RZ-KOMMENTAR: Keinen guten Dienst erwiesen

Auch wenn das politische Berlin es zunehmend anders sah: Bundespräsident Horst Köhler hat der Bundesrepublik Deutschland sechs Jahre lang hervorragend gedient – mit Klugheit und Fleiß, mit Menschlichkeit und Wärme, mit Unabhängigkeit und Mut. Im krassen Gegensatz dazu aber steht Köhlers jäher Abgang

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Auch wenn das politische Berlin es zunehmend anders sah: Bundespräsident Horst Köhler hat der Bundesrepublik Deutschland sechs Jahre lang hervorragend gedient – mit Klugheit und Fleiß, mit Menschlichkeit und Wärme, mit Unabhängigkeit und Mut.

Im krassen Gegensatz dazu aber steht Köhlers jäher Abgang: Sich selbst hat Köhler mit seinem wehleidig anmutenden Rücktritt keinen guten Dienst erwiesen, ebenso wenig seinen großen Anliegen und seinem großen Amt, das er vor erst einem Jahr wieder angestrebt hatte. Mehr noch: Der erste Mann der Republik macht Deutschland ausgerechnet in schwerer Zeit ohne Not weitere Probleme.

Dabei hatte alles so gut angefangen – und, aus Sicht der Mehrheit der Bürger, auch angedauert: Horst Köhler, der erste nicht aus dem Milieu der Berufspolitiker stammende Bundespräsident, hatte sich in der Bevölkerung rasch enormen Respekt erworben.

Das lag auch an seiner Art – aussagekräftig ablesbar an seiner ersten Begegnung mit Bürgern nach seiner Wahl: Köhler isst mit Hunderten von Landsleuten aus allen Winkeln der Republik unter freiem Himmel vor dem Brandenburger Tor Eintopf, lässt sich dabei heiter mit jedem Inte〜ressenten fotografieren. Und alle merken ab diesem Abend immer wieder: Dieser Präsident ist wirklich interessiert an seinen Mitbürgern, Distanz kennt und akzeptiert er nicht, er ist fröhlich, neugierig und optimistisch. Jeder, der ihn einmal erlebt hat, wird bestätigen: Köhler ist ein ausgesprochen sympathischer und gewinnender Mensch.

Köhlers Beliebtheit lag aber auch an seiner klaren Sprache, die sich meist wohltuend vom Geschwurbel oder Gestanze vieler Polit-Profis unterschied. Er erhob sich mit seinen Reden nicht über uns, er sprach im doppelten Sinn für den „kleinen Mann“: Jeder konnte Köhler verstehen – und viele konnten sich in seinen Sätzen wiederfinden. Der neunte Bundespräsident bot aber auch regelmäßig Klartext: „Jetzt muss jedem verantwortlich Denkenden in der Branche selbst klar geworden sein, dass sich die internationalen Finanzmärkte zu einem Monster entwickelt haben, das in die Schranken gewiesen werden muss“ – das sagte der frühere Mann der Finanzwirtschaft schon im Mai 2008, als die große Herde der Politik der Krise noch sprachlos zusah.

Das eigentliche Fundament seiner großen Reputation im Volk aber war Köhlers unabhängiges Verhältnis zum klassischen Politikbetrieb und seinen Mechanismen. Als Seiteneinsteiger und Bundespräsident war er deutlich freier als die meisten Parteisoldaten – und das nutzte er auch: Der einstige Bub aus den Flüchtlingslagern machte sich immer wieder zum obersten Lobbyisten von Bevölkerungsgruppen oder Themen, die er in Berlin unterrepräsentiert sah. Glaubhaft, eindringlich und vernehmlich sorgte er sich etwa um die Interessen der schweigenden und faktisch oft vernachlässigten Mehrheit Mittelschicht, nachdrücklich forderte er mehr Engagement etwa für Bildung, Wissenschaft und Integration ein. Auffallend oft verband Köhler das mit Kritik an „der Politik“ – und tat dabei so, als sei er gar kein Teil davon. „Die Politik“ nervte das zusehends, was Köhler dem Volk noch sympathischer machte – zumal der Bürgerpräsident unser Land draußen in der Welt respektabel vertrat.

Umso mehr muss Köhlers patziger Rücktritt enttäuschen. Ausgerechnet dieser Bundespräsident schmeißt sein Amt einfach hin – aus einem Anlass, der sicher einer Präzisierung oder Entschuldigung bedurfte, nie und nimmer aber ein Aufgeben unter Tränen rechtfertigte. Schlimmer noch: Köhler wirkt bei seinem kümmerlichen Abgang wie jemand, der gern hart kritisiert, bei Kritik am eigenen Stil aber unsouverän dünnhäutig reagiert. Köhler selbst wird damit die Politikverdrossenheit fördern, die ihn immer so bekümmert hat: Unfreiwillig nährt er beim Nichtwählervolk den Verdacht, dass „die Politik“ jemanden scheitern ließ, der ihr unbequem war. Hinzu kommt der fatale Zeitpunkt des Köhler-Kladderadatsches. Euro-Krise, Vertrauensschwund und Sparzwänge: Kanzlerin und Koalition haben derzeit schlicht Wichtigeres zu tun, als unter Zeitdruck einen neuen Bundespräsidenten zu suchen.

Mit Verlaub, Herr Präsident: Mit mehr Pflichtbewusstsein und Standfestigkeit hätten Sie sich mehr gedient. Und ihrem geliebten Vaterland auch. Etwas mehr Preuße und etwas weniger Köhler, das wäre es gewesen.

E-Mail an den Autor: Christian.Lindner@Rhein-Zeitung.net