Frankfurt

RZ-INTERVIEW: Ilkay Gündogan – Lehrling mit meisterlichen Anlagen

Ein, zwei Jahre ist es her, da trug er die Hoffnungen seiner Trainer, mal ein ganz Großer zu werden. Mittlerweile ist er auf dem besten Weg dorthin. Längst trägt Gündogan auf dem Rasen Verantwortung, ist Gestalter und Stratege. Ob bei Borussia Dortmund oder, wie zuletzt im Länderspiel gegen Frankreich, in der DFB-Auswahl. Wir sprachen mit dem Mittelfeldspieler über schwere und glorreiche Zeiten.

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Glückwunsch, Herr Gündogan, ein Boulevardblatt hat Sie diese Woche zum Aufsteiger der Saison erkoren, demnach haben Sie Ihren Marktwert von 14 auf 20 Millionen Euro steigern können. Sagt Ihnen diese Zahl eigentlich irgendetwas?

Nicht wirklich, ehrlich gesagt. Natürlich habe ich als kleiner Junge davon geträumt, irgendwann einmal Fußball-Profi zu werden. Aber wenn es dann so weit ist, nimmt man es nicht mehr so wahr. Es ist schwer zu sagen, ob einem diese Summe gerecht wird. Ich beschäftige mich auch nicht großartig mit dieser Frage. Auf der anderen Seite ist damit schon eine gewisse Anerkennung meiner Leistung und meiner Entwicklung in jüngster Vergangenheit verbunden. Aber unterm Strich ist und bleibt es für mich eine Zahlenspielerei.

Anfänglich lief es nach Ihrem Wechsel von Nürnberg nach Dortmund alles andere als rund. Sie hatten schwer zu kämpfen. Jetzt sind sie beim BVB Stammspieler, haben im Februar in Frankreich ein großartiges Länderspiel abgeliefert. Sind Sie ein beharrlicher Typ, der mit seinen Aufgaben wächst?

Ja. Je größer eine Aufgabe ist, desto reizvoller ist es für mich, diese Aufgabe auch zu meistern. Es war schon immer so, dass ich mit Rückschlägen zu kämpfen hatte. Aber wichtig ist, aus seinen Fehlern zu lernen und ein Empfinden dafür zu bekommen, dass man auch gestärkt aus solchen Situationen herauskommen kann. Ich hatte in der Tat anfangs Probleme, mich beim BVB zurechtzufinden.

Was lief verkehrt?

Mir war nicht bewusst, dass ich nicht das gespielt habe, was ich kann oder was von mir erwartet wurde. Aus heutiger Sicht muss ich sagen: Es war einfach nicht gut genug! Als ich mich dann sogar auf der Tribüne wiedergefunden hatte, war das Gefühl da: Irgendetwas läuft hier nicht richtig. Mir wurde klar: Ich musste noch mehr investieren, noch mehr an mir arbeiten. Ich wollte mein Umfeld in Dortmund davon überzeugen, dass ich dieser Aufgabe gewachsen bin.

Selbstkritik ist die eine, Selbstvertrauen die andere Sache …

Mein Selbstvertrauen hatte seinerzeit sicher nicht seinen Höchststand. Doch über kleine Erfolgserlebnisse habe ich mich zurückgekämpft. Als Sven Bender verletzt ausfiel, habe ich meine zweite Chance genutzt. Von da an habe ich eigentlich immer gespielt, bis auf das Pokalhalbfinale in Fürth (Gündogan wurde in der 82. Minute eingewechselt, Anm. d. Red.). Nach meinem Siegtor in der 120. Minute war es nicht mehr schwer, die Euphorie in die nächsten Partien mitzunehmen. Dieses Tor war vielleicht das größte Erfolgserlebnis in meiner bisherigen Karriere.

In dieser Szene beim Länderspiel in Paris vor dem 1:0 durch Thomas Müller haben Sie wohl all das gezeigt, was die Trainer von Ihnen sehen wollen. Aggressives Anlaufen, Ballklau, sofortiges Umschalten, der Pass in die Tiefe auf Müller, Tor! Besser geht’s kaum …

Mag sein. Viel wichtiger aber ist: Vor einem Jahr wäre ich noch gar nicht in der Lage gewesen, diese Situation so zu lösen. Das hätte ich mir überhaupt nicht zugetraut, den Gegner so anzugreifen. Klopp wie Löw haben mir das Gefühl dafür vermittelt. Diese Situation zeigt, was ich im Laufe des vergangenen Jahres alles dazugelernt habe.

