Koblenz

Sind Sie gern Journalist? Ein Gespräch mit Lars Hennemann und Peter Burger über die Faszination ihres Berufes

Lars Hennemann (links) und Peter Burger stehen in der Rotation des RZ-Druckhauses, wo die Printausgaben gedruckt werden. Auf dem Tablet kann man die neueste Ausgabe schon am selben Abend lesen.
Lars Hennemann (links) und Peter Burger stehen in der Rotation des RZ-Druckhauses, wo die Printausgaben gedruckt werden. Auf dem Tablet kann man die neueste Ausgabe schon am selben Abend lesen. Foto: Jens Weber

Zwei Männer, eine Leidenschaft: Chefredakteur Lars Hennemann (Kürzel LOH) und sein Vorgänger Peter Burger (Kürzel BUR) sprechen über die Faszination des Journalismus, den Wandel der Medien und über Fußballer Gerd Müller.

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Herr Burger, Herr Hennemann, erinnern Sie sich an Ihr erstes Leseerlebnis mit der Zeitung?

BUR: Das war im Alter von zwölf Jahren. Damals, in den 70er-Jahren, gab es die kommunale Gebietsreform in Rheinland-Pfalz, und ich habe mit großem Interesse verfolgt, wie oft mein Heimatort Güls in der Rhein-Zeitung erwähnt wurde. Ich habe auf die Ortsmarken geachtet. Das ist bis heute nicht nur bei mir, sondern bei vielen Lesern so. Sie wollen wissen, was sich in ihrem Lebensumfeld ereignet.

LOH: Auslöser war bei mir die Fußballweltmeisterschaft 1974. Meine Oma schenkte mir ein WM-Buch, mein Vater ein Buch über Gerd Müller, der mit der Nationalmannschaft Weltmeister geworden war. Ich habe damals angefangen, in der Zeitung nach Fotos von Gerd Müller zu suchen und Fußballberichte zu lesen.

Was hat Sie an Gerd Müller beeindruckt?

LOH: Seine Leidenschaft. Wenn man etwas macht, soll man es richtig machen.

Wann und warum wurden Sie vom Leser zum Journalisten?

BUR: Ich habe mich als Gymnasiast intensiv mit Wortschatz und Syntax der „Bild“-Zeitung befasst. Damals reifte der Wunsch, Journalist zu werden. Meine Eltern nahmen daraufhin Kontakt zum Leiter Außenpolitik der Rhein-Zeitung auf. Doch bei einem persönlichen Gespräch malte er den Beruf des Journalisten in den schwärzesten Farben: lange Arbeitstage, kein freies Wochenende, rund um die Uhr im Einsatz. Ich war schockiert. Ich nutzte dann die Zeit bei der Bundeswehr, um in der Pressestelle des III. Korps in Koblenz zu arbeiten.

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Da kam ich richtig auf den Geschmack. 1979 bewarb ich mich bei der Rhein-Zeitung für ein Volontariat – und setzte mich mit etwa zehn anderen unter 500 Bewerbern in einem Auswahlverfahren durch.

LOH: Als Gymnasiast habe ich ein Praktikum bei der „Westfalenpost“ gemacht. Das hat mir unglaublich viel Spaß gemacht. Ich lernte Dinge, von denen ich vorher nicht wusste, dass es sie überhaupt gibt. Hinzu kamen die Neugier auf Menschen und die Lust am Schreiben. Wichtig war – und das gilt bis heute –, dass ich schon als Praktikant sehr gut betreut wurde.

Meine Mentoren haben mir gezeigt, was guter Journalismus bedeutet und auslösen kann. Während meines Studiums in Mainz habe ich als freier Autor für die Mainzer Rhein-Zeitung gearbeitet, bevor ich dann zur Allgemeinen Zeitung Mainz gewechselt bin. Die ursprüngliche Faszination an der Zeitung ist bis heute da – auch wenn der Beruf anstrengend sein kann und dazu geneigt ist, einen aufzufressen, wenn man nicht aufpasst.

Wie hat sich die Bedeutung des Journalismus seit den 80ern gewandelt?

BUR: Die etablierten Medien damals hatten fast eine Art Monopolstellung. Außer den öffentlich-rechtlichen Sendern und den gedruckten Tageszeitungen gab es keine großen Alternativen. Das ist inzwischen ganz anders. Es gibt private Sender, digitale Informationen und vor allem viele soziale Netzwerke. Das Monopol der Wahrhaftigkeit hat sich völlig verändert.

LOH: Wir leben heute in einer Echtzeitwelt. Die Geschwindigkeit der Nachrichtenverbreitung ist also nicht mehr der einzige bestimmende Faktor. Die Menschen rufen sich vielmehr die Nachrichten ab, wenn sie Zeit dafür haben. Der Leser ist also autonom geworden. Die Bedeutung des Journalismus ist nicht geschrumpft, aber hat sich dramatisch verändert. Es ist wichtiger denn je, dass die Tageszeitung bei der Vielfalt der Quellen eine gute, seriöse Quelle ist. Denn das, was an angeblichen News im Internet kursiert, hat oft mit Journalismus überhaupt nichts zu tun.

