Experten rügen gezielte Werbung des Umweltministeriums auf Facebook - Die wurde umgehend eingestellt
Steuergeld für Wahlkampf der Grünen? Experten rügen gezielte Werbung des Umweltministeriums auf Facebook
Schon wieder gibt es rechtlichen Ärger im Umweltministerium. Dabei hatte die neue Ressortchefin Anne Spiegel (Grüne) zugesagt, dort für Ordnung zu sorgen. Foto: dpa
dpa

Rheinland-Pfalz. Hat das grün geführte Mainzer Umweltministerium rechtswidrig Steuermittel genutzt, um Werbung bei seiner grünen Parteiklientel zu machen? Nach Recherchen des SWR schaltete das Ministerium über drei Jahre hinweg Werbeanzeigen bei Facebook, und das auch in den Wochen vor der Bundestagswahl. Das Pikante dabei: Die Werbung wurde per Microtargeting gezielt an Nutzer ausgespielt, die sich für die Partei der Grünen interessieren. Gleich mehrere Rechtsprofessoren werteten das gegenüber dem SWR als illegale Praxis, als eklatante Verletzung des Neutralitätsgebots in Wahlkampfzeiten und als „gezielte Wahlbeeinflussung“.

Aufgedeckt wurde die Praxis durch den Satiriker Jan Böhmermann: Der hatte in seiner ZDF-Sendung „Magazin Royal“ zwei Tage vor der Bundestagswahl die Facebook-Werbepraktiken mittels Microtargeting mehrerer Ministerien enthüllt – darunter auch im SPD-geführten Bundesarbeitsministerium sowie eben im Haus der rheinland-pfälzischen Umweltministerin Anne Spiegel (Grüne). „Staatliche Öffentlichkeitsarbeit muss parteipolitisch neutral sein – auch im Bezug auf den Adressatenkreis“, sagte nun die Düsseldorfer Expertin für Parteienrecht, Sophie Schönberger, gegenüber dem SWR, das schreibe das Demokratieprinzip im Grundgesetz vor.

Von „Verfassungsbruch“ spricht auch die Wiener Rechtsprofessorin Diana zu Hohenlohe und verweist darauf, dass gerade in Wahlkampfzeiten die Neutralitätspflicht für Behörden verstärkt gelte: „Eine Behörde, die im Wahlkampf mittels Microtargeting bestimmte Personen auf Facebook mit politischer Werbung adressiert, geriert sich als Teil des Wahlkampfteams ihrer Behördenleiterin“, kritisierte zu Hohenlohe: „Das ist verfassungsrechtlich nicht erlaubt.“

Im Mainzer Umweltministerium räumt man den Vorgang offen ein: Seit September 2018 habe man rund 10.600 Euro netto für 174 Anzeigen auf Facebook ausgegeben, gut zwei Drittel der Anzeigen seien mittels Microtargeting auch an Nutzer ausgespielt worden, „von denen Facebook annimmt, dass sie sich für Bündnis 90/Die Grünen interessieren“, teilte das Ministerium mit. Diese Kategorie sei eine von zahlreichen Merkmalen gewesen, auf die die Anzeigen ausgerichtet waren. Eine Werbung auf Facebook sei ein gängiges Instrument in der Öffentlichkeitsarbeit, heißt es im Ministerium weiter, inhaltlich habe es sich um Themen des Hauses wie Bienen, Zero Waste (null Müll) oder regionale Lebensmittel gehandelt. Man habe diese Inhalte vermehrt für Nutzer sichtbar machen wollen, die sich für solche Themen interessierten. Dass dabei auch die parteibezogene Zielgruppenauswahl erfolgt sei, sei „falsch und inakzeptabel“, betonte das Ministerium zugleich.

Die Auswahl sei aber auf Mitarbeiterebene geschehen, Ministerin Spiegel habe davon keine Kenntnis gehabt und das Verfahren nach dem Hinweis der Redaktion von Böhmermann „aus Gründen der Neutralität sofort entfernen lassen“. Seither schalte das Ministerium keine Anzeigen mehr auf Facebook, es werde sichergestellt, dass eine solche Zielgruppenauswahl künftig nicht mehr erfolge.

Die gesamte Social-Media-Strategie stehe nun auf dem Prüfstand, die Hausspitze habe dazu „umgehend ein interdisziplinäres Team“ eingerichtet, das auch einen Vorschlag erarbeiten solle, wie man künftig mit dem Thema Microtargeting umgehen wolle. Die aktuellen Vorwürfe lasse man prüfen, auch durch externe Juristen. Zudem habe das Umweltministerium in der Vorwahlzeit zur Landtagswahl 2021 seine Anzeigen ausgesetzt, „um dem Gebot der äußersten Zurückhaltung in Vorwahlzeiten zu genügen“. Zwischen dem 24. Dezember 2020 bis einschließlich dem 14. März 2021 seien deshalb keine Anzeigen geschaltet worden.

Brisant ist der Vorgang dennoch, hatten doch jüngst erst Gerichte scharf die Beförderungspraxis von Spiegels Vorgängerin Ulrike Höfken (Grüne) als jahrelang rechtswidrig gerügt. „Ausgerechnet in diesem Ministerium werden nun neuerliche Rechtsverstöße bekannt“, kritisierte CDU-Fraktionschef Christian Baldauf. „Offensichtlich hat sich hier eine Grundhaltung eingeschlichen, nach der alles erlaubt ist, was grünen Interessen dient.“

Die AfD forderte von Ministerpräsidentin Malu Dreyer, Spiegel zu entlassen. Die Freien Wähler fordern in einer Großen Anfrage Aufklärung von der Ministerin. Auch Baldauf kündigte eine parlamentarische Aufarbeitung an: „Diese fortgesetzten Rechtsverstöße in einer staatlichen Institution sind nicht akzeptabel“, betonte er. Spiegel habe als Nachfolgerin Höfkens versprochen, „für Ordnung in diesem Haus zu sorgen, mit dieser Aufgabe scheint sie überfordert zu sein“. Gisela Kirschstein

Top-News aus der Region