Jetzt stehen in der heißen Phase der Saison mit Viertelfinalspielen in der Champions League zwei Länderspiele gegen Kasachstan an. Wie schwer fällt es, den Schalter umzulegen, um auch gegen einen allenfalls drittklassigen Gegner Höchstleistung abzurufen?

Mir fällt das gar nicht schwer. Für mich sind diese Spiele sogar wichtiger als die Partie gegen Frankreich, auch wenn auf dem Papier „nur“ Kasachstan steht. Aber es sind WM-Qualifikationsspiele, es geht um Punkte. Mit sechs Zählern aus diesen Begegnungen machen wir einen großen Schritt. Von daher ist es die Pflicht eines Profis, sich auf solche Spiele top vorzubereiten. Es gilt auch in solchen Spielen, die bestmögliche Leistung abzurufen und erfolgreich zu sein.

Sie sind klug genug, sich nicht auf einen Vergleich mit Bastian Schweinsteiger einzulassen. Doch sicher spüren Sie ganz genau, dass Sie auf einmal auch wichtiger Bestandteil der DFB-Auswahl sind. Setzen Sie sich jetzt neue Ziele?

Ich habe nicht das Gefühl, in der Nationalmannschaft schon jetzt eine tragende Rolle zu spielen.

Sie fühlen sich noch als Lehrling?

Irgendwie schon. Da sind so große Namen unter meinen Mitspielern. Klar, ich habe gezeigt, dass ich ordentliche Spiele abliefern kann. Aber ich bin noch in der Lernphase und sehe meine Aufgabe darin, mich stetig weiterzuentwickeln. Natürlich bin ich froh, wenn es Spiele gibt wie gegen die Niederlande oder gegen Frankreich, in denen ich die Möglichkeit bekomme zu zeigen, was ich draufhabe.

Lautet das Zauberwort Konstanz?

Ja, das kann man sicher so sagen. Unter dem Aspekt sehe ich auch den Vergleich mit Bastian Schweinsteiger ganz realistisch. Er ist der Spieler, der diese Konstanz über Jahre hinweg an den Tag gelegt hat – auf allerhöchstem Niveau. Er ist immer noch ein Spieler, von dem ich mir einiges abschauen kann. Auch wenn wir mittlerweile in Konkurrenz zueinander stehen. Hinzu kommt, dass Bastian Schweinsteiger ein Vorbild für mich war. Von daher macht es mich stolz, mit so einem Profi in einer Mannschaft spielen zu dürfen.

Joachim Löw sieht den nationalen Zweikampf zwischen den Bayern und dem BVB als sehr fruchtbar für die Entwicklung des deutschen Fußballs. Wie leistungsfördernd kann eine solche Konkurrenzsituation tatsächlich sein?

Durch diese Rivalität ist man ja fast dazu gezwungen, in jedem Spiel sein Bestes zu geben – nicht nur in den direkten Duellen. Das stachelt an und fördert jeden Einzelnen in seiner Entwicklung. Wenn wir allerdings bei der Nationalmannschaft zusammenkommen, ist es wichtig, uns bewusst zu machen, dass wir gemeinsam für Deutschland spielen. Gemeinsam leisten wir unseren Beitrag, das Land möglichst erfolgreich zu vertreten.

Auch wenn es Rückschläge gab, so ist es bei Ihnen im Grunde genommen bislang immer nur bergauf gegangen. Haben Sie nicht manchmal das Gefühl tiefer Dankbarkeit? Das Gefühl, etwas zurückgeben zu müssen?

Eine schwierige Frage. Für mich ist es immer wichtig gewesen, auf dem Boden zu bleiben. Das schaffe ich am besten, indem ich nah bei meiner Familie, nah bei meinen Freunden bin. Das sind die Menschen, die viel dazu beigetragen haben, dass ich es so weit geschafft habe. Ich spüre immer wieder, dass alle sehr stolz und sehr glücklich sind, mich immer noch so nah bei sich zu haben. Ich hatte zudem stets Glück mit all den Trainern in meiner Karriere, sei es in der D-Jugend oder eben jetzt im Verein und in der deutschen Nationalmannschaft. Sie haben mir immer das Vertrauen geschenkt. Das alles sind Menschen, denen ich definitiv dankbar bin.

Das Gespräch führte unser Redakteur Klaus Reimann