller sind buchstäblich bei Wind und Wetter unterwegs. „Das ist natürlich nicht so angenehm, wenn einem der Regen um die Ohren pfeift“, sagt Elke Müller, aber eigentlich macht ihr das Wetter nicht so viel aus, sagt sie. Auch nicht im Winter, wenn es früh morgens frostig kalt ist und sie den Mantelkragen hochschlägt, wenn sie dafür sorgt, dass unsere Leserinnen und Leser ihre Zeitung pünktlich zum Frühstück in ihrem Briefkasten haben.
Wir sind inzwischen nicht mehr die Einzigen, die wach sind. Auch die ortsansässigen Landwirte sind bereits aufgestanden – und eine junge Frau kommt Luisa entgegen. Sie nimmt die Zeitung direkt aus der Hand der Zustellerin an, beide gönnen sich einen kurzen Schwatz, bevor es mit der Arbeit weitergeht. „Eigentlich ist das Schönste, dass man morgens keinen trifft und seine Ruhe hat“, sagt Luisa lachend. Aber manchmal macht es eben doch Spaß, mit einem anderen Frühaufsteher ein paar Worte zu wechseln.
„Manchmal vertreten wir auch andere Kollegen, wenn die in Urlaub sind“, sagt Elke Müller. Dann weitet sich ihre Route, die sie normalerweise in rund einer Stunde absolviert hat, aus. „Aber das macht mir nichts aus, so komme ich mal in andere Ecken“, sagt sie.
Der Zeitungsstapel ist immer kleiner geworden, nur noch eine Zeitung liegt auf dem Armaturenbrett. Ein letztes Mal: Autotür auf, Briefkasten aufgeklappt, Zeitung rein. Geschafft. Und jetzt? „Ab ins Bett!“, sagen Elke und Luisa Müller lachend.