Westerwald

Das Wunder von Bern in Blei gegossen: Josef Wimmer und Erwin Köppler waren Schriftsetzer bei der Rhein-Zeitung

Urgesteine der Rhein-Zeitung: Erwin Köpp-ler (links) und Josef Wimmer haben 1954 in der Setzerei angefangen. Viele Schriftsetzer gingen durch ihre Schule.
Urgesteine der Rhein-Zeitung: Erwin Köpp-ler (links) und Josef Wimmer haben 1954 in der Setzerei angefangen. Viele Schriftsetzer gingen durch ihre Schule. Foto: Jens Weber

Wenn Josef Wimmer und Erwin Köppler bei einem Glas Wein miteinander über alte Zeiten fachsimpeln, kommen fast 100 Jahre RZ-Geschichte zusammen. 87 und 86 Jahre sind sie alt. Kaum jemand kennt das Medienunternehmen so gut wie diese beiden Urgesteine.

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Als sie 1954 als Schriftsetzer in Koblenz beginnen, liegt ein Großteil der Stadt an Rhein und Mosel noch in Trümmern. Konrad Adenauer ist damals Bundeskanzler, und die Rhein-Zeitung existiert gerade mal acht Jahre. Wimmer und Köppler leisten Pionierarbeit. Aber es geht aufwärts. Auch sportlich. Gleich in ihrem ersten Jahr gießen sie den Sieg der deutschen Fußball-Nationalmannschaft in der Schweiz buchstäblich in Blei. Das Wunder von Bern. Wenn sie heute durch die alten Originalausgaben blättern, kommt Wehmut auf. Aber auch Stolz. Dann werden Erinnerungen an die alte Setzerei in der Koblenzer Stegemannstraße wach. Der Geruch von Blei und Druckerschwärze. „Das ging früher viel lockerer zu als heute“, erinnert sich Wimmer. Aber natürlich haben sie auch viel gearbeitet. „Es wurde ja gut honoriert“, betont der 86-Jährige und zählt die vielen Schichtzulagen auf.

Im Unternehmen kennen sie ihn meist nur als den Jupp. Und eigentlich kennen ihn alle. Und Erwin Köppler natürlich auch. Denn wer bei der Rhein-Zeitung Schriftsetzer werden will, muss durch ihre Schule gehen. Köppler gibt sein Wissen bis in die 70er-Jahre an seine Lehrlinge weiter.

Wimmer ist sogar bis in die 90er-Jahre hinein in der Lehrwerkstatt aktiv. Zusammen haben sie ganze Generationen von Lehrlingen ausgebildet. Der Moselweißer hat sie nicht gezählt. „40, 50 vielleicht“, erinnert er sich im Gespräch mit unserer Zeitung. Seiner Zeitung. Köppler ist sich sicher, dass es deutlich mehr gewesen sein müssen. Sicher ist: Zwei arbeiten immer noch im Unternehmen. Wimmer hat ihre Namen nicht vergessen. Und zu vielen fallen ihm auch noch Anekdoten ein.

Auf Förmlichkeiten hat Wimmer dabei noch nie großen Wert gelegt. Nicht nach unten und schon gar nicht nach oben. Doch wenn es ums Handwerk geht, ist er streng. Am Anfang der Lehre steht der Setzkasten. „Den musste jeder Auszubildende auswendig lernen“, sagt Wimmer. Ganz oben liegen die Versalien, die Großbuchstaben für die Überschriften. „Die wurden immer per Hand gesetzt“, erklärt der Handwerksmeister. Darunter gibt's Zahlen, Kommas, Punkte und Trennungsstriche. Ganz vorn in den großen Fächern sind die as, es und is schnell griffbereit. „Die wurden ja am meisten gebraucht“, erklärt Wimmer. Q und y führen hingegen eher ein Schattendasein in den Setzkästen. Einen davon bewahrt Wimmer noch in seinem Koblenzer Haus auf. Für das Gespräch hat er ihn auf seine Terrasse geholt.

Alles Handarbeit: Die Maschinensetzer geben den Arbeitstakt vor. Die Spezialisten tippen die Manuskripte der Redakteure ähnlich wie auf einer Schreibmaschine Zeile für Zeile ab.
Alles Handarbeit: Die Maschinensetzer geben den Arbeitstakt vor. Die Spezialisten tippen die Manuskripte der Redakteure ähnlich wie auf einer Schreibmaschine Zeile für Zeile ab.
Foto: RZ Archiv

Aber in der Stegemannstraße, und später in der August-Horch-Straße, wird auch viel gelacht. Vor allem an Fastnacht. „Da haben wir immer von Schwerdonnerstag bis Aschermittwoch gefeiert“, blickt Wimmer zurück. Dann kann es schon mal vorkommen, dass der Jupp aus dem Stand einen Salto rückwärts schlägt. Manchmal läuft der ausgezeichnete Kunstturner auch mal auf den Händen quer durch die Setzerei. Eine Legende, die das Unternehmen 45 Jahre lang geprägt hat.

