Paare kratzen sich für die Wissenschaft

Nicht zum Spaß: Paare kratzen sich gegenseitig.
Nicht zum Spaß: Paare kratzen sich gegenseitig. Foto: Fotolia

Um einen Todesfall aufzuklären, müssen sich im Saarland 40 Paare unter Aufsicht kratzen. Die Forscher wollen klären, wie viel Erbgut des Partners unter dem eigenen Fingernagel normal ist.

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Saarbrücken/Homburg – Sie sind ein Paar, sie lieben sich, doch die Frau soll ihren Mann kratzen – um einen Todesfall im Saarland aufzuklären. Zuerst mit einem trockenen Finger, später mit einem feuchten.

In beiden Fällen bleiben Hautschuppen des Mannes unter den weiblichen Fingernägeln hängen. Die Schuppen sind der Grund, warum gerade für Zärtlichkeiten keine Zeit ist.

Bei der Toten handelt es sich um die Ehefrau des Mandanten von Frank Schubert. Anwalt Schubert ist es auch, der von den kratzenden Männern und Frauen berichtet. Nach seinen Angaben nehmen 40 Paare an einer Studie des Instituts für Rechtsmedizin in Homburg teil. „Die Paare müssen zusammenleben und keine Kinder im Windelalter haben“, sagt Schubert.

Das Ziel: herausfinden, wie viel männliches Erbgut normalerweise unter den Fingernägeln einer Frau schlummert. Um den vorliegenden Fall möglichst genau nachzustellen, leben alle Paare mit zwei Jungen zusammen, die keine Säuglinge sind. Wären es Kleinkinder, wären die Paare ungeeignet: zu viel Hygiene, zu saubere Fingernägel.

Die Ergebnisse des Kratzens unter Kontrolle könnten für Schuberts Mandanten über Freispruch oder Haft entscheiden. Ihm wird Totschlag vorgeworfen. Der Mann soll seine Frau im November 2011 mit einem Duschkopf geschlagen und zu Tode gewürgt haben. Später wurde seine DNA unter den Fingernägeln der Frau gefunden. Die Anklage geht daher davon aus, dass es einen Kampf zwischen den Eheleuten gab. Der Angeklagte schwieg bisher zu den Vorwürfen.

Doch reicht die gefundene Menge, um zu sagen, dass es einen Kampf gegeben hat? Die Verantwortlichen am Institut für Rechtsmedizin in Homburg wollen sich zu ihrer Forschung nicht äußern. Sie befürchten, dass ihre Methoden infrage gestellt werden, bevor das endgültige Gutachten vorliegt. Das Landgericht Saarbrücken hat das Gutachten nach eigenen Angaben in Auftrag gegeben.

Laut Anwalt Schubert teilen sich die 40 Paare in zwei Gruppen auf. Zu Beginn wurden ihnen die Fingernägel geschnitten, um einen Ausgangspunkt festzulegen und gleiche Bedingungen zu schaffen. Nach rund zwei Wochen kam für 20 Paare die Aufforderung zum Kratzen.

Die 20 anderen Paare konnten friedlich weiterleben. Die Forscher interessierten sich nun für den Unterschied zwischen beiden Gruppen: Wie viele Hautschuppen blieben bei den kratzenden Paaren hängen? Und wie viele konnten gefunden werden, wenn es keine „Attacke“ gab?

„Wir arbeiten in der Forschung praxisbezogen und beantworten die Fragen, die uns die Juristen stellen“, sagt Thomas Riepert. Er ist Rechtsmediziner an der Universität Mainz. Viel häufiger als in Fernsehkrimis dargestellt, haben er und seine Kollegen es mit lebenden Mitmenschen zu tun.

Zum Beispiel um zu klären, wie stark Haschisch durch Passivrauchen in Blut und Urin gelangen kann. Menschen, die am Steuer positiv auf Drogen getestet werden, berufen sich häufig auf ihre kiffenden Freunde.

Ob sie recht haben könnten, klärten die Mainzer Rechtsmediziner nach Rieperts Angaben pragmatisch: Sie fuhren mit zehn Testpersonen nach Holland und setzten sich in einen Coffee-Shop.

„In der Wissenschaft werden viele Erkenntnisse von Lehrbuch zu Lehrbuch tradiert“, sagt Riepert. „Wenn man aber nach den konkreten Belegen fragt, findet sich häufig nichts“, erklärt er. Daher hätten die Kollegen im Saarland wohl nun auch eine Art Grundlagenforschung vor der Brust.

Zur Rechtsmedizin gehöre auch detektivischer Spürsinn. Denn: „Nichts ist im Rechtsstaat schlimmer, als ein Mensch, der zu Unrecht im Gefängnis sitzt“, sagt Riepert.

Von Jonas-Erik Schmidt