Erik Zabel: Der deutsche Radsport hat noch Star-Potenzial Im Interview: Ehemaliger deutscher Seriensieger spricht über den Zustand seiner Sportart -

"Man kann die Dopingproblematik nicht wegdiskutieren": Erik Zabel.
"Man kann die Dopingproblematik nicht wegdiskutieren": Erik Zabel. Foto: Frey

Erik Zabel (40), hat sechs Mal das Grüne Trikot der Tour gewonnen und mehr als 200 Profisiege gefeiert. Jetzt ist er wieder in Koblenz – und erklärt der Rhein-Zeitung, warum der deutsche Radsport noch Star-Potenzial hat.

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Koblenz. Es ist ein grauer Nachmittag am Koblenzer Moselufer. Am Abend werden in der Zentrale des Koblenzer Radherstellers Canyon die Augen von jungen Rennfahrern glänzen. Als Mentor des Canyon Young Heroes Team übergibt Erik Zabel Räder und Trikots an 15 Nachwuchssportler aus verschiedenen Ländern. Der 40-Jährige hat sechs Mal das Grüne Trikot der Tour gewonnen und mehr als 200 Profisiege gefeiert, bevor ein EPO-Geständnis einen Schatten auf seine Karriere warf. Das ist die Geschichte; im Interview mit der Sportredaktion richtet Zabel nun den Blick auf den Radsport von heute und morgen.

Herr Zabel, Sie wirken durchtrainiert wie eh und je. Sieht so jemand aus, der kein Rad mehr fährt?

Ich bin jetzt ein richtiger Hobbysportler. Aber viermal pro Woche sitze ich schon noch auf dem Rad. Und wenn es geht, versuche ich dann 100 Kilometer zu fahren – wir haben da bei uns in Unna so eine schöne Runde.

Es geht gar nicht ums Abtrainieren, Sie sind immer noch ein richtiger Radfahrer?

Ich möchte schon noch mithalten können. Abtrainieren war für mich nach dem Ende meiner Karriere ohnehin ein schwieriges Thema. Wie man richtig trainiert, das wissen Hunderte Trainer, aber wie man richtig abtrainiert, da kennt sich keiner aus. Die Trainer und medizinischen Betreuer des Team HTC Highroad haben mir dann gesagt, dass ich einfach immer die Hälfte der Kilometer des Vorjahres fahren soll. Im ersten Jahr bin ich dann also ungefähr 24000 Kilometer gefahren. Aber im zweiten Jahr bin ich wieder 24000 Kilometer gefahren statt 12000. Je mehr Abstand ich zur aktiven Zeit gewinne und je mehr berufliche Termine es gibt, pendelt sich das auf dem Hobbyniveau ein. Regenkleidung habe ich natürlich auch noch, aber ich fahre nicht mehr unbedingt im Regen los.

Ihr Sohn Rick ist als Radfahrer im Juniorenbereich bereits erfolgreich. Geht es bei ihm in die Richtung des Vaters?

Er entwickelt sich. Als er mit dem Radsport angefangen hat, musste er lernen, mit Plätzen im hinteren Mittelfeld zu leben. Jetzt hat er sich zum stabilen Mann im Nationalkader entwickelt, es macht mir natürlich Spaß, das zu beobachten. Es könnte sein, dass er sich in meine Richtung entwickelt, aber im Moment ist das noch weit weg. Für mich als Vater ist es einfach schön, dass wir die gleiche Leidenschaft teilen. Er ist 17 Jahre alt – und da können Eltern nachvollziehen, wie schwierig es in diesem Alter ist, ein gemeinsames Thema zu finden.

Wie schwierig ist es, mit dem Namen Zabel ein Rennen zu fahren?

Das ist im Rennen kein Problem, ich bin ja nicht mehr aktiv. Da zählen keine Namen; Rennen fahren eben die Besten vorn und die anderen ein Stück weiter hinten. Da interessiert der Name keinen, wenn du am Berg nicht mitkommst. Ich war ja auch mit dem jungen Axel Merckx im Team, da hat dich der Name vielleicht bis eine Minute nach dem Start beschäftigt. Das einzige, was für mich nicht so einfach war, war, dass wir oft das Zimmer geteilt haben. Wenn du mit dem Sohn des besten Rennfahrers aller Zeiten das Zimmer geteilt hast, dann war es höchstens blöd, wenn der Vater mal ins Zimmer kam und du nicht picobello aufgeräumt hattest. Dann bist du halt mal schnell auf den Balkon gegangen, du wolltest den Mann ja nicht nerven. Aber im Endeffekt hast du gemerkt, dass Eddy Merckx ein Mann ist wie du und ich.

Der Radsport bestimmt immer noch Ihren Alltag. Was machen Sie beruflich?