Das heißt, die viel gepriesene Wächterfunktion des Journalismus ist wichtiger denn je?

BUR: Ja, das bedeutet auch, dass wir unseren Lesern in dieser unüberschaubaren Flut an Nachrichten einen Überblick geben – als glaubwürdige Quelle. Wenn sich die Menschen auf uns verlassen, haben sie wahrhaftige Informationen.

LOH: Wir haben als Journalisten eine Rolle in der Gesellschaft – und die ist klar beschrieben. Wir beschreiben das Geschehen, erklären es und ordnen es ein. In den USA, wo inzwischen leider viele Zeitungen vom Markt verschwunden sind, stellt man fest, dass die Informiertheit der Menschen rapide abnimmt. Die wahre Bedeutung einer Zeitung sieht man oft erst dann, wenn sie verschwunden ist. So weit wollen wir es in Deutschland nicht kommen lassen.

Haben Journalisten Macht?

BUR: Nicht im klassischen Sinne. Aber wir spüren natürlich gerade im Bereich der Lokalredaktionen, dass wir den Lauf der Dinge beeinflussen können. Es gab einige Bürgermeister oder Landräte, die aufgrund unserer Berichterstattung zurücktreten mussten.

LOH: Ich würde es nicht mit dem Begriff Macht, sondern mit Verantwortung beschreiben. Denn wir können Karrieren beeinflussen. Und damit muss man sehr verantwortungsvoll umgehen.

Sie haben von der Echtzeitwelt gesprochen, die mit Twitter 2010 noch einmal eine neue Dynamik erhalten hat. Jeden Tag werden pro Sekunde 6000 Tweets versendet, mal mehr, mal weniger relevant. Wie verändert das den journalistischen Alltag?

LOH: Man darf sich nicht vereinnahmen lassen von dieser Nachrichtenflut – das ist das eine. Das andere ist, dass sich viele Nutzer von sozialer Netzwerke irgendwann in der sogenannten Meinungsblase bewegen. Ihre eigene Meinung wird immer nur bestätigt, und sie verpassen die kontroverse Diskussion eines Themas. Hinzu kommt, dass in sozialen Netzwerken eine Meinung schnell artikuliert und zugespitzt wird. Nach zwei Stunden ist die Aufregung vorbei, und dann folgt das nächste Thema mit dem gleichen Mechanismus. Als Journalisten befolgen wir eine Kardinaltugend: Wir trennen das Wichtige vom Unwichtigen.

BUR: Und wenn bei Facebook, Insta-gram oder Twitter Gerüchte gestreut werden, gehen wir dem nach und recherchieren den Wahrheitsgehalt. Das ist unser tägliches Handwerk.

Wie hat sich im Laufe der Jahre die Erwartung der Leser an die Rhein-Zeitung verändert?

BUR: Der Leser ist mündiger geworden. Er ist bereit, viel intensiver mit uns zu diskutieren – und das ist gut so. Wir wollen in den Dialog treten. Das ist durch die sozialen Netzwerke einfacher geworden.

LOH: Der Leser ist auch kritischer geworden, was gut ist. Schwierig wird es dann, wenn eine selektive Meinung der Redaktion übergestülpt werden soll. Dann ist die Grenze eines kritischen Dialogs erreicht.

Herr Hennemann, Ihr Vorbild Gerd Müller war berühmt-berüchtigt für die mentale Vorwegnahme von Spielabläufen …

LOH: Ja, der stand immer an der richtigen Stelle.

Gewähren Sie uns einen Blick in Ihre mentale Vorwegnahme der Zeitungsentwicklung?

LOH: Unsere Berichterstattung muss die Lebenswirklichkeit der Leser abbilden, inhaltlich und technisch. Alles muss sauber recherchiert und so oft wie möglich exklusiv sein. Wir wollen dem Leser Inhalte bieten, die er nur bei uns bekommt – und das auf Wegen, über die der Leser entscheidet: gedruckt morgens im Briefkasten, als E-Paper, als Nachricht auf Rhein-Zeitung.de oder als Newsfeed.

BUR: Gute, verifizierbare Inhalte grenzen uns mehr denn je ab von allen anderen Medien.

Herr Hennemann, Ihre Devise lautet: „Wer den Überblick behalten will, muss lesen. Heute und garantiert auch morgen.“

LOH: Lesen ist eine Kulturtechnik. Man muss sich einlassen auf einen Text, auf Argumentationen, auf verschiedene Meinungen. So erlangt man als mündiger Leser die Fähigkeit zum Kompromiss. Das ist der originäre Beitrag einer Tageszeitung zur Demokratie.