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Malé

Paradies auf Riffkante: Korallen bilden die Basis der Malediven – und leiden unter der Erderwärmung

Von Carsten Zillmann
Coco Bodu Hithi liegt 30 Schnellbootminuten entfernt von der Hauptstadt Malé im Nord-Malé-Atoll.
Coco Bodu Hithi liegt 30 Schnellbootminuten entfernt von der Hauptstadt Malé im Nord-Malé-Atoll. Foto: Coco Collection

Nicht nur für Urauber und Taucher ein Paradies – auch für die Pflanzen und Tiere unter Wasser. Wir haben uns auf einer Reise vor allem mit ihnen befasst.

Lesezeit: 6 Minuten
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Korallen faszinieren. „Fascinare“ ist lateinisch und heißt „behexen“. Und so wenig wir mit diesem Wort anfangen können, so wenig passen Korallen in unser Konzept der Welt. Sie sind Tiere. Das weiß man aus Büchern oder der Wikipedia. Sie kleiden sich aber zum Überleben in ein Kalkskelett, das sie an einen Ort fesselt und ihnen das Antlitz surreal schöner Pflanzen verleiht. Sie sind fragil und anfällig, aber in einer Kolonie, einem Riff, mächtig genug, um Inseln entstehen zu lassen. Korallen haben ein Paradies geschaffen: die Malediven. Ein Land, das nicht in unser Konzept von Staaten passt. Inseln, Atolle, kein Festland. Lange bettelarm und seit vier Jahrzehnten Gewinner des Tourismus – auch dank der Faszination der Korallen. Sie locken Taucher und Schnorchler und leiden unter ihnen. Der Tourismus, er zehrt, reibt, und nicht selten trampelt er sogar auf der Basis, den Korallen, herum. Das Paradies ist auf (Riff-)Kante genäht. Einigen einheimischen Hoteliers ist das bewusst.

Um zu verstehen, wie Tourismus auf den Malediven angelegt ist, muss man wissen, dass nicht jeder Rucksackreisende mit einem Kanu von Insel zu Insel paddeln kann. Um zu verstehen, wie wichtig der Wirtschaftszweig ist, muss man wissen, dass in einem Staat, dessen Hoheitsgebiet zum Großteil aus Wasser besteht, Land eine unendlich kostbare Ressource ist. Nur rund 220 Insel der knapp 1200 Eilande werden von Einheimischen bewohnt („Local Islands). Auf 144 weiteren sonnen, relaxen, flittern Europäer, Amerikaner und auch immer mehr (Ost-)Asiaten. Rund ein Drittel des Bruttoinlandsprodukts besorgt der Tourismus. Auch wenn das Land mit diesem Überschuss bei den Dienstleisten seine hohe Importquote bei nahezu allen Gütern des täglichen Lebens ausgleicht, profitierten vom Gewinn lange nicht die Einheimischen. Große, internationale Hotelketten sicherten sich die Erbpacht für viele Inseln und machten die einst wunderschönen, aber kargen Inseln zu einem der Inbegriffe für Luxussehnsuchtstourismus. Ihr Interesse an nachhaltiger Entwicklung war – zugegeben genau wie das der Kunden – lange praktisch nicht vorhanden. Die Gastarbeiter aus Bangladesch, Sri Lanka und den Local Islands verziehen das murrend. Die Korallen und die Umwelt nicht.

Nachhaltiger Luxustourismus – geht das?

Malu Hilmy ist Marketingleiterin der Hotelgruppe Coco Collection. Coco ist ein maledivisches Unternehmen. Zwei Hotelinseln und eine Privatinsel gehören zum Portfolio der Gruppe. „Wir wollen auch in 50 Jahren noch hier sein“, sagt Hilmy. Sie hat sich mit zu vielen Horrorszenarien beschäftigen müssen („Wir sollten schon vor zehn Jahren untergehen“), um wirklich nervös zu werden. Coco setze seit einigen Jahren auf „nachhaltigen Luxustourismus“. Man darf dieses Konzept durchaus infrage stellen, aber dazu später mehr. Zunächst einmal die blanken Fakten: Auf Coco Bodu Hithi im Nord-Malé-Atoll (Begrüßung: „Sind Sie bereit für das Paradies?“) beschäftigt die Gruppe eine Meeresbiologin, die den Zustand des Riffs und der typischen Fauna im Blick hat. Auf der zweiten Insel in einem Nachbaratoll gibt es ein Schildkrötenrettungszentrum. Der einzige auf die sanften Meeresreptilien spezialisierte Tierarzt im gesamten Staat lebt und arbeitet dort. Seegras, bei Tauchern nicht unbedingt beliebt, darf auf Unterwasserfläche der Ressorts wachsen. Kühle Drinks schlürfen die Gäste durch Papierstrohhalme. Reicht das?

