Wie kurz ist der Draht zwischen Daniela Schmitt und Volker Wissing, also zwischen Mainz und Berlin? Von FDP-Verkehrsministerin zu FDP-Verkehrsminister? Und kann Rheinland-Pfalz davon profitieren? Wir trafen die beiden zum Doppelinterview in Mainz – vor allem, um über die Infrastruktur im Land und Verkehrsprojekte zu sprechen. Denn davon gibt es in Rheinland-Pfalz bekanntlich viele – und sie bringen Probleme mit sich, ob auf der Straße, der Schiene oder bei der Binnenschifffahrt.
Warum hängt es bei Autobahnbaustellen ebenso wie bei der Rheinvertiefung? Und wird die Bahn kaputtgespart? Was wird aus der am Mittelrhein herbeigesehnten Alternativtrasse? Schmitt und Wissing gaben Auskunft – und waren sich, wenig überraschend, einig: Es tut sich viel. Auch bei der kümmerlichen Außendarstellung der Bundesampel? Wie oft ruft Schmitt, die Teil der rheinland-pfälzischen Ampelregierung ist, in Berlin an, um anzumahnen, dass sich die Berliner Ampel zusammenreißen möge? Das Doppelinterview im Wortlaut.
Frau Schmitt, laut Landesrechnungshof verfolgt der Ihnen unterstellte LBM eine „reaktive Erhaltungsstrategie “, der Investitionsbedarf beim Straßenbau wird nicht abgebaut, liegt seit Jahren bereits bei über einer Milliarde Euro. Es sei nicht erkennbar, wie der Zustand der Straßen im Land verbessert werden soll. Geht das auf Versäumnisse Ihres Amtsvorgängers Volker Wissing zurück?
Schmitt: Nein, überhaupt nicht. Es zeigt nur, dass es extrem wichtig ist, fortlaufend in die Ertüchtigung der Infrastruktur zu investieren. Es war gut, dass Volker Wissing als damaliger Landesverkehrsminister 2016 angekündigt hat, dass die Ausgaben in den Straßenbau in Rheinland-Pfalz erhöht werden und er viele Kapazitäten aufgebaut hat. Die Mittel für den Landesstraßenausbau werden seit 2016 bis heute stetig erhöht, auch beim LBM wurden mehr Stellen geschaffen. Jetzt gilt es, die Dinge auch weiterhin kontinuierlich fortzuführen.
Wie wollen Sie denn das rheinland-pfälzische Straßennetz retten? Der Rechnungshof stellte fest, dass mit 38 Prozent 2022 noch mehr Landesstraßen in einem sehr schlechten Zustand waren als 2017 (32 Prozent). Kann der LBM denn wirklich so bleiben wie er ist?
Schmitt: Wir sind ständig in einem Dialog mit dem LBM und arbeiten kontinuierlich daran, die Dinge zu evaluieren und zu optimieren, auch mit Blick auf knappe personelle Ressourcen. Wir werden zukünftig noch stärker mit der Strategie arbeiten müssen, Straßen- und Infrastrukturprojekte klar zu priorisieren. Ein genauer Blick zeigt aber auch, dass der Anteil sehr guter Straßenabschnitte gestiegen ist. Und auch der für die Verkehrsteilnehmer relevantere “Gebrauchswert„ der Straßen, der die Fahrsicherheit und den Fahrkomfort der Infrastruktur beschreibt, hat sich insgesamt verbessert.
Der Rüffel des Rechnungshofs hat Sie trotzdem geärgert – oder?
Schmitt: Mich ärgert es, wenn es so dargestellt wird, als hätten wir ein Straßennetz, das nicht mehr funktioniert. Das ist nicht der Fall. Ich verstehe es, wenn die Bürger sich ärgern, wenn es Schlaglöcher gibt. Aber wir müssen eben schauen, wo es dringenden Handlungsbedarf gibt – und wo man Projekte zu einem späteren Zeitpunkt realisieren kann.
Herr Wissing, bei Bundesautobahnen, die in Ihre Zuständigkeit fallen, sieht es nicht viel besser aus – mit der A61-Moseltalbrücke haben wir ein großes Sorgenkind vor Augen. Haben Sie gute Nachrichten für Pendler und andere Autofahrer?
