Koblenz

Aufstand für das Oberlandesgericht Koblenz: Tausende Bürger kämpften 2011 leidenschaftlich und erfolgreich gegen die geplante Auflösung

Für das Oberlandesgericht Koblenz und eine bürgernahe Justiz demonstrierten im Mai 2011 an die 3000 Menschen. An die 70 000 Unterschriften folgen. Der Erfolg: Die rot-grüne Landesregierung lenkt ein.
Für das Oberlandesgericht Koblenz und eine bürgernahe Justiz demonstrierten im Mai 2011 an die 3000 Menschen. An die 70 000 Unterschriften folgen. Der Erfolg: Die rot-grüne Landesregierung lenkt ein. Foto: RZ Archiv

Die Auflösung des Oberlandesgerichts in Koblenz ist unvorstellbar! Nicht nur dem damaligen Vorsitzenden des rheinland-pfälzischen Richterbunds, Thomas Edinger, verschlägt es am 28. April 2011 die Sprache, als der designierte Justizminister Jochen Hartloff (SPD) aus heiterem Himmel das Unvorstellbare am Rande rot-grüner Koalitionsverhandlungen verkündet.

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Unserer Zeitung ist sofort klar, welchen Plan der damalige Ministerpräsident Kurt Beck (SPD) verfolgt und dabei (unrealistische) Einsparziele samt Reform wohl nur vorschiebt. Er will den jahrelangen Ärger um die Präsidentenstelle am Oberlandesgericht (OLG) schlagartig beenden. Da dies leicht durchschauen ist, erwartet unsere Zeitung sofort: Bürger werden sich mit einem Sturm der Entrüstung wehren. Zu vollmundig?

Nein. Am nächsten Tag hängt schon das erste Betttuch mit Protestparole am ehrwürdigen OLG. Schnell ist von Becks Rache die Rede, nicht nur hinter vorgehaltener Hand. Denn der Streit um die OLG-Präsidentenstelle tobt zu dieser Zeit bereits seit Jahren. Kurz vor der Landtagswahl 2011 hat Justizminister Heinz Georg Bamberger (SPD) vor dem Bundesverwaltungsgericht noch eine schallende Ohrfeige für sein rechtswidriges Auswahlverfahren kassiert. Grund: Er hatte einen ihm genehmen Richter per Blitzernennung ins Amt gehievt und den in der Justiz wegen seiner Kompetenz geschätzten Koblenzer Landgerichtspräsidenten Hans-Josef Graefen ausgebootet. Die Quittung: Bambergers Favorit muss nach höchstrichterlichem Urteil vom November 2010 das Amt räumen, das er verfassungswidrig erhalten hatte.

Die für Graefen zermürbend lange Odyssee durch alle Instanzen samt hitzigen Debatten im Landtag sind im April 2011 vielen Bürgern aus Berichten unserer Zeitung nur allzu präsent. Daher kursiert die Frage: Ist es nun Becks Kalkül, dass sich auf eine Stelle, die es in einem aufgelösten OLG nicht mehr gibt, Graefen nicht mehr bewerben kann? Geht Rot-Grün aber wirklich so weit – mit dem Preis, auch ein Verwaltungsgericht aufzulösen und neben dem OLG auch die Koblenzer Generalstaatsanwaltschaft in die Pfalz zu schicken?

Recherchen unserer Zeitung widerlegen Becks Argumente, erklären auch die Absurdität, das große OLG Koblenz zum kleinen und verkehrstechnisch nur äußerst schwer erreichbaren OLG Zweibrücken zu verfrachten. Die Folge wäre: Um ihr gutes Recht streitende Bürger müssten von Altenahr oder Altenkirchen stundenlang mehr als 200 Kilometer weit auf Achse sein und womöglich für einen Prozess in der Pfalz übernachten. Rot-Grün führt auch sinkende Fallzahlen am OLG ins Feld. Falsch. Vor allem die Zahl der Familiensachen steigt. Dabei ist Rot-Grün wohl entgangen, dass das OLG beim Sorgerecht bereits die zweite Instanz ist und Kinder angehört werden müssen. Kommunen fürchten sofort steigende Personalkosten, wenn Jugendsamtmitarbeiter ständig in die Pfalz fahren müssen. Darf es Luxus sein, sein Recht zu suchen – für die ums Sorgerecht kämpfende Mutter oder den um Lohn streitenden Handwerker?

Protest formiert sich schnell, mit dem Koblenzer Ex-Oberbürgermeister Eberhard Schulte-Wissermann (SPD) an der Spitze. Aber Beck lässt sich auch von anderen namhaften Genossen nicht umstimmen. Die lautstarke Quittung: An die 3000 erboste Menschen demonstrieren am 13. Mai in Koblenz. Hat Hartloff nur eine kleine Schar aufmüpfiger Robenträger erwartet, so irrt er. Bürger, Vertreter von Parteien und aller Kammern, Gewerkschaftler, Richter, Staatsanwälte, Verteidiger, Notare und Unternehmer strömen mit Plakaten herbei. Auf Autos prangen die Aufkleber „Für eine bürgernahe Justiz – Hände weg vom OLG“. Danach kämpfen Kreistage, Gemeinde- und Stadträte mit Resolutionen fürs OLG. An die 70 000 Unterschriften erreichen Beck, der unter diesem Druck schließlich eine Expertenkommission beruft. Ihr Fazit im März 2012: Ein Aus fürs OLG Koblenz erspart keine Kosten. Graefen erlebt den Erhalt des OLG bereits als sein Präsident. Hartloff hat ihn Ende 2011 schließlich doch ernannt. Er will Vertrauen zurückgewinnen.

Das gute Signal bleibt: Selbstbewusste Rheinland-Pfälzer haben ihre Leidenschaft für Demokratie gelebt und Haltung in einem Rechtsstaat gezeigt, der ohne unabhängige Justiz und freie Presse nicht funktioniert. Aber dafür muss auch immer wieder gekämpft werden.