Schnorcheln an der Riffkante

Szenenwechsel. 20 Minuten fährt das traditionelle Boot zu einer kleinen Sandbank inmitten des Atolls. Die Schattierung des Meeres verrät viel über das Unterwasserleben. Aus dem tiefen Blau wird ein zärtliches Türkis, danach wieder ein Streifen Tiefblau, das zum Sand hin ausbleicht. Wer hier ins Wasser springt, taucht in die Geohistorie der Malediven ein. Das Boot ankert in vergleichsweise tiefem Wasser. Die Kette verliert sich irgendwann im Trüben. Daneben wächst aus den Tiefen des Indischen Ozeans eine Riffkante. Steinkoralle wächst an Steinkoralle. Wie ein gewaltiger Deich türmen sich die Wesen aus der Grenzwelt von Tier und Pflanze im warmen Salzwasser. Und ähnlich wie die grasbewachsen Erdhügel an der Nordsee schützen auch sie das Land vor der unendlichen Energie der Ozeane. Je weiter man entlang der Riffkante in Richtung Sandbank schnorchelt, desto besser versteht man die Rolle der Riffe. Nach einem kleinen Gipfel endet der Korallenwuchs. Dahinter: eine Senke, in der sich Sand ansammelt. Meeresbiologin Jessica, eine Britin, erklärt das Phänomen so: „Die Korallen lassen die Sedimente durch, beruhigen aber das Wasser.“ Feine Sandpartikel setzen sich ab. Weil die Strömung durch die Kalkskelette ihre Macht verliert, kann die See sie später nicht mehr mitreißen. Aus einer Untiefe wird eine Sandbank. Dort landet eine Kokosnuss. Pam! Palmen! Paradies!

Paradies auf Riffkante
Foto: Carsten Zillmann

Auf unserer Sandbank trieb im vergleichsweise windigen Oktober aber keine Palme, sondern Plastikmüll heran. Den sammelt ein Coco-Mitarbeiter per Jet Ski ein. Für den Südafrikaner Mbongeni Buthelezi wäre es der ideale Rohstoff. Buthelezi ist einer der ersten Künstler, der im Rahmen des Programms „Nurture“ auf den Malediven arbeitet. Sein Prinzip: Kunst aus Abfall. In seiner Heimat Johannesburg wurde er berühmt, indem er Plastikmüll auflas, auslas und aufklebte. Mit einer Heißluftpistole erhitzt er den vermeintlichen Unrat und erzeugt damit Farben und Formen. Der blaue Müllsack schmilzt in feinstes Babyblau, schmiegt sich als tropische Welle an einen Delfin, der sein erstes Leben als Verpackungsmaterial für Schokoriegel („Bounty“) fristete. „Es geht bei meiner Arbeit oft um Umdeutung“, sagt Buthelezi, dessen Bilder diesen Umstand auch gar nicht verheimlichen. Von Weitem wirken sie wie ein Gemälde, von Nahem finden sich die alten Werbeslogans – verzerrt, angekokelt und in neuem Kontext. So passt das englische Idiom „One man's trash is another man's treasure“ perfekt zu seiner Arbeit. Was wörtlich betrachtet nicht anderes als „Des einen Abfall ist des anderen Schatz“ bedeutet, könnte man frei mit „Des einen Freud ist des anderen Leid“ übersetzen.

Denn die Frage, ob so etwas wie „nachhaltiger Luxustourismus“ möglich ist, ist letztlich eine Frage an die Kunden. Coco Collection betreibt symbolische Umweltprojekte wie die Buthelezi-Ausstellung und verfolgt – wie eingangs beschrieben – auch praktische Ansätze. Gewisse Widersprüche lassen sich aber nicht auflösen: Die meisten Touristeninseln waren ursprünglich vor allem deshalb unbewohnt, weil ihnen eines fehlt: natürliche Süßwasserquellen. So wird jeder Tropfen, den man in der schwülen Hitze trinkt, dem Meer mit Entsalzungsanlagen abgerungen. Dazu wiederum braucht man Energie. Woher die kommt, kann man hören. Es ist ein leises monotones Surren. Obwohl sich inzwischen Solaranlagen an die Dächer einiger Villen auf Coco Bodu Hithi schmiegen, brennen Dieselgeneratoren die Watts und Volts aus fossilen Stoffen.

Paradies auf Riffkante
Foto: Carsten Zillmann

Ohne die sähe auch die Speisekarte der Gäste deutlich anders aus. Auf den Malediven wachsen vor allem Kokospalmen. Was sonst auf den Büfetts oder den Tellern der – wirklich hervorragenden – Restaurants landet, wird aus Europa, Südafrika oder Australien, manchmal Indien importiert. Die Devisen dazu bringen die Touristen. Der Dollar ist das gängige Zahlungsmittel auf den Inseln. Die sind in vielen Fällen ähnliche Umdeutungen wie die Werke des südafrikanischen Plastikvirtuosen Buthelezi. Nicht selten werden ihre Formen getrimmt, um die Nutzfläche zu erhöhen. Wasservillen ragen auf Stelzen über die Meeresoberfläche. Das lädt zum Sonnen mit perfektem Blick. Die Konsequenzen spürt man im Wasser: Die sogenannten „Reshapings“ und die Wasserbauten nehmen massiven Einfluss auf die Strömungen innerhalb der Riffe. Coco Collection verzichtet deshalb zumindest auf Veränderungen der Inselform, setzt nur auf sanfte Landgewinnung. Auf anderen Inseln ist man weniger zimperlich. Eine Mixtur aus toten Korallen, Bauschutt und Müll wird mit einer Schicht Sand zum Traumstrand umgedeutet. One man's trash is another man's paradise.