Wissing: Ich habe bei meiner Amtsübernahme ein marodes Autobahnbrückennetz vorgefunden. Wir haben in Deutschland in unserem Kernnetz 4.000 sanierungsbedürftige Autobahnbrücken, die zum Teil zu spät in Angriff genommen worden sind. Bislang hatte man keine wirklich guten Priorisierungskriterien. Deshalb haben wir eine ganz neue Priorisierungsstrategie aufgesetzt. Die orientiert sich an der Traglast und an der Bedeutung der Brücke für das Gesamtstraßennetz.
Nach diesen Kriterien arbeiten wir jetzt die 4.000 sanierungsbedürftigen Brücken innerhalb von zehn Jahren ab. Außerdem haben wir ein Genehmigungsbeschleunigungsgesetz auf den Weg gebracht. Das ermöglicht, Brücken, die ersetzt werden müssen, ohne Planfeststellungsverfahren und ohne Umweltverträglichkeitsprüfung zu ersetzen. Und zwar, auch wenn sie in Form und Gestalt vom Vorgängerbauwerk abweichen. Damit können wir Ersatzneubauten an die aktuellen Verkehrsbedarfe anpassen.
Wie kann es dann trotzdem sein, dass der Ausbau der A 61 zwischen Rheinböllen und der Raststätte Hunsrück mit den beiden Großtalbrücken Pfädchensgraben und Tiefenbach wohl erst 2028 beendet sein wird?
Wissing: Die beiden Brücken befinden sich ja schon in der Umsetzung. Leider lassen sich Verzögerungen bei Großprojekte wie diesen nicht immer vermeiden, zum Beispiel, wenn vertraglich zugesagte Qualitäten nicht erreicht werden. Da bestehen wir auf Nacharbeiten, die aber Zeit fressen. Ich kann Ihnen versichern, dass die A61 einer unserer absoluten Schwerpunkte ist beim Ausbau der Bundesstraßen in Rheinland-Pfalz und wir alles tun, um das Projekt zügig abzuschließen.
Kommen wir zur Bahn. Die Bahn schiebt einen gigantischen Investitionsstau vor sich her, nun fehlen noch Haushaltsmittel in Milliardenhöhe, Neubauprojekte werden zusammengestrichen. Wird der Schienenverkehr in Deutschland gerade zu Grabe getragen?
Wissing: Das Gegenteil ist der Fall. Es werden keine Neubaustrecken gestrichen. Ich weise die falsche Behauptung, dass die Mittel für die Schiene gekürzt werden, aufs Schärfste zurück. Im Gegenteil wird massiv zusätzlich investiert. Wir planen zusätzliche Investitionen in Höhe von 31,5 Milliarden Euro. In unserem Haushalt gibt es einen einzigen Bereich, der nicht nur vom Sparen ausgenommen ist, sondern sehr viel zusätzliches Geld bekommt – und das ist die Schiene.
Auch mit Blick auf die begrenzten Kapazitäten der Bauwirtschaft haben wir sehr genau überlegt, was jetzt am dringendsten erledigt werden muss. Und jedem, der in letzter Zeit mit der Bahn unterwegs war, ist klar, dass wir vor allem unser Bestandsnetz wieder in Schuss bringen müssen. Das Geld, das wir beim Schienenverkehr in diesem Jahr benötigen und tatsächlich verbauen können, steht vollständig zur Verfügung. Es wird nichts gekürzt, wir gehen mit den Korridorsanierungen auch an die absolute Leistungsgrenze der Bauwirtschaft.
Uns interessiert und bewegt natürlich die Bahnsituation im Mittelrheintal. Über eine Alternativtrasse wird bereits lange gesprochen, durch die Machbarkeitsstudie rückte sie zuletzt scheinbar wieder in weite Ferne. Wie wahrscheinlich ist in Ihren Augen der Bau einer Alternativtrasse für den Güterverkehr am Mittelrhein noch?
Wissing: Die Situation ist für die Anwohner vor Ort unerträglich. Wir brauchen, wenn wir mehr Verkehr auf die Schiene verlagern wollen, eine Lösung, die unsere Logistik- und Verkehrsinteressen mit den berechtigten Interessen der Anwohner in Einklang bringt. Wir wollen eine Lösung für das Mittelrheintal und halten darum an der Suche nach einer Alternative fest. Bis diese Lösung gefunden ist, investieren wir weiter massiv in den Lärmschutz. Seit 1999 haben wir im Mittelrheintal insgesamt 65 Millionen Euro in den Lärmschutz investiert. Dennoch sage ich klar: Wir brauchen die Perspektive für den Bau einer Alternativtrasse.