Als Wimmer bei der Rhein-Zeitung anfängt, ist er gerade mal 18 Jahre alt und Geselle. Die Setzerei in der Koblenzer Stegemannstraße umweht damals noch ein Hauch von Johannes Gutenberg. 20 Setzmaschinen geben dabei den Arbeitstakt vor. „Klick, klack, klick“, erinnert sich Wimmer an das Geräusch der herabfallenden Buchstaben. Zigarettenrauch wabert durch die Halle. „Damals war das ganz normal“, sagt Wimmer. „Und es stand auch schon mal ein Bier auf dem Tisch.“ Oder auch zwei. Heute wäre das vollkommen undenkbar. Aber damals werden die gut 100 Arbeiter in der Koblenzer Setzerei noch von einem kleinen Ausschank versorgt, den ein Kollege auf eigene Rechnung betreibt. Der Umgangston ist rau, aber herzlich. „Wie auf einer Baustelle eben“, sagt Wimmer. Und er immer mittendrin.

Gearbeitet wird oft rund um die Uhr. In bis zu drei Schichten. Um 6 Uhr startet die Frühschicht. Schon früh am Morgen landen die Manuskripte der Redakteure auf den Tischen der Maschinensetzer, die sich blaue Schürzen übergezogen haben. Manche sind noch handschriftlich verfasst. Das Papier wird in Halter geklemmt und auf einer Art überdimensionierter Schreibmaschine abgetippt. Bei jedem Tastendruck fällt dabei die Gießform eines Buchstabens herunter – die sogenannte Matrize. Das passiert so schnell, dass es mit dem bloßen Auge eigentlich kaum zu verfolgen ist. 120 bis 150 Zeilen schafft ein erfahrener Maschinensetzer pro Stunde.

In jede Matrizenzeile wird später kochend heißes Blei gegossen. So entstehen Spalte für Spalte. Artikel für Artikel. Ein Puzzlespiel mit Blei, das von Neuem beginnt, wenn die Korrektoren auf den Abzügen einen Fehler finden. „Dann wurden die Buchstaben ausgetauscht“, erinnert sich Wimmer an das aufwendige Prozedere. Erst danach kommen die Metteure ins Spiel. Zusammen mit den Redakteuren bauen sie die Seiten. Wie viele Artikel passen überhaupt drauf? Was wird der Aufmacher? Eine potenziell konfliktträchtige Kooperation. „Am besten war es, wenn sich beide gut verstanden haben“, erinnert sich Wimmer.

Damals wie heute ist der Platz begrenzt. „Da passte in etwa so viel drauf wie auf ein Kuchenblech“, sagt der Koblenzer. Was nicht passt, fliegt raus. Oft ganze Zeilen. Ansonsten werden die Buchstaben etwas gequetscht. „Das erforderte viel Erfahrung“, betont Wimmer. Besonders beliebt ist es auch, am Bild zu kürzen. Im Klartext heißt das: Die Fotos, für die die Abteilung Chemigrafie zuständig ist, werden kleiner. Danach geht die fertige Seite erneut zum Lesen, bis sie druckreif ist. „Das war die letzte Gelegenheit, noch Fehler rauszuholen“, betont der 86-Jährige. Denn nun kommen die Seiten in die Prägepresse, in der die Bleiplatten in eine Rundform gegossen werden, über die die Seiten schließlich gedruckt werden.

Ein aufwendiger Prozess, der mittlerweile längst automatisiert worden ist. Aber Wimmer würde nicht tauschen wollen. Auch Köppler nicht, der später zum Produktionsleiter in der Setzerei aufgestiegen ist. Beide bekümmert es, dass ihr Beruf, den sie so geliebt haben, mittlerweile praktisch ausgestorben ist. Zumindest bei den Zeitungen. Der Computer hat die Schriftsetzer irgendwann überflüssig gemacht. „Das macht mich schon sehr traurig“, sagt Wimmer, der den Niedergang des Handwerks am Ende seiner Karriere miterleben muss. Als er im Jahr 1999 schließlich in Rente geht, ist der jahrhundertealte Beruf schon fast Geschichte.