Kritik Ajami

„Ajami“, bei der diesjährigen Oscarverleihung als bester fremdsprachiger Film nominiert, ist ganz anders als andere israelische Filme. Schonungslos zeigt der Gemeinschaftsfilm eines jüdischen und eines arabischen Israelis – Jaron Shani und Scandar Copti – die harte Realität in einem Problemviertel in Jaffa bei Tel Aviv.

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Die brutale Welt in dem Slum im Schatten der glitzernden Hochhäuser der modernen Küstenmetropole ist etwas, vor dem die meisten Israelis lieber die Augen verschließen.

Fast alle Dialoge in der ZDF/ARTE-Koproduktion werden in einem arabischen Lokaldialekt geführt – der allerdings mit hebräischen Wörtern gespickt ist. Ungewöhnlich ist auch, dass alle Rollen mit Laiendarstellern besetzt sind, die in einem langwierigen Auswahlverfahren gefunden wurden.

Der jüdische Regisseur Jaron Shani erzählt in seinem Tel Aviver Büro, wie sein erster Spielfilm entstand, der am 11. März bundesweit in die Kinos kommt. „Schon 1998 hatte ich als Filmstudent an der Tel Aviver Uni die Idee, einen Film über Straßengangs zu machen“, sagt 37-Jährige, er ist kahlrasiert und trägt Ohrringe. Erst nach seinem ersten Treffen mit Scandar Copti vor acht Jahren sei er darauf gekommen, die Handlung in ein arabisch-jüdisches Milieu zu verlegen – in Ajami, einem Stadtteil Jaffas bei Tel Aviv. Copti, der gegenwärtig an einem Filmprojekt in Katar arbeitet, ist selbst in Ajami aufgewachsen. „Wir sind zwei Regisseure mit einer völlig unterschiedlichen Herkunft“, sagt Shani.

Und das Ergebnis ihrer Zusammenarbeit ist wahrhaftig keine leicht verdauliche Kost. Schon in den ersten Minuten des Films im Stil eines Dokumentar-Dramas passiert ein schockierender Mord: Ein unbeteiligter Jugendlicher wird beim Reifenwechseln von Mafia-Killern auf einem Motorrad erschossen, die ihn für einen Anderen halten. In dem ärmlichen Viertel leben muslimische und christliche Araber und Juden – Kriminelle, Drogenhändler und normale Bürger – in einer brüchigen Koexistenz nebeneinander.

Fünf Geschichten von Muslimen, Christen und Juden in dem Schmelztiegel Ajami, die auf wirklichen Ereignissen basieren, verbinden sich allmählich zu einer Gesamthandlung: Die Familie Omars gerät in einen Konflikt mit einem mächtigen Beduinenclan aus dem Süden Israels, weil sie sich weigert, Schutzgeld zu zahlen. Omar ist schließlich doch gezwungen, eine große Geldsumme zu organisieren. Er ist bis über beide Ohren verliebt in Hadir, die Tochter eines reichen christlichen Arabers, der den armen Muslim jedoch als Schwiegersohn ablehnt. Regisseur Copti (34), der einen dunklen Ziegenbart trägt, spielt im Film den wohlhabenden Araber Binj, der mit seiner jüdischen Freundin aus Ajami wegziehen will.

Der junge Malek ist wiederum illegal aus dem Westjordanland nach Israel eingereist, um Geld für eine Operation für seine schwerkranke Mutter zu verdienen. Als sich ihnen die Gelegenheit für einen Drogenhandel bietet, tun Omar und Malek sich in ihrer Verzweiflung zusammen. Dabei kreuzt sich ihr Weg auf tragische Weise mit dem von Dando, einem jüdischen Polizisten, dessen Bruder von Palästinensern ermordet wurde. Die Akteure sind in einer ausweglosen Realität voller Gewalt sowie in menschlichen Abhängigkeiten gefangen und das Unheil nimmt unausweichlich seinen Lauf.

„Ajami“, der bei der Oscarverleihung am 7. März unter anderem gegen den deutsch-österreichischen Spielfilm „Das weiße Band“ antritt, hat bereits eine ganze Reihe von Preisen gewonnen, darunter das Prädikat „Special Distinction“ im Rahmen des Camera D'Or-Preises bei den Internationalen Filmfestspielen von Cannes. Es ist nach „Beaufort“ (2008) und „Waltz with Bashir“ (2009) der dritte israelische Film in Folge, der am Oscar-Wettstreit teilnimmt.

Copti und Shani arbeiten mit ungewöhnlichen Mitteln, um einen besonders intensiven und echt wirkenden Film zu schaffen. Alle Schauspieler in „Ajami“ sind spontan spielende Laien, die das Drehbuch nicht kennen – sie wurden so ausgewählt, dass sie der Filmfigur im echten Leben möglichst ähnlich sind, wie Shani erklärt. „Wenn jemand auf der Leinwand weint, dann weint auch sein Herz – die Gefühle sind echt.“

Jüdische und arabische Einwohner von Ajami haben bemängelt, der Film stelle die Zustände in ihrem Viertel zu extrem und überzeichnet dar. „Der Film soll weder das Viertel noch die Araber und auch nicht Israel darstellen“, meint Shani dazu. "Er symbolisiert etwas viel Größeres – die ewigen menschlichen Verhältnisse.

Von Sara Lemel