Die Trasse scheitert aber doch am Nutzen-Kosten-Verhältnis. Wie wollen Sie jemals einen Wert erreichen, der eine Realisierung des Projekts möglich machen soll?
Wissing: Die aktuelle Machbarkeitsstudie zeigt ja mit der modularen und in mehreren Baustufen umsetzbaren Streckenführung eine Perspektive, die gegenüber der bisherigen Variante erhebliche Kostenvorteile aufweist. Hinzu kommt, dass wir ja auch übergeordnete Ziele verfolgen, beispielsweise deutlich mehr Verkehr auf die Schiene zu verlagern, um unsere Klimaschutzziele zu erreichen.
Die Machbarkeitsstudie hat solche Faktoren aber doch schon berücksichtigt. Trotzdem war ein niedriger Nutzen-Kosten-Wert das Ergebnis.
Wissing: Wir erwarten bis zum Jahr 2051 deutschlandweit ein Plus beim Güterverkehrsaufkommen von 46 Prozent. Auf der Schiene wird ein Plus von 33 Prozent erwartet. Wir müssen uns ehrlich die Frage stellen, wie der Verkehr über die Infrastrukturen, die wir jetzt etwa im Mittelrheintal haben, abgewickelt werden soll. Ohne Investitionen in neue Strecken wird das schwer möglich sein. Wenn die Verkehre aber nicht stattfinden können, wird Deutschland massive Wachstumseinbußen haben. Das können wir uns nicht leisten. Ich bin sicher, dass sich das Nutzen-Kosten-Verhältnis in der Zukunft anders darstellen wird. Ich bleibe am Projekt dran, ich gebe es nicht auf.
Uns wird von den Bürgern und Bahnlärm-Initiativen im Mittelrheintal berichtet, dass man die Menschen mit der Ankündigung einer Alternativtrasse nur vertrösten und hinhalten will. Die Menschen glauben nicht mehr an eine Umsetzung.
Wissing: Ich nehme die Belastung der Anwohnerinnen und Anwohner sehr, sehr ernst. Die Gesundheit jedes Einzelnen muss geschützt werden. Es ist ein dickes Brett, aber an dem Brett muss man weiter bohren. Darum müssen wir beide Wege entschlossen weiterverfolgen: die Alternativtrasse und Lärmschutz an der Bestandsstrecke. Ich bin weiter optimistisch.
Straße und Schiene stehen vor einer schwierigen Zukunft. Kommen wir zum Schiffsverkehr – genauer: zum Rhein. Das Projekt Rheinvertiefung beziehungsweise Abladeoptimierung hätte nach den ursprünglichen Plänen der Vorgängerregierung schon längst in der Umsetzung sein sollen – und Sie beide befürworten es ebenfalls. Warum geht es nicht voran?
Wissing: Es geht hier um ein sehr komplexes Vorhaben. Wir haben das notwendige Personal dafür zur Verfügung gestellt. Es gab viele öffentliche Kontroversen. Ich habe die Akteure an einen Tisch geholt und sie gefragt, was man an welcher Stelle beschleunigen kann. Danach habe ich eine Beschleunigungskommission Mittelrhein eingesetzt. Sie hat einen Bericht vorgelegt, der eine Reihe von konkreten Beschleunigungsvorschlägen enthält, die man nun abarbeitet.
Die komplexe Herausforderung ist, dass man bei einer Fahrrinnenvertiefung möglicherweise eine Änderung der Sedimentablagerung bewirkt. Das kann große Auswirkungen auf das Flussökosystem haben. Die ist sehr schwer zu antizipieren. Man muss diese Dinge ja modellhaft untersuchen. Das findet gerade bei der Bundesanstalt für Wasserbau statt.
Schmitt: Es zeigt sich, wie komplex die Sachlage ist. Was mich als Wirtschaftsministerin in eine komfortablere Ausgangslage versetzt, ist, dass ich in Berlin im Bundesverkehrsministerium nun einen direkten Ansprechpartner habe, der die Bedeutung und Dringlichkeit des Projekts vor Augen hat. Lange Jahre war in Berlin die Sensibilität für den Rhein als Wasserstraße nicht so gegeben. Das Projekt ist unumgänglich. Allein bei der BASF liegt der Anteil der Werkslogistik per Schiff bei 40 Prozent.