Zum einen betreue ich das Nachwuchs-Scouting beim Profiteam HTC Highroad. Wir versuchen dort, die besten jungen Rennfahrer der Welt zu finden und diese zu begleiten. Es sind die Top-Leute aus Australien, Lettland oder den USA, die plötzlich allein in einer neuen Wohnung fern der Heimat sind und sich mit neuen Trainern, neuer Sprache und ganz anderen Rennen zurechtfinden müssen. Es wird heute viel individueller trainiert als noch zu unserer Zeit. Man muss mit jedem einzelnen viel intensiver arbeiten. Heute gibt es im Trainingslager vier kleine Gruppen, die ganz unterschiedlich trainieren. Bei uns gab es zwei Gruppen mit jeweils zehn Fahrern, eine Klassiker-Gruppe und eine Rundfahrer-Gruppe, das war es auch schon. Heute ist es viel individueller und deshalb unheimlich wichtig, dass die Sportler mitdenken, die müssen verstehen, was sie trainieren.

Ihr Sohn war Mitglied des Koblenzer Team Canyon Young Heroes. Daraus hat sich für Sie eine Funktion als Markenbotschafter des Radherstellers Canyon ergeben. Was ist dort Ihre Aufgabe?

Als Experte für Canyon bin ich auf der einen Seite Markenbotschafter und ein wichtiger Tester der Produkte. Auf der anderen Seite bin ich als Mentor in das Young Heroes Team eingebunden, da sind 15 internationale Fahrer der U17-Klasse drin, die ich mitbetreue. Wer hier eine tolle Bewerbung schreibt, die uns anspricht, kriegt einen Platz im Team – egal ob er dänischer Landesmeister ist oder jemand, der keine guten finanziellen Möglichkeiten hat und trotzdem hoch motiviert ist. Im Bereich der U17 haben wir damit ein Alleinstellungsmerkmal, um diesen Nachwuchs kümmert sich kein Sponsor. Das ist sehr interessant, weil du einen anderen Blick auf den Sport bekommst, weil die Jungs eben noch darüber diskutieren, dass sie bei den Hamburg Cyclassics nur als 67. gewertet worden sind, obwohl sie doch einen Reifenschaden kurz vor dem Ziel hatten. Da rennst du dann eben noch mal zur Jury hin und diskutierst über die Wertung – das würdest du als Profi nie machen.

Lohnt es sich für einen jungen Rennfahrer, heute noch auf eine Profikarriere zu hoffen?

Was sich sehr verändert hat, ist die Häufigkeit der Rennen. Als ich noch Amateurfahrer war, da konntest du an Ostern in jedem Bundesland einen Osterpreis bestreiten, letztes Jahr ist die deutsche Mannschaft nach Österreich gefahren, um dort ein Rennen zu fahren. Die Situation muss sich ändern, sonst können sich junge Fahrer nicht entwickeln.

Die Stadt Koblenz ist angesprochen worden, ob sie 2011 die Deutsche Straßenmeisterschaft ausrichten will – es gibt kaum noch Ausrichter. Wie lässt sich die Situation ändern?

Da ist schwierig. Man kann die Dopingproblematik nicht wegdiskutieren. Das kann man langfristig nur ändern, wenn sich die Mentalität der Rennfahrer hin zum Transparenten verändert. Und die Leute mit dem Schubladendenken müssen den jungen Leuten wieder eine Chance geben. Ein anderer Punkt ist, dass der Radsport in Deutschland in der Öffentlichkeit nur mit Stars eine Chance hat – da darf man sich nichts vormachen. Es geht nur über Leute, die bei der Tour im Gelben Trikot fahren oder das grüne Trikot nach Paris bringen. Wir sind eben keine radsportverrückte Nation wie Italien, Spanien oder Frankreich. Wenn wir die Zuschauer begeistern können und der Radsport am Stammtisch wieder zum Thema wird, dann kommt es auch wieder ins Fernsehen. Tennis oder Schwimmen sind ja auch ein Beispiel dafür, dass es wichtige Themen sind, wenn ein Deutscher Olympiasieger wird oder Wimbledon gewinnt.

Hat Deutschland Star-Potenzial?

Da ist mir überhaupt nicht bange. Es gibt immer wieder Beispiele dafür. Um nur einen Namen zu nennen, der Neuprofi John Degenkolb ist Junioren-Vizeweltmeister und Dritter der U23-WM gewesen. Der hat die Mentalität dazu und das Talent. Die Talente sind da, das ist nicht das Thema. Es sind auch in einigen Profiteams starke deutsche Fraktionen vertreten. Zurzeit müssen die Jungen aus Deutschland raus, um Rennen zu fahren, weil es keine deutschen Teams gibt. Das ist aber gar nicht schlecht zum Lernen.

