Rheinland-Pfalz
Verfassungsschutzbericht: Innenminister warnt vor steigender Gefährdung durch Rechtsextremismus und Islamismus
Demonstrationen gegen Rechtsextremismus - Mainz
Die Ablehnung rechtsextremistischer Tendenzen hat im Winter viele Menschen auf die Straße getrieben - auch in Mainz. Laut Verfassungsschutzbericht sind Rechtsextremismus und Islamismus die größten Gefahren für die freiheitliche demokratische Grundordnung.
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75 Jahre alt ist das Grundgesetz, das unserem Land eine freiheitliche demokratische Grundordnung garantiert. Doch diese ist so gefährdet wie nie - so ordnet zumindest Innenminister Michael Ebling (SPD) den neuesten Verfassungsschutzbericht für Rheinland-Pfalz ein. Gefahren drohen insbesondere durch den Rechtsextremismus und Islamismus. Und: Auch im Land wird die AfD beobachtet.

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Der rheinland-pfälzische Verfassungsschutz sieht die freiheitliche demokratische Grundordnung mit einer Reihe von Gefahren und Attacken konfrontiert. „Der Verfassungsschutz war nie stärker gefordert als in diesen Tagen“, sagte Landesinnenminister Michael Ebling (SPD) bei der Vorstellung des Verfassungsschutzberichts 2023 in Mainz.

Ebling warnte vor einer steigenden Gefährdung durch Rechtsextremismus und Islamismus. Die Zahl der Personen, die der Verfassungsschutz beiden Szenen im Bundesland zuordnet, weise eine steigende Tendenz auf. 770 Personen (2022: 750), darunter 150 Gewaltbereite, würden dem Rechtsextremismus, 700 (2022: 660) dem Islamismus zugerechnet, wobei 240 Personen dem salafistisch-dschihadistischen Bereich zugeteilt würden, wie Elmar May, Leiter des rheinland-pfälzischen Verfassungsschutzes, erläuterte. Knapp ein Drittel der 240 Personen sei gewaltbereit.

Mit Blick auf die bevorstehende Fußball-Europameisterschaft – ohne rheinland-pfälzischen Austragungsort – sei „besondere Wachsamkeit geboten“, so Ebling. Zur Einordnung: Das Personenpotenzial bei Linksextremisten wird für 2023 mit 490 Personen (2022: 500) angegeben, darunter 120 gewaltorientierte Linksextremisten.

Innenminister trauert um getöteten Mannheimer Polizisten

Der Minister reagierte bei der Vorstellung des Berichts bestürzt auf den Tod eines Polizisten nach der Messerattacke auf dem Mannheimer Marktplatz. „Der Tod des Polizisten schockiert uns alle, er erfüllt mich mit Trauer“, sagte der SPD-Politiker. Die Tat des in Afghanistan geborenen Mannes, der 2014 nach Deutschland kam, zeige, welchen Gefahren Polizisten und Feuerwehrleute in ihrer täglichen Arbeit ausgesetzt seien. Das Innenministerium ordnete Trauerflor für die Polizei an. Der brutale Mord im Nachbarland „macht uns fassungslos“, teilte tief erschüttert auch die Landesvorsitzende der Gewerkschaft der Polizei, Stefanie Loth, mit.

Ebling erklärte weiter, dass sowohl die rechtsextremistische als auch die islamistische Szene sehr mobilisierungsfähig seien. Sie fänden immer leichter Anschluss auch in Richtung nicht-extremistischer Milieus. Das unversöhnliche Freund-Feind-Denken sowie ein äußerst gewaltbereiter Rand machten sie „sehr gefährlich“, sagte der Mainzer Minister. Als Gründe für die gestiegenen Bedrohungen nannte der Sozialdemokrat den terroristischen Überfall der islamistischen Hamas auf Israel am 7. Oktober des vergangenen Jahres sowie die Eskalation des Nahost-Konfliktes, den Überfall Russlands auf die Ukraine sowie die Corona-Pandemie.