Umweltverbände sind unisono der Meinung, dass die Pläne angesichts des fortschreitenden Klimawandels und der damit verbundenen Niedrigwasserphasen bereits überholt sind. Stattdessen sollte man nicht den Rhein an die Schifffahrt, sondern diese an die Gegebenheiten des Flusses anpassen, etwa durch den forcierten Bau von für Niedrigwasser geeigneten Schiffen.
Schmitt: Man muss das eine machen, ohne das andere zu lassen. Wir brauchen beides.
Wissing: Es ist natürlich sinnvoll, dass man Schiffe nutzt, die weniger Tiefgang haben. Aber trotzdem macht es Sinn, dass wir die Abladeoptimierung angehen, weil sich die Abladetiefe immer am Pegelstand Kaub orientieren muss. Durch die Vertiefung der Fahrrinne kann sehr viel CO₂ eingespart werden.
Sie konnten sich zuletzt in Rheinland-Pfalz über die Ansiedlungszusage des US-Pharmakonzerns Eli Lilly in Alzey freuen. Microsoft gab dieser Tage bekannt, Milliarden im Rheinland zu investieren. Allerdings sank das Bruttoinlandsprodukt in Rheinland-Pfalz nach Angaben des Statistischen Landesamtes im ersten Halbjahr 2023 gegenüber den ersten sechs Monaten des Vorjahres preisbereinigt um 5,4 Prozent – das ist im Ländervergleich der letzte Platz. Die Bundesregierung erwartet dieses Jahr ein Mini-Wirtschaftswachstum von 0,2 Prozent. Womit wollen Sie den Bürgern als FDP in Sachen Wirtschaftswachstum wieder Hoffnung machen?
Wissing: Wir waren es doch, die in den letzten Jahren konsequent daran erinnert haben, dass wir mehr für unser Wirtschaftswachstum tun müssen. Mit dieser Feststellung stand die FDP oft allein. Andere Parteien haben sich eher gefragt, ob man überhaupt noch Wirtschaftswachstum benötigt. Plötzlich sehen alle, dass wir in einer Schwächephase sind, die reale Konsequenzen hat. Das Versprechen der Grünen, dass die Transformation ein riesiger Wachstumsmotor werden wird, hat sich nicht bewahrheitet. Es ist das Gegenteil eingetreten. Jetzt muss Wachstumspolitik wieder Vorrang haben, sonst wird auch die Transformation scheitern.
Was schlagen Sie konkret vor?
Wissing: Wir müssen effizienter werden, mehr in die Infrastruktur investieren und Leistungsanreize setzen. Außerdem müssen wir an unser Steuersystem ran.
Schmitt: Im Moment gibt es in Rheinland-Pfalz großartige Signale durch das Ansiedlungs- und Gründungsgeschehen. Das ist kein Zufall, das ist ein Ergebnis jahrelanger, guter strukturpolitischer Arbeit und Vorratsflächenentwicklung. In diesem Kontext appelliere ich auch immer wieder an die Kommunen, weitsichtig zu handeln, Gewerbeflächen bereitzustellen. Wir müssen uns als deutsche Volkswirtschaft schon die Frage stellen, was unsere Rolle sein soll. Mit der Marschroute “immer nur Rückbau, immer weniger Infrastrukturausbau, immer weniger Verkehr" werden wir die Zukunftsaufgaben nicht bewältigen.
Der Finanzminister und FDP-Bundesvorsitzende Christian Lindner ist ein Verfechter der Schuldenbremse. Gleichzeitig gibt es durch die wirtschaftliche Lage und das Karlsruher Haushaltsurteil deutlich weniger Handlungsspielräume. Muss nicht zwangsläufig die Schuldenbremse reformiert werden?
Wissing: Wir haben für dieses Jahr einen Haushalt vorgelegt, der steigende Investitionen vorsieht. Das zeigt, dass sich daraus eine Forderung nach einer Reform der Schuldenbremse nicht herleiten lässt. Die Schuldenbremse ist die Voraussetzung dafür gewesen, dass der Staat während der Corona-Pandemie so handlungsfähig war. Das Prinzip der Schuldenbremse ist weiter richtig und wichtig. Bei den konsumtiven Staatsausgaben muss etwas passieren. Sie sind zu hoch.
