Berlin

Selbst Gott hat nicht die volle Punktzahl

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Was hat ein Pfarrer mit Staubsaugern, Tiefkühlpizza und Anti-Schuppen-Shampoo gemeinsam? Gut, er kann helfen, Ordnung im Leben zu schaffen, Hunger zu lindern oder Probleme wegzuwaschen. Doch das ist nicht des Rätsels Lösung. Gemeinsam ist ihnen vielmehr, dass sie sich alle auf Bewertungsportalen im Internet kritisieren lassen müssen.

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Doch während Staubsauger, Pizza und Shampoo sich längst an diese Form öffentlicher Beurteilung gewöhnt haben, sorgt die Beurteilungsseite für Pfarrer, hirtenbarometer.de, für Aufregung. Unter dem Motto „Auch Gott braucht Feedback“ ging das kommerzielle Bewertungsportal für evangelische und katholische Geistliche vor wenigen Monaten online.

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Benedikt XVI. hat 3,9 Punkte, Margot Käßmann und Joachim Meisner 3,64.

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Dahinter stecken Jungunternehmer aus Karlsruhe. Einer von ihnen ist Andreas Hahn. „Die Idee von Hirtenbarometer ist, dass auch pastorale Arbeit Qualität haben soll“, sagt er. Deshalb soll die Seite einen Dialog darüber ermöglichen, was gut läuft und was nicht.

„Eine unglaubwürdige und von sich selbst eingenommene Pastorin“, beurteilt ein Nutzer dort Margot Käßmann. 206 Menschen haben auf hirtenbarometer.de bisher über die ehemalige Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) abgestimmt. Das Ergebnis des vermeintlichen Publikumslieblings: mäßige 3,14 von maximal sechs Punkten. Oder ausgedrückt in der Comicsprache der Plattform: Käßmann, ein Schäfchen mit mittelgrauem Fell.

Kirchenstars und Dorfpfarrer

Käßmann, Kardinal Joachim Meisner (3,64) oder Papst Benedikt (3,9) – alle sind sie auf der Onlineweide vertreten. Selbst Gott hat ein Profil – doch dazu später mehr. Nicht nur Kirchenstars, auch der eigene Dorfpfarrer lässt sich auf dem Portal bewerten. In den Kategorien Gottesdienst, Glaubwürdigkeit, Am Puls der Zeit, Jugend- und Seniorenarbeit können Nutzer bis zu sechs Punkte vergeben.

Wer möchte, kann außerdem einen Kommentar hinterlassen. Richtig viele „schwarze Schafe“ gibt es bisher unter den etwa 8000 bewerteten Geistlichen kaum: Der Großteil der Herde ist hell- bis mittelgrau. „Eine Internetplattform, auf der man seine Meinung ohne Scheu äußern kann, ist wunderbar für Menschen, die sich schwer tun im persönlichen Gespräch“, meint der bayerische Landesbischof Johannes Friedrich (3,13 Punkte). Für problematisch hält er jedoch, wenn sich die Seite als Rangfolgeliste verstehen würde. Auch wenn das EKD-Ratsmitglied die Idee gut findet, nutzt er die Seite „eher selten“. „Für eine konstruktive Rückmeldung ist am besten immer noch das persönliche Gespräch, ein Brief oder eine E-Mail geeignet“, sagt Friedrich.

„Wir finden grundsätzlich Feedback gut, wenn es dem besseren Miteinander dient“, erklärt der Verband evangelischer Pfarrer in Deutschland. Jedoch müssten sich Bewerter und Bewertete dafür auf einer „glaubwürdigen Beziehungsebene“ treffen. Bei anonymen Plattformen im Internet sei das meist nicht der Fall. Auch Diakon und Liedermacher Andi Weiß bemängelt die Anonymität. Zu leicht könnten so Missverständnisse entstehen. Obwohl er mit 5,8 Punkten zu den Höchstbewerteten gehört, würde er sich lieber löschen. „Leider kann man das nicht“, bedauert er. „Sonst hätte ich das schon lange gemacht.“

Interesse an Rückmeldung wächst

Sei es im Hirtenbarometer, in der Kolumne „Mein Kirchgang“ der Zeitschrift „Chrismon Plus“ oder in der Rubrik „Sonntags um Zehn“ im Berliner „Tagesspiegel“ – es gibt ein vermehrtes Interesse an offener Rückmeldekultur. Zwar werden Pfarrer schon immer bewertet, sei es an der Wursttheke oder im Wirtshaus, weiß der Göttinger Theologie-Professor Jan Hermelink. „Aber diejenigen, die den Gottesdienst gestaltet haben, erfahren darüber meist am wenigsten“, sagt Folkert Fendler, Leiter des EKD-Zentrums für Qualitätsentwicklung im Gottesdienst.

Seit zwei Jahren arbeitet das Hildesheimer Zentrum an der Frage, wie Gottesdienste verbessert und angemessen beurteilt werden können. Neben dem „Schäfchenfärben“ gibt es laut Fendler ergiebigere Methoden für konstruktives Feedback: von Fragebögen über Gottesdienst-Nachgespräche und „geheimen Gottesdiensttestern“ bis zu gegenseitiger Kollegenkritik.

Doch zurück zum Barometer-Profil von „Oberhirte“ Gott. Zehn „Schäfchen“ haben ihn bisher bewertet. Gute Noten gab es für seine Gottesdienste und Seniorenarbeit. Auch arbeitet er anständig am Puls der Zeit. Mängel bei Glaubwürdigkeit und Jugendarbeit ziehen seine Fellfarbe jedoch etwas nach unten: Gott höchstpersönlich bekommt beim Hirtenbarometer gerade mal 5,18 Punkte.

Von Brigitte Vordermayer