Sind die Deutschen in Sachen Radsport zu kritisch?

Deutschland ist keine gewachsene Radsportnation – auch wenn hier viele gern Rad fahren. In den Euphorie-Jahren der 90er wurden die damaligen Helden vergöttert, umso heftiger haben die Leute sich dann abgewendet, den Rucksack tragen die jungen Rennfahrer.

Sind Sie heute froh, dass Sie im Jahr 2007 den Einsatz von Dopingmitteln während der Tour 1996 gestanden?

Die Frage habe ich mir natürlich auch schon mal gestellt. Es gab aber einen Punkt in meinem Leben, da musste ich das Thema einfach ansprechen. Zum einen wegen den Enthüllungen vorher und zum anderen, weil ich einen großen Fehler begangen habe, dem ich mich stellen musste. Es gibt auch andere Athleten wie Riccardo Ricco, die positiv getestet werden und dann über eine Kronzeugen-Regelung und mithilfe des Anwalts eine Verkürzung der Sperre erreichen – und nichts daraus lernen. Das muss jeder für sich selbst entscheiden. Es war für mich damals eine schwierige Entscheidung, aber die beste für das, was ich heute mache.

Ricco – der nach einem Eigenblutdoping-Versuch vor wenigen auf der Intensivstation landete – belegt, dass das Thema akut ist?

Wenn ein Fahrer wie Ricco nicht die Größe hat, seinen Fehler in vollem Umfang einzugestehen, ist es doch nicht überraschend, dass er den gleichen Fehler noch mal macht. Es ist nach wie vor ein schwieriges Thema, gerade wenn man sieht, dass Riccos Team Vancansoleil ProTour-Status hat und Ricco sicher nicht der einzige ist, bei dem man Fragen stellen sollte. Es gibt ja bei der Vergabe der ProTour-Lizenzen neben den sportlichen und wirtschaftlichen Faktoren auch eine ethische Verpflichtung, Ich bin als Mitglied des ProTour-Council ehrenamtlich bei der UCI engagiert und frage mich, warum die UCI in so einem Fall nicht „So nicht“ sagt. Außerdem gibt es ja ein Blutpassprogramm der UCI, für das alle Mannschaften viel Geld bezahlen. Da muss man schon die Frage stellen, wie viel das Programm wert ist, wenn Ricco eine Bluttransfusion selbst vornimmt und das niemand merkt.

Wird nicht genug kontrolliert?

Vielleicht nicht bei Leuten, die eine Vorgeschichte wie Ricco haben. Aber wenn man sich das Beispiel Lance Armstrong nimmt, da haben schon sehr viele Leute ein genaues Augenmerk darauf gelegt, dass er häufig getestet wird. man kann das drehen und wenden, wie man will: Vertrauen ist gut, Kontrolle ist besser. Wenn man ein Feld mit 200 Fahrern hat, dann ist doch klar, dass die ein unterschiedliches Verständnis von Ethik und Moral haben. So ein Rennfahrerfeld ist ein Querschnitt der Bevölkerung, da gibt es genauso ein paar Hochintelligente und ein paar, die dabei sind, weil sie dabei sind. Es gibt im Radsport eine sehr hohe Prozentzahl von Athleten, die sauber sein wollen und eben ein paar, die im nächsten Jahr nur einen schönen Vertrag haben wollen.

Wird der Radsport schärfer beobachtet als andere Disziplinen?

Der Radsport hat ja gar keine Wahl mehr. Es gibt das Blutpassprogramm und viele Kontrollen. Im Verhältnis zu vielen anderen Sportarten ist der Radsport hier Vorreiter. Es war beispielsweise die erste Sportart, in der eine Hämatokritgrenze eingeführt wurde, es war die erste Sportart mit EPO-Test und Cera-Test. Wenn du dir die Beweisführung im Fall Pechstein anschaust, dann denken die Leute „Och, die arme Claudia Pechstein“. Im Radsport sind schon 15 Mann deswegen für zwei Jahre gesperrt worden, da kräht kein Hahn danach. Ähnlich ist es doch beim Fall Contador: Da gibt es im Tischtennis einen ähnlichen Fall, und der Verband testet zur Beweisführung alle anderen Athleten auch, die belastet sind – und spricht sie dann frei. Da fragt sich der Radsportler: Warum werden die nicht alle gesperrt? Ich will Contador nicht in Schutz nehmen, nur die Diskussionen werden eben in den Sportarten unterschiedlich geführt.

Ist es gut, dass Lance Armstrong jetzt seine Karriere beendet?

Ich persönlich finde, dass Lance dem Radsport viel gegeben hat. In den Jahren 2009 und 2010 hat er dem Radsport aber nicht mehr viel gegeben, da ist es vielleicht an der Zeit, sich neuen Aufgaben zu stellen.