Mademoiselle Chambon

Jean (Vincent Lindon) verliebt sich in Mademoiselle Chambon (Sandrine Kiberlain), die Lehrerin seines Sohnes.
Jean (Vincent Lindon) verliebt sich in Mademoiselle Chambon (Sandrine Kiberlain), die Lehrerin seines Sohnes. Foto: Verleih

Der französische Filmemacher Stéphane Brizé hat mit „Man muss mich nicht lieben“ gezeigt, dass er sein Handwerk beherrscht. In „Mademoiselle Chambon“ setzt er erneut auf eine Beziehungsgeschichte mit hervorragender Besetzung.

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Es gibt Filme, die überzeugen durch ihre Komplexität, andere durch ihre Schlichtheit. Zur letzteren Kategorie gehört der neue Film von Stéphane Brizé „Mademoiselle Chambon“, dessen Inhalt nicht einfacher und alltäglicher hätte sein können: Ein verheirateter Familienvater verliebt sich in eine junge Frau. Doch dem Regisseur gelingt ein kleines Kinowunder: Mit dem Reiz des Schweigens, der Bedeutung der Gesten und der Blicke schafft er einen tiefgründigen, authentischen Film und ein Gegenstück zu den überspielten Hollywood-Liebesdramen. Mit der Verfilmung des gleichnamigen Romans von Éric Holder ist Brizé nach „Man muss mich nicht lieben“ ein weiteres Meisterwerk gelungen.

Einen Coup-de-foudre, einen Blitzschlag, nennen Franzosen die Liebe auf den ersten Blick. Doch mit dem Bild von Spannung, Gewalt und Zerstörung, das der Begriff auslöst, hat die Liebe zwischen Véronique Chambon und Jean nicht viel gemein. Im Gegenteil: langes Zögern, verlegene Annäherungen, Angst vor den eigenen Gefühlen und tiefe Sehnsucht verbindet die beiden und lässt sie fast schon qualvoll umeinander werben. Brizé schafft dadurch eine ganz eigene Anziehungskraft, die den Zuschauer in Bann zieht.

Jean (Vincent Lindon) ist Maurermeister und mit seinem Leben rundum zufrieden. Er hat einen soliden Job, den er liebt, einen Sohn, den er vergöttert und eine sympathische Frau, die er liebt. Eine Idylle, die bedroht wird, als er eines Tages Véronique Chambon, die Klassenlehrerin (Sandrine Kiberlain) seines Sohnes kennenlernt. Brizé lässt die beiden Protagonisten langsam zusammenkommen, in kleinen Etappen und Schritten. Zunächst stellt Jean in der Schulklasse von Véronique seinen Beruf als Maurer vor. Dann repariert er bei der jungen Frau zu Hause ein morsches Fenster und entdeckt dabei ihr Geigenspiel. Die Musik berührt ihn und er lernt eine ihm fremde Welt kennen.

In dem Film gibt es keine heftigen Streitereien, keine Ehe-Tragödie oder temperamentvolle Gefühlsausbrüche. Dafür gibt es Dialoge, Blicke und Gesten, die sparsam eingesetzt werden, und dennoch mehr aussagen als so manches große und wortgewaltige Beziehungsdrama. Es gibt weder Böse noch Gut, weder den üblen Ehebrecher noch ein Opfer, sondern zwei Menschen, die ihre Gefühle füreinander entdecken und doch wissen, dass diese Liebe zum falschen Zeitpunkt kommt.

Die Geschichte spielt in der französischen Provinz, ein Detail, das wichtig ist. Brizé verzichtet auf alles, was groß, spektakulär und laut ist. Er inszeniert eine Leidenschaft ohne Pathos, eine leise und intensive Geschichte voller Zurückhaltung, die diesem Film eine ganz eigene tiefe Emotionalität verleiht. Der schauspielerischen Leistung von Vincent Lindon und Sandrine Kiberlain kommt eine wichtige Rolle zu. Vielleicht spielen die beiden in dem Film auch deshalb so überzeugend, weil sie im wirklichen Leben lange ein Paar waren. Brizé hat mit seinem subtilen Kino der Sparsamkeit aus einem unspektakulären Thema eine tiefgründige und sehenswerte Romanze gemacht, für die er im Februar 2010 mit dem „César“ für das beste adaptierte Drehbuch ausgezeichnet wurde.