Zum Schluss müssen wir über die Berliner Ampel sprechen. Bekommt die Koalition noch die Kurve? Sind Neuwahlen für die FDP eine echte Exit-Option?
Wissing: Ich beschäftige mich mit der Lösung von Problemen unseres Landes und mache konstruktive Vorschläge, wie wir vorankommen. Ich kann nicht jeden Tag auf Umfragen schielen, sondern muss mir die Frage stellen, was die richtigen Entscheidungen sind, die wir zu treffen haben. Insofern beteilige ich mich nicht an solchen Gedankenspielen. Unsere Aufgabe ist es, Deutschland gut zu regieren.
Wie oft rufen Sie, Frau Schmitt, in diesen Tagen auf Volker Wissings Handy in Berlin an und mahnen an, dass sich die Berliner Ampel zusammenreißen möge?
Schmitt: Wir sind ständig in einem engen Austausch. In Rheinland-Pfalz haben wir im neunten Jahr Regierungsverantwortung. Wir zeigen, dass durch das Mitregieren der FDP vieles innovativer geworden ist und sich vieles dynamisch entwickelt hat, dass wir das Land gut durch die Krisen geführt haben.
Unglaublich teuer, aufwendig im Bau, nicht unumstritten - aber für viele Bahnlärmgeplagte am Mittelrhein die einzige Hoffnung auf nachhaltige Besserung: Eine Alternativtrasse für Güterzüge als gigantisches Tunnelprojekt wird seit Jahren herbeigesehnt.Verkehrsminister Wissing im Interview: Wollen Lösung für Mittelrheintal – und halten an Alternativtrasse fest
Es sind unsichere und herausfordernde Zeiten, die Menschen wünschen sich Orientierung und Stabilität. Warum trägt die FDP mit ihrem Agieren innerhalb der Bundesregierung zum Bild einer sich ständig streitenden Ampel bei?
Wissing: Streiten kann man nie allein. Es ist nicht so, dass man das nur einem Koalitionspartner oder einzelnen Akteuren vorwerfen kann. Ich kann nur sagen: Ich halte nichts von öffentlichen Streitigkeiten. Das Gebot der Stunde liegt in der Lösung der Probleme dieses Landes, im Finden von konstruktiven Lösungen. Es gibt genug zu tun und die Möglichkeiten sind groß.
Nehmen Sie das Deutschland-Ticket. Diese Innovation hätte die FDP nicht in jeder Koalition durchsetzen können. Die CDU lehnt das ja bis heute strikt ab und wollte als konservative Kraft an den veralteten Tarifstrukturen festhalten. Dabei ist das Deutschland-Ticket für die Menschen höchst attraktiv. Ich kann immer nur empfehlen, sich auf die Chancen der jeweiligen Regierungskonstellation zu konzentrieren. So haben wir es auch in Rheinland-Pfalz erfolgreich gemacht. Ich weiß nicht, ob sich das Land schon einmal besser entwickelt hat, als unter der derzeitigen Landesregierung.
Wie sehr ärgert Sie es dann, dass im Berliner Regierungsviertel immer wieder der Streit im Vordergrund steht?
Wissing: Ich beteilige mich nicht an den Streitigkeiten und habe immer Vorschläge gemacht, um Brücken zu bauen. Manchmal ist aber Streit nicht vermeidbar. Klar ist auch: Die Aufarbeitung der Versäumnisse der letzten 20 Jahre ist schon eine enorme Herausforderung. Die Union stellt sich hin und sagt, es ist ganz schrecklich mit der Ampel. Ein ganz großer Teil der Probleme, die wir heute haben, hat aber die CDU verursacht. Es war die Union, die nach Jahrzehnten der Verantwortung einen Scherbenhaufen hinterlassen hat. Das gilt für die Infrastruktur, die Energieversorgung und auch im Bereich der Verteidigung.
Das war kein flammender Appell für ein schwarz-gelbes Bündnis nach der nächsten Bundestagswahl …
Wissing: Ich habe kein Faible dafür, sich Koalitionen zu wünschen. Ich wünsche mir, dass wir als FDP starke Unterstützung erhalten. Und dafür kämpfe ich. Ich warne jeden davor, zu glauben, dass wenn man in anderen Konstellationen regiert, die Probleme kleiner werden. Die Probleme bleiben immer die gleichen. Entscheidend ist, dass man sie löst.
Das Interview führten Lars Hennemann, Bastian Hauck und Tim Kosmetschke.