Das Hausriff auf Coco Bodu Hithi ist vergleichsweise intakt, sagt Meeresbiologin Jessica. Gutes Indiz: viele kleine Riffhaie. Sie halten die Umgebung sauber, sind eine Art Müllabfuhr. Wenn Nemo stirbt, freut sich Sharky. Selbst Meeresschildkröten schwingen sich sanft durch die Unterwasseridylle, entgleiten irgendwann mit zartem Flossenschlag, wenn Touristen zu aufdringlich werden. Auch sie deuten allerdings Plastikmüll um – zu Nahrung. Zum sicheren Tod.

Paradies auf Riffkante
Foto: Carsten Zillmann

Die größte Gefahr für die Riffe und die Malediven bleibt allerdings die Erderwärmung. Die wird selbstverständlich mit jedem Passagier, der tonnenweise Kohlenstoffdioxid verbraucht, um überhaupt anzureisen, verschlimmert. Fast tragisch: Das raffinierte Erdöl, das die Jets antreibt, ist über Jahrmillionen auch aus der Biomasse entstanden, die in Korallenriffen wächst und gedeiht. Die Riffe wiederum schützen das Land – auch vor dem ansteigenden Meeresspielgel. Was tun? „Es ist eine komplexe Frage“, sagt Malu Hilmy, und man mag es ihr kaum verdenken.

Die Situation der Hoteliers auf den Malediven ist vertrackt. Sie leben von einem Wirtschaftszweig, der seine eigene Grundlage schädigt. Doch auch im Paradies leben die Menschen nicht von Sonne und Kokosnüssen allein. Am Ende geht es um eines: Geld.

Weitere Informationen gibt es hier

Wissenswertes für Reisende: Die Malediven

Romantik und sportliche Aktivitäten: Die Malediven bieten Abwechslung.

Zielgruppe: Die Malediven sind das Traumziel vieler Honeymooner. Viele Hotelanlagen in den Atollen sind auf frisch vermählte Paare eingestellt. Die zweite Zielgruppe sind Wassersportler. Trotz aller Umweltprobleme: Es gibt kaum einen Platz auf der Welt, der Tauchern und Schnorchlern so vielfältige und interessante Korallenriffe zu bieten hat. Pluspunkt: Die meisten Ressorts verfügen über eigene Hausriffe, sodass man vom Schlafzimmer ins Riff spazieren kann.

Beste Reisezeit: Die ideale Reisezeit liegt zwischen November und April. Der März gilt als perfekter Monat für Sonnenanbeter. Ab Mitte Mai bis November bringt der Monsun Regen mit. Die Temperaturen bleiben aber angenehm. Wer surfen oder segeln möchte, wählt diese Zeit, weil in der Hochsaison wenig Wind ist.

Unsere Ausflugstipps:

  • Schnorcheltour mit einer Meeresbiologin. Wer genau wissen möchte, was sich unter ihm abspielt, bucht die Tour mit einer der Biologinnen, die auf Coco Bodu Hithi angestellt sind. Dann gibt es praktisch eine Meeresschildkrötengarantie. Je nach Saison trifft man auch Mantarochen oder die majestätischen Walhaie.
  • Ausflug auf eine der Local Islands. Die Inseln, auf denen sich Ressorts befinden, unterscheiden sich grundlegend von den Local Islands, auf denen die Einheimischen leben. Erst seit 2008 erlaubt die Regierung diesen kulturellen Austausch. Allerdings: Auf den Local Islands gelten andere Regeln. Die Malediven sind ein streng muslimisches Land. Es gilt die Scharia. Alkohol ist auf den Local Islands tabu. Frauen müssen sich verhüllen, LGBT-Paare sollten die Inseln unbedingt meiden.
  • Wellness im Coco Spa. Viele der Spa-Angestellten kommen aus (Südost-)Asien. Das macht sich bei den Massageangeboten bemerkbar. Besondere Empfehlung: die Bali-Massage, ein Mix aus einer klassischen Thai-Massage und einer Deep-Tissue-Massage, bei der vor allem die Faszien bearbeitet werden. Ideale Entspannung nach einem langen Schnorcheltag in den Riffen des Ressorts. Unser Autor ist gereist mit Etihad Airways und via Abu Dhabi nach Malé geflogen. Von dort ging es per Speedboat nach Coco Bodu Hithi im Nord-Malé-Atoll. Er hat in einer Beach Villa des Coco Bodu Hithi Ressorts übernachtet. Diese Reise wurde unterstützt von Coco Collection.
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