„Zäsuren, die grundlegende und nachhaltige Folgen haben“

Der Innenminister sprach von „Zäsuren, die grundlegende und nachhaltige Folgen haben“. Extremisten versuchten, menschenverachtende Positionen in die Mitte der Gesellschaft zu tragen. Desinformation und Verschwörungserzählungen hätten genauso zugenommen wie antisemitische Vorfälle. Nach Angaben von Elmar May nahm die Zahl der antisemitischen Taten in Rheinland-Pfalz von 46 im Jahr 2022 auf 171 im Jahr 2023 zu. Die Anzahl sei wie im gesamten Bundesgebiet stark gestiegen. Nach dem 7. Oktober gab es laut May 46 Versammlungen mit pro-palästinensischem Hintergrund im Bundesland. Im Vergleich zur gesamten Republik sei das „relativ wenig“.

Michael Ebling
Michael Ebling (SPD), Innenminister von Rheinland-Pfalz, stellte am Montag in Mainz den neuen Verfassungsschutzbericht 2023 vor. Die Bedrohung der öffentlichen Ordnung in Rheinland-Pfalz durch Extremisten verschiedener Art hat nach Aussage Eblings eine "neue Qualität und eine neue Dynamik" angenommen.
Andreas Arnold/dpa

Der Minister hob den Antisemitismus, das Verächtlich-machen des demokratischen Rechtsstaates sowie die Umdeutung der Geschichte als ideologische Gemeinsamkeiten des rechtsextremistischen und islamistischen Spektrums hervor. Als Beispiele nannte er die rechtsextreme „Identitäre Bewegung Deutschland“ sowie die im Norden aktive „Revolte Rheinland“ und die Gruppierung „Muslim Aktiv“. Sie seien „jung, netzaffin, sendungsbewusst“. Für die komplexen Herausforderungen böten sie lediglich einfache Antworten. Hinter den Begriffen wie „Remigration“ und „Kalifat“ steckten keine demokratischen Konzepte, sondern „ideologisch getriebene Alltagsphantasien“, sagte Ebling.

Ebling zu Kandidaten mit Verbindungen zu „Revolte Rheinland“: „Sehe das mit Sorge“

Zur Recherche unserer Zeitung, die offengelegt hatte, wie eng die Kontakte von zwei Stadtratskandidaten in Koblenz und Trier zu radikalen Gruppen wie der „Revolte Rheinland“, sind, sagte der Innenminister: Er sehe es mit Sorge, dass sich Menschen auf Kommunalwahllisten sichtbar platzieren könnten und platzierten. Dies sei Teil einer neuen Gefahrenqualität.

Zur AfD erklärte der Chef des Innenressorts: Sie sei eine Partei, die extremistische Positionen und Strukturen in einen Teil der Bevölkerung und die Parlamente getragen habe. Ebling: „Einen gemäßigten Flügel gibt es nicht mehr.“ Die Radikalisierung der Gesamtpartei habe sich fortgesetzt. Sie vernetze sich in hohem Maße mit Akteuren der „Neuen Rechten“. Die AfD versuche immer weiter, die Grenzen des Sagbaren zu verschieben. Der rheinland-pfälzische Landesverband sei „organisatorisch uneingeschränkt in die Gesamtpartei integriert, er wirkt an der Meinungsbildung der Gesamtpartei mit, Teile der politischen Ausrichtung der Partei und dessen Mitglieder äußern sich in zurechenbarer Weise ebenfalls zum Teil extremistisch“.

Nach dem Urteil des Oberverwaltungsgerichts Münster darf der Bundesverfassungsschutz die AfD als rechtsextremen Verdachtsfall einstufen und geheimdienstlich beobachten (wir berichteten). Ebling verwies darauf, dass es mit dem Urteilsspruch einen „geklärten Rahmen“ gebe, man könne die AfD als Beobachtungsobjekt sehen. Auch der rheinland-pfälzische Verfassungsschutz habe dadurch andere Möglichkeiten, er kann etwa nachrichtendienstliche Mittel einsetzen. Auf die Frage, ob der rheinland-pfälzische AfD-Landesverband beobachtet wird, antwortete Elmar May mit einem „klaren Ja“.

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