Danzig

Löws Reservisten sind nur bedingt EM-tauglich

Missglückte Werbung in eigener Sache: Der Leverkusener Simon Rolfes (schwarzes Trikot, im Duell mit Arkadius Glowacki) konnte sich beim 2:2 der DFB-Elf in Polen nur bedingt für weitere Aufgaben empfehlen. Gleiches galt für den Wolfsburger Christian Träsch.
Missglückte Werbung in eigener Sache: Der Leverkusener Simon Rolfes (schwarzes Trikot, im Duell mit Arkadius Glowacki) konnte sich beim 2:2 der DFB-Elf in Polen nur bedingt für weitere Aufgaben empfehlen. Gleiches galt für den Wolfsburger Christian Träsch. Foto: dpa

Vorn gab es Chancen zuhauf, die meist ebenso häufig leichtfertig verdaddelt wurden. Im Mittelfeld fehlte es an der Passgenauigkeit, in der Abwehr nicht selten an der Abstimmung. Kurzum: Das 2:2 der zugegebenermaßen personell allenfalls als 1B-Team einzustufenden deutschen Mannschaft gegen Polen war „ein Spiel, für das ich absolut dankbar bin“, wie Joachim Löw nach der unterhaltsamen Partie bestens gelaunt zu Protokoll gab.

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Danzig. Vorn gab es Chancen zuhauf, die meist ebenso häufig leichtfertig verdaddelt wurden. Im Mittelfeld fehlte es an der Passgenauigkeit, in der Abwehr nicht selten an der Abstimmung. Kurzum: Das 2:2 der zugegebenermaßen personell allenfalls als 1B-Team einzustufenden deutschen Mannschaft gegen Polen war „ein Spiel, für das ich absolut dankbar bin“, wie Joachim Löw nach der unterhaltsamen Partie bestens gelaunt zu Protokoll gab.

Wohl dem Bundestrainer, der es sich erlauben kann, so locker und von keinem Medium gestraft den Erkenntnisgewinn über den Spielgewinn zu stellen. Es ist zweifellos Indikator für ein rasantes Fortkommen der DFB-Auswahl, wenn ihr auch solche Begegnungen ohne Murren zugestanden werden. Nicht viel hatte allerdings gefehlt, und das DFB-Team hätte im Land des EM-Cogastgebers die Idealbesetzung als Euphoriebeschleuniger abgegeben. Zumindest bekam der deutsche Tross eine Ahnung davon, welche Emotionen bei der EM im kommenden Jahr freigesetzt werden könnten, wenn die polnische Mannschaft auf Erfolgskurs liegt. Die 40 000 Zuschauer in der neuen, schmucken Danziger Arena feierten ihre Lieblinge schon wie Helden, als Jakub Blaszczikowsky in Minute 90 das 2:1 für die Platzherren gelang. Tosender Jubel – der jäh verebbte, als Cacau den Ball quasi mit dem Schlusspfiff über die Linie drückte. 2:2 – und gespenstische Stille allenthalben.

Doch wer weiß, wofür er gut war, dieser späte Ausgleichstreffer. Nach Löws Meinung „gut für beide Seiten“. Zumindest schärfte das Remis sowohl bei Polen als auch bei der DFB-Auswahl den Blick für die Realitäten. Denn bei nur annähernd so guter Chancenauswertung wie in den Spielen zuvor gegen Brasilien oder Österreich hätte die deutsche Mannschaft den polnischen Fans die EM-Vorfreude recht schnell verderben können. Die Platzherren wiederum durften an einer Überraschung werkeln, nicht zuletzt, weil das in der Startelf auf sechs Positionen veränderte deutsche Team mitunter auch kräftig zum Mitspielen einlud.

Löw registrierte das sehr wohl – und war gar nicht einmal böse drum. „Wir müssen auch mal auf Schwierigkeiten stoßen. Und wir müssen uns daran gewöhnen, dass deutsche Gegner künftig stets ganz besonders motiviert sein werden“, hielt der DFB-Coach fest. Und Schwierigkeiten gab es eine Menge für die umgekrempelte deutsche Elf. Die Abwehr sah oft schlecht aus, weil Abspielfehler im Mittelfeld die tief stehenden Polen zu überfallartigen Kontern einluden. Die neu formierte Viererkette offenbarte zudem reichlich Mut zur Lücke. „Wir waren nicht so ballsicher wie gewohnt. Und vorn haben wir unsere Angriffe nicht konsequent genug zu Ende gespielt. Aber es war gut zu sehen, wie es laufen kann, wenn du einmal nicht schnell ein, zwei Tore vorlegst“, analysierte Löw.

Dankbar wird der Bundestrainer aber nicht zuletzt auch deshalb über solche Spiele sein, weil sie ihm deutlich vor Augen führen, wer seiner Spieler aus der zweiten Reihe denn nun EM-Ansprüchen genügt – und wer nicht. Die Verlierer dieser Begegnung sind schnell ausgemacht: Christian Träsch war eindeutig eine Fehlbesetzung auf der rechten Seite. Der Wolfsburger wirkte hektisch in seinen Aktionen und fußballerisch doch arg limitiert. Auch Simon Rolfes fiel im defensiven Mittelfeld deutlich ab. Zu unbeweglich, zu fahrig und wenig ballsicher – der Leverkusener wird es eingedenk der übermächtigen Konkurrenz im Mittelfeld allenfalls als Lückenbüßer zur EM schaffen.

In der Abwehr zeigte Jerome Boateng zum wiederholten Male, dass er Probleme hat, sich über 90 Minuten auf seine Aufgabe zu konzentrieren. Per Mertesacker merkte man die lange Wettkampfpause an. Viele Aktionen des künftigen Arsenal-Profis wirkten behäbig und unkontrolliert. Zudem verlor der baumlange Verteidiger erstaunlich viele Kofballduelle.

Auf all diese Einzelkritiken freilich mochte sich Löw nicht einlassen. Auf konkrete Problemfelder angesprochen, wird der Bundestrainer gern unkonkret, da verliert er sich mit Vorliebe im Allgemeinen. Eine Baustelle auf der hinteren rechten Seite will Löw nicht erkannt haben. Gleichwohl fehlt nach etlichen Experimenten genau dort nach wie vor ein Spieler von Format.

Und Fehler in der Innenverteidigung schiebt der DFB-Chefcoach schon fast gebetsmühlenartig auf das schlechte Defensivverhalten aller Akteure auf dem Rasen. „Das ist ja gerade das Kunststück, offensiv schnell zu spielen und defensiv gut zu verheben“, sagte Löw und brachte mit „verheben“ ganz nebenbei mal wieder eine neue Taktikvokabel ins Spiel. Für Erkenntnisgewinn war also auf allen Seiten gesorgt.

Aus Danzig berichtet unser Redakteur Klaus Reimann