Hunsrück-Hochwald

Wie der Nationalpark geboren wurde: Den Hunsrück-Hochwald hatte zunächst niemand auf der Rechnung

Claus-Andreas Lessander vor der Windskulptur auf dem Erbeskopf mit dem Nationalpark im Hintergrund.
Claus-Andreas Lessander vor der Windskulptur auf dem Erbeskopf mit dem Nationalpark im Hintergrund. Foto: Reiner Drumm

Als das Umweltministerium im September 2011 kundtut, welche fünf Gebiete in Rheinland-Pfalz als Nationalpark infrage kommen, hat den Hunsrück-Hochwald eigentlich niemand auf der Rechnung. Auch Claus-Andreas Lessander nicht, der später dem Starterteam angehört, das den Gründungsprozess steuert, und der 2016 unter dem Titel „Der Ruf nach Wildnis“ ein Buch über die Geburt des Nationalparks schreibt.

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Nachdem sich im Pfälzer Wald gleich Widerstand formiert, gilt zunächst der Soonwald als aussichtsreichster Kandidat. Das sieht auch Lessander so, der heute Chef des Forstamts in Birkenfeld ist. Doch dann kommt alles ganz anders.

„Das ist eine Jahrhundertchance“, frohlockt Bertram Fleck (CDU), damals Landrat des Rhein-Hunsrück-Kreises, zu dem ein Teil des Soonwaldes gehört, voller Euphorie. Doch im Kreis Bad Kreuznach kämpft eine kleine, aber gut organisierte Gruppe von Anfang an mit vollem Einsatz gegen den Nationalpark. Gehör findet sie vor allem bei der CDU, deren Landesverband sich früh eindeutig gegen das Prestigeprojekt der Grünen positioniert.

Angesichts dieser Front geht das grüne Umweltministerium nach und nach auf Distanz zum Soonwald. Das ist die große Chance für den Kreis Birkenfeld. Auch die Lokalredaktion der Nahe-Zeitung in Idar-Oberstein ist von dem Megathema elektrisiert. Dort ist man sich schnell einig: Bei einem Vorhaben dieser Dimension reicht es nicht, den Prozess nur zu begleiten. Da muss man Farbe bekennen – und zwar pro Nationalpark, weil dieser die abseits der großen Zentren und Verkehrswege gelegene Region nachhaltig aufwerten kann. Das versuchen die Redakteure, deutlich zu machen – ohne natürlich in ihren Berichten die Argumente, Einwände und Bedenken der Gegner zu vernachlässigen.

„Die Rolle der Nahe-Zeitung kann gar nicht hoch genug bewertet werden. Sie hat sauber und gründlich herausgearbeitet, welch große Chance das für unsere strukturschwache Region ist. Ich weiß nicht, wie es ohne diese engagierte Berichterstattung ausgegangen wäre“, blickt Lessander zurück. Eindruck macht in Mainz auch, dass sein Vorvorgänger im Forstamt Birkenfeld, Ulrich Sommer, mit anderen Befürwortern früh einen Förderverein gründet, der sich Freundeskreis nennt. Widerstand kommt vor allem von der in Morbach ansässigen Sägeindustrie, die über ihren Bundesverband massiv Stimmung gegen das 
Projekt macht. Auch die lokale CDU im Kreis Birkenfeld tut sich lange schwer damit. Doch nach einigem Zögern und Zaudern ringt sie sich schließlich, gegen die ablehnende Haltung der Landespartei mit der Vorsitzenden Julia Klöckner, zu einem Ja durch.

Aber auch manche Experten stehen dem Hunsrück-Hochwald zunächst skeptisch gegenüber: Dabei ist er „naturschutzfachlich absolut geeignet“, wie Lessander mit Blick auf die ausgedehnten Buchenwälder unterstreicht. Er verweist darauf, dass „kein anderer deutscher Nationalpark einen höheren Anteil an mehr als 120 Jahre alten Buchen hat“. Aber lange bleibt alles offen. Die Landesregierung legt die Entscheidung in die Hände der Region. Ein Bürgerbeteiligungsmodell sorgt dafür, dass alle kritischen Punkte ausführlich diskutiert werden.

Das Starterteam erarbeitet Konzepte für drei Knackpunkte: Neben der Brennholzversorgung geht es vor allem darum, Wildschäden und die ungebremste Ausbreitung des Borkenkäfers zu verhindern. Das letzte Wort haben schließlich der Kreistag und die Gemeinderäte der Dörfer: Am Ende des rund dreijährigen Prozesses stimmt eine große Mehrheit dafür – die meisten wohl vor allem deswegen, weil mit dem Park nicht nur die Natur geschützt, sondern auch die Entwicklung der Region gefördert werden soll. Die Einweihung wird im Mai 2015 mit rund 20 000 Besuchern groß gefeiert. Dabei stößt manchen sauer auf, dass die komplette Führungsriege der rheinland-pfälzischen CDU der offiziellen Zeremonie am Erbeskopf demonstrativ fernbleibt, während Annegret Kramp-Karrenbauer (ebenfalls CDU), die damalige Ministerpräsidentin des Saarlandes, in ihrer Rede ein Loblied auf den länderübergreifenden Park singt. Im Landtagswahlkampf folgt Ende 2015 der – letztlich vergebliche – Versuch der CDU, ihm finanziell das Wasser abzugraben. Die Finanzausstattung lässt auch so schon zu wünschen übrig. Dennoch ist Lessander davon überzeugt, dass Natur und Region auf Dauer von dem Mehrgenerationenprojekt profitieren werden. „Es gibt viele positive Ansätze. Es kann aber natürlich nicht alle Probleme der Region lösen“, warnt er vor zu hohen Erwartungen. Die Natur indes fackelt offenbar nicht lange: „Die Verwilderung geht schneller, als wir gedacht haben.“

Von den Diskussionen über die großflächige Abholzung von Fichten, den Einsatz von Harvestern zum Entfernen von Käferholz und die Einschränkungen für Mountainbiker lässt sich der Forstbeamte nicht irritieren: „Ich bin nach wie vor ein Fan des Nationalparks.“ Zumal er nach dem Koalitionsvertrag der neuen Landesregierung noch vergrößert werden soll. „Schon als Kind fand ich Nationalparks toll“, erinnert sich Claus-Andreas Lessander. Seitdem hat er weltweit 65 dieser Premiumschutzgebiete besucht. „Ich hätte mir aber nie träumen lassen, dass es auch in meiner Heimat mal einen gibt.“