Damit ist klar: Ab dem 1. April wird es im Mainzer Landtag einen neuen Oppositionsführer und damit Hauptwidersacher von Ministerpräsidentin Malu Dreyer (SPD) geben. CDU-Landesvorsitzender will Christian Baldauf allerdings bleiben. Eine Parteisprecherin sagte auf Anfrage, ihr seien keine Rückzugspläne bekannt. Aus der CDU hatte es früher häufig geheißen, dass Partei- und Fraktionsvorsitz in eine Hand gehören.
Wie die CDU-Fraktion bestätigte, gab es am Mittwoch eine Sondersitzung der Fraktion, zu der nach Informationen unserer Zeitung Baldauf selbst geladen hatte. Bei dieser Zusammenkunft im Anschluss an die letzte Landtagssitzung in diesem Jahr gab der 55-Jährige seine Entscheidung bekannt. Der Pfälzer wird damit zum 1. April seinen Posten als Fraktionschef, den er seit 2018 erneut innehat, abgeben. Für die Rhein-Zeitung war Baldauf am Donnerstag nicht zu erreichen.
Sowohl die Landtagsfraktion als auch die Partei verlieren auffallend viel Personal. Die Meinungen über die Gründe für die Abgänge gehen auseinander. Was passiert da also gerade in der Fraktion und in der Partei?„Perspektivlosigkeit“ in der rheinland-pfälzischen CDU: Mitarbeiter verlassen Fraktion und Partei
In einer Pressemitteilung der Fraktion wird der 55-jährige Jurist folgendermaßen zitiert: „Es ist jetzt Zeit, den Übergang in der Landtagsfraktion einzuleiten“. Bei einer Klausurtagung am 10. sowie am 11. Januar 2023 werde die CDU die inhaltlichen und personellen Weichen für die künftige Fraktionsarbeit stellen. Aus CDU-Kreisen heißt es ebenfalls, dass bei der Fraktionsklausur Mitte Januar ein neuer Vorsitzender oder eine neue Vorsitzende der CDU-Abgeordnetengruppe im Landtag gewählt werden soll. Die Übergabe erfolgt dann Ende März.
„Im März sind seit der letzten Landtagswahl zwei Jahre vergangen. Wir sind damals mit einer neuen, teils jungen Fraktion in die Legislaturperiode gestartet“, wird der Frankenthaler in der Fraktionsmitteilung weiter zitiert. Ihm sei es wichtig gewesen, die Mannschaft zunächst als „erfahrener Oppositionsführer zu begleiten. Inzwischen sind wir als Team zusammengewachsen“, so Baldauf.
Zeitpunkt überrascht CDU-Fraktionsmitglieder
Allerdings berichten CDU-Fraktionsmitglieder, dass sie vom Zeitpunkt des Rückzugs überrascht gewesen seien. Politische Gegner spöttelten über einen „Weihnachtsputsch“. Wie es aus Fraktionskreisen heißt, habe es in den vergangenen Monaten eine Reihe von „offenen Gesprächen“ mit Baldauf gegeben – eines zuletzt am Mittwochmorgen. In den Unterhaltungen seien „Defizite noch einmal benannt worden“, am Mittwoch sei vor der Parlamentssitzung „Klartext“ gesprochen worden, berichtete ein Teilnehmer, der seinen Namen nicht in der Rhein-Zeitung lesen möchte. Daraufhin habe Baldauf kurzfristig zu einer Sondersitzung nach dem Parlament eingeladen und seine Entscheidung mitgeteilt. Ein Fraktionsmitglied schilderte, dass dies keine erfreuliche Nachricht gewesen sei, „Totengräberstimmung“ habe allerdings auch nicht geherrscht.
Die sprichwörtlichen Spatzen pfiffen es seit Wochen von den Dächern: In der Landes-CDU rumort es. Selbst loyalste Parteisoldatinnen und -soldaten machten immer öfter, wenn niemand zuhörte, aus ihren Herzen keine Mördergrube.Kommentar zu Christian Baldauf und zur CDU: Ein irgendwie passendes Ende einer Karriere
Ende November hatte unsere Zeitung darüber berichtet, dass 17 Mitarbeiter, sowohl in der Fraktion als auch in der Landesgeschäftsstelle, seit der verlorenen Landtagswahl im März 2021 der CDU den Rücken gekehrt hatten oder auf dem Sprung waren. Bei der Landtagswahl im März 2021 holten Baldauf und die CDU lediglich 27,7 Prozent der Stimmen und lagen damit deutlich hinter der SPD von Dreyer mit 35,7 Prozent. Hörte man sich innerhalb der Konservativen um, war vor ein paar Wochen immer wieder ein Begriff zu hören: Perspektivlosigkeit.
Druck in vergangenen Wochen offenbar größer
Ein Christdemokrat hatte eher nüchtern konstatiert: Wenn man die Landtagswahl verloren habe, „so lange in der Opposition ist“ – seit 31 Jahren – „gibt es ein gewisses Maß an Frustration“. Es sei „völlig klar“, dass eine Unzufriedenheit vorhanden sei. Kritik war auch immer wieder über Baldauf geäußert worden. Ein Fraktionsmitglied sagte damals allerdings noch: „Ich sehe nicht, dass jemand auf der Matte steht und die Revolution anzettelt.“ Der Druck wurde in den vergangenen Wochen offenbar nun größer.
Der in Frankenthal geborene Politiker, Jurist und zweifache Vater hatte das Amt des Fraktionsvorsitzenden 2018 von Julia Klöckner übernommen, auch von 2006 bis 2011 war er Fraktionschef. Landesvorsitzender der Union ist er indes seit 2022, auch dieses Amt hatte er von Klöckner übernommen. Seit 2006 ist Baldauf auch Mitglied des Bundesvorstandes der CDU.
Um die Frage, wer auf dem Stuhl des Oppositionsführers Platz nehmen wird, soll es dem Vernehmen nach am Mittwochabend nicht gegangen sein. Im politischen Mainz werden als mögliche Nachfolger der Bad Kreuznacher Helmut Martin (59), wirtschaftspolitischer Sprecher der Fraktion, sowie CDU-Generalsekretär Gordon Schnieder (47) gehandelt. Auch die Namen des parlamentarischen Geschäftsführers Martin Brandl (41), des stellvertretenden Fraktionsvorsitzenden Markus Klein (46) sowie von Ellen Demuth (40), ebenfalls stellvertretende Fraktionsvorsitzende, fallen immer wieder.
„Zeitpunkt ist nicht gut gewählt“: Reaktionen aus Bundestag, Landtag und Kommunen
Christian Baldaufs Rückzug hat ein politisches Beben ausgelöst, das weit über Mainz hinaus zu spüren ist – die Reaktionen auf allen politischen Ebenen fallen unterschiedlich aus. „Diese Entscheidung kommt überraschend, und der Zeitpunkt ist nicht gut gewählt“, sagt etwa der CDU-Bundestagsabgeordnete Josef Oster (Koblenz). Er betont: „In der Sache aber verdient das Vorgehen von Christian Baldauf großen Respekt. Er eröffnet damit neue Optionen für eine in Teilbereichen sicher notwendige personelle Neuaufstellung der rheinland-pfälzischen CDU.“
Das sieht Michael Korden, Fraktionsvorsitzender der CDU im Kreistag Ahrweiler, genauso: „Derzeit stellt sich die CDU auf vielen Ebenen neu auf und wird jünger und moderner – auch was die Parteiarbeit, die Gremienzusammensetzung und die Diskussionskultur angeht“, sagt Korden, der die Neuaufstellung der Landtagsfraktion als konsequent empfindet – ein „wichtiges Signal des Aufbruchs“. Der Kommunalpolitiker betont außerdem, dass die Nachfolge an der Fraktionsspitze nicht bereits als Vorentscheidung bei der Frage nach einem künftigen Spitzenkandidaten interpretiert werden dürfe.
Auch beim politischen Gegner wundert man sich derweil über den Zeitpunkt für die Entscheidung, „da die CDU bei den jüngsten Umfragen die SPD im Land überholt hat“, wie der Fraktionsvorsitzender der Freien Wähler im Landtag, Joachim Streit, feststellt. Er sagt auch: „Die CDU hat jetzt die Aufgabe, die Lücke, die ein erfahrener Landespolitiker hinterlässt, zu füllen.“
Das Bild einer CDU-Fraktion „ohne Zusammenhalt und planvolles Vorgehen“ sieht Sabine Bätzing-Lichtenthäler, Vorsitzende der SPD-Landtagsfraktion: „Dass offenbar Teile der Fraktion das Ende der Amtszeit quasi hinter dem Rücken des Fraktionschefs an die Presse durchstechen, zeigt, wie wenig geschlossen, strukturiert und respektvoll die größte Oppositionsfraktion auch intern agiert.“ Für sie besteht der Eindruck: „Wer so agiert, hat weder Kraft noch Plan, um in Rheinland-Pfalz